35. Rot wie Blut

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Das Kreischen wiederholte sich

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Das Kreischen wiederholte sich. Es klang so schrill, dass Iris sich ganz automatisch die Finger in die Ohren stopfte. Unvorstellbar, dass irgendein sterbliches Wesen dazu in der Lage war, einen solchen Ton zu erzeugen. Das Geräusch erschien ihr regelrecht andersweltlich. Ihr ganzer Körper zog sich zusammen, als könnte das fremde Wesen direkt mit ihren Muskeln und Nerven kommunizieren. Seestern winselte und wand sich auf dem Boden, wie unter Schmerzen. 

Halb benommen von dem lauten Geräusch und der Reaktion ihres Körpers stolperte Iris in den Flur hinaus. Dort war Enzia bereits dabei, sich an der Tür zum Zimmer ihres Bruders zu schaffen zu machen. Sie öffnete das kleine Kästchen, das in ihrem Schoß lag, und probierte mehrere kurze Drähte aus, bis sie einen fand, der ihren Ansprüchen genügte.

»Was machst du da?«, ächzte Iris.

»Ich öffne das Schloss«, antwortete Enzia. »Zander hat mir gezeigt, wie das geht.« Sie stocherte mit dem Draht im Türschloss herum. Inzwischen war das Kreischen verstummt, doch die darauf folgende Stille beunruhigte Iris fast noch mehr.

»Fräulein Enzia! Fräulein Dan de Lion!« Anchois hastete die Treppe zu den Gesindeunterkünften hinauf. »Kommt das aus Herrn Cyans Zimmers?« Sie erbleichte, als ihr bewusst wurde, wie zutreffend ihre Vermutung war. »Oh nein! Nicht schon wieder!«

»Nicht schon wieder?«, hauchte Iris. »Was hat das zu bedeuten?«

Anchois tupfte sich mit dem Zipfel ihrer Küchenschürze über die blasse Stirn. »Vor ein paar Jahren hatte Herr Cyan einen furchtbaren Unfall. Damals haben wir dieses Kreischen auch gehört.«

Bevor sie mehr sagen konnte, kapitulierte das Türschloss vor Enzias Anstrengungen. Mit mehr Mumm, als Iris der zarten Frau zugetraut hätte, stieß sie die Tür auf und rollte ohne zu zögern über die Schwelle. Iris und Anchois folgten ihr. Ein eiskalter Luftzug und der faulige Gestank von verrotteten Eiern schlugen ihnen entgegen. Die weißen Vorhänge flatterten im Wind, der durch das weit geöffnete Fenster hereinwehte. Der Kristalllüster pendelte an seiner Kette hin und her und gab dabei ein schauriges Quietschen von sich. Sein schwankender Lichtschein verzerrte die Dimensionen des Salons und tauchte ihre Umgebung in ein Meer aus wabernden Schatten. Das rote Licht, das den Himmel über Myr Ryba erfüllte, tat sein Übriges, um die Atmosphäre im Innern des kleinen Zimmers zu vergiften.

»Cyan!«, keuchte Enzia. 

Im gleichen Moment entdeckte auch Iris den jungen Mann. Er lag vor dem Fenster auf dem Boden, umgeben von zersplitterten und zerfetzten Polstermöbeln. Das Ausmaß an Zerstörung erschreckte Iris zutiefst. Lange, scharf umrissene Kerben zogen sich durch das Holz des Dielenbodens und die Gardinen hingen in Fetzen, was ihnen Ähnlichkeit mit Girlanden verlieh.

»Wartet«, sagte Anchois und hielt Enzia zurück, die sofort zu ihrem Bruder rollen wollte. Die junge Frau hatte die Hände so fest um die Armlehnen ihres Stuhls gekrallt, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Was, wenn es nicht sicher ist?«

Die Forelli-Dynastie: Göttliches ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt