Lucie stand vor dem Spiegel und sah sich darin an. Sie drehte sich nach links und anschließend nach rechts, immer im wechsel. Der Saum ihres Kleides bewegte sich geschmeidig über dem Boden und schmiegte sich um ihre Beine.
Eigentlich hatte sie ja ein Kleid für das Fest mitgebracht, doch Bastian schenkte ihr ein anderes Kleid, welches noch viel prunkvoller und eleganter war als ihres. Er bestand darauf dass sie es anzog.
Es war in einem wunderschönen Weinrot und schmiegte sich förmlich an ihren Rundungen und betonte sie noch mehr. Der Herzausschnitt ging tief wurde allerdings mit Spitze ausgefüllt und ging dann zu langen Ärmeln über. An der Taille fing dann der weite Rock an und fiel leicht auf den Boden. Durch die Raffung flog das Kleid über den Boden.
Wenn sie sich so in den Spiegel ansah wurde ihr bewusst wie teuer das Kleid eigentlich sein musste. Solch ein teures Geschenk hatte sie gewiss nicht verdient. Lucie dachte angestrengt nach. Lord Dytwin wird garantiert wissen wollen woher es kam.
Gut gelaunt drehte sie sich zu dem Mädchen um, welches diesen Abend auf ihre zwei Lieblinge aufpasste. Sie drehte sich.
"Kann ich so gehen"?
Die Frau stand auf und zupfte ihr neues Kleid etwas zurecht.
"Ich glaube sie sollten sich noch etwas um ihre Haare kümmern, aber das Kleid sieht ungeheuer gut an ihnen aus" erwiderte sie.Skeptisch sah sie sich nochmal im Spiegel an.
"Stimmt. Ich habe mich so sehr auf das Kleid fokussiert dass ich meine Haare übersehen habe" stellte sie schmollend fest. Lucie ließ sich von ihr zu dem kleinen Hocker führen, der am Schminktisch stand."Machen sie sich keine Sorgen. Ruckzuck ist ihre Frisur fertig, sie werden sehen" redete das Mädchen beruhigend auf sie ein. Lucie hatte keine Ahnung was sie mit ihren Haaren anstellte. Sie drehte, steckte und flocht ihre Haare und am Ende sah es phantastisch aus.
Erstaunt sah sie sich das Kunstwerk an.
"Meine Güte, wo habt ihr das nur gelernt"?
"Jahrelange Übung an meiner älteren Schwester". Zufrieden drehte sie sich ein letztes Mal vor dem Spiegel und setzte sich dann auf einen Stuhl."Lord Chester wird sie bestimmt bald hier abholen" sagte sie freundlich. Überrascht sah Lucie sie an.
"Lord Chester? Normalerweise sollte mich mein Gatte hier abholen und nicht der Hausherr"."Entschuldigt wenn ich das sage, aber der Herr mag euren Gemahl nicht allzu sehr. Ich empfinde es als nicht überraschend. Einst waren beide Häuser eng miteinander verbunden und bestritten jeden Feind gemeinsam".
"Kaum zu glauben. Man spürt den Hass förmlich in der Luft, wenn sie sich im selben Raum befindet. Sag mir, weshalb zerstritten sie sich so sehr" fragte Lucie interessiert.
Die Zofe überlegte angestrengt und schüttelte dabei den Kopf.
"Nun es..." sie stockte kurz "es ist kompliziert und normalerweise redet niemand mehr darüber. Aber wenn euch die Geschichte wirklich so sehr interessiert, dann solltet ihr vielleicht den Herrn selbst danach fragen. Wenn ihr Glück habt erzählt er es euch" sie zwinkerte Lucie zu und verließ, zusammen mit der schmutzigen Wäsche, das Zimmer.Nun stand sie alleine vor diesem großen Spiegel, welcher in einem noch größeren Zimmer stand. Sie seufzte.
"Und wie soll ich ihm das alles jetzt beibringen? Bestimmt wird er toben wie ein Verrückter". Besorgt ging sie zum Schaukelstuhl und sah ihre Kinder beim schlafen zu.Gespannt wartete sie auf den Moment, wo einer von beiden am Türrahmen stand und sie abholte. Wer war wohl schneller?
Gefühlt eine halbe Ewigkeit später klopfte es an der Tür. Schnell huschte sie an das andere Ende des Zimmers, kontrollierte ihr Kleid und machte langsam die Tür auf.
Ein charmanter und gutaussehender älterer Herr stand vor ihr und lächelte sie liebevoll an. Lord Chester besaß genau das selbe freche Grinsen wie Bastian. Es war ihr vertraut und sorgte für eine angenehme Wärme in ihrer Brust. War sie vielleicht Krank?
"Sie haben sich ganz schön Zeit gelassen" neckte sie ihn.
"Du hast dir ganz schön Zeit gelassen, meine Liebe" berichtigte er sie entspannt.
"Dich kann man wohl auch nicht aus der Ruhe bringen was"?
"Geduld ist eine Tugend".Lucie kicherte. Sie fühle sich hier wohl und würde am liebsten für immer hier bleiben. Aber vielleicht eins Tages, wenn all das zu Ende ist?
"Mein Mann wird nicht sehr begeistert sein, wenn er wüsste, dass ihr mich zum Ball begleiten".
Er zuckte mit den Schultern.
"Würde ihn jedenfalls ähnlich sehen. Erstaunlicherweise hatte er jedoch nichts dagegen".Sie sah ihn verwundert an.
"Er weiß es und hat nichts dagegen? Ich mache mir Sorgen! Ist er Krank" fragte sie gespielt besorgt.
"Aber aber. Er hat auch seine guten Seiten".
"Und die da wären"?Der Lord überlegte.
"Spontan fällt mir da nichts ein, aber jeder Mensch hat auch eine gute Seite".
"Nachdem ich aber so vieles von ihm erfahren habe, kann ich es einfach nicht glauben. Ich möchte so gerne zurück" sagte sie traurig.Sie blieben beide stehen. Geduldig wartete er auf eine Reaktion.
"Dieser Ball wurde doch extra für dich organisiert, auch wenn dies niemand weiß. Und der König wartet bereits auf eure Bekanntschaft". Lucie schüttelte ihren Kopf."Das meinte ich dich garnicht" flüsterte sie. Sie dachte an die Zeit während des Überfalls, als sie ihren Liebsten zum ersten Mal sah. Dieses Funkeln in seinen Augen und dieses freche Lächeln. Die Freude als er erfuhr, dass sie ein Kind von ihm erwartete.
"Ich...ich meinte ihren Sohn". Lucie sagte es so leise, dass normale menschen es wohl nie wahrgenommen hätten. Doch er verstand jedes Wort und auch die Trauer dahinter.
"Komm her kleines" er legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie sanft zu sich. Dankbar nahm sie diesen Trost von ihm an und genoss die Wärme und Sicherheit für einen Moment. Denn gleich würde sie dem König gegenüber stehen.
Alles hing von seiner Entscheidung ab. Auch das Leben ihrer Familie.
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Die Gefährtin des Wolflords
RandomAchtung!! Das ist die Fortsetzung von Die Kriegerin des Wolflords. Wer ist sie? Wohin gehört sie? Warum ist sie hier? All diese Fragen und keine Antwort. Lucie strandet auf einer bewohnten Insel vor dem Festland und hat ihre Erinnerungen verloren...