Vergangenheit

3K 104 9
                                    

Erst während der Fahrt merkte ich meine Erschöpfung so richtig. Als wir bei meinem Haus ankamen war ich etwas nervös, was jedoch schnell wieder verflog. "Dein Vater muss mich echt komisch finden." Gab ich leise zu als wir in das Haus gingen. "Nein er hat schon merkwürdigere Leute kennengelernt, glaub mir." Ich lachte "Achja und wen?" Auch er lachte wieder sein melodisches Lachen "Na mich und Alice zum Beispiel." Ich legte meine Tasche auf den Boden und zog meine Jacke aus, dann setzte ich mich auf das Sofa und legte das Mathebuch und einen Block mit Stift vor mich auf den Tisch. "Also Alice kenne ich eigentlich nicht wirklich, ich hab noch nicht viel mit ihr geredet." Jasper verzog etwas das Gesicht "Ja es ist etwas ... komisch ... zwischen ihr und mir. Wir waren zusammen und dann hat sie sich vor ein paar Monaten getrennt, weil sie jemanden kennengelernt hat. Aber sie hat denjenigen unserer Familie immer noch nicht vorgestellt." Er schien eher mit sich selbst zu sprechen und grübelte anscheinend über diese Gedanken. Mir hingegen fiel fast die Kinnlade herunter "Du und Alice wart zusammen, also ein richtiges Paar?" Jetzt sah er wieder mich an und musste bei meinem Gesichtsausdruck lachen "Wir sind ja nur Adoptivgeschwister und keine richtigen Geschwister ... also ja." Er zuckte mit den Schultern als wäre da nichts dabei, ich hingegen musste an meine merkwürdige erste Begegnung mit Alice denken. "Äh ja ok, das ist schon merkwürdig..." sagte ich und blickte ihn entschuldigend, aber lächelnd an. Er zog wie so oft verschmitzt einen Mundwinkel hoch "Sag ich doch. Dagegen bist du normal." Jetzt musste ich wirklich lachen, Jasper hatte dieses wunderbare Talent, er wusste genau was er sagen musste, damit ich mich besser fühlte. Nachdem ich aufgehört hatte zu lachen, er hatte mich die ganze Zeit fasziniert beobachtet, was schon fast gruselig war, fingen wir an mit den Mathe Hausaufgaben.

Erst arbeitete jeder still für sich, doch als ich irgendwann nicht mehr weiterkam und wirklich nichts mehr Sinn ergab blickte ich auf sein Heft herüber. Schockiert riss ich die Augen auf und zog ihm das Heft unter seiner Hand weg "Du hast überall etwas anderes heraus. Fucking ÜBERALL." Jetzt schnappte er sich meinen Block und runzelte die Stirn "Was rechnest du denn da, machen wir überhaupt die gleiche Aufgabe?" Mir klappte der Mund offen als ich auf die gleiche Aufgabe zeigte, die er gerade berechnet hatte. Irritiert starrte ich auf seine Lösungen, die in schöner geschwungener Schrift auf dem Blatt standen. "Ok." Sagte ich, legte sein Heft wieder vor ihn und stand auf. "Was machst du?" Fragte er mich sichtlich verwirrt. "Ein guter Krieger weiß, wann eine Schlacht verloren ist." Er runzelte wieder die Stirn und ich ging in die Küche, um mir einen Tee zu machen. "Willst du auch was trinken?" Rief ich aus der Küche und stellte gerade den Wasserkocher an. "Nein danke" Sagte er und stand direkt hinter mir. Ich erschrak da ich damit nicht gerechnet hatte "Und darüber" er hielt meinen Block hoch "reden wir noch." Ich grinste und stellte mich blöd "Worüber?" sagte ich und blinzelte mit den Augen. Er legte den Kopf schief und zog eine Augenbraue hoch, wie um zu sagen 'ernsthaft?'. "Ich dachte du hättest deinen Schulabschluss in Deutschland schon?" Mein Grinsen verblasste etwas, ich wollte nicht über meine Vergangenheit reden. "Ja aber Mathe konnte ich nie, ich hab mich in Deutschland gerade so über Wasser gehalten." Meine Laune sank etwas und als hätte er es gespürt wechselte er das Thema, allerdings wechselte er zum falschen Thema "Warum bist du nach Amerika gekommen?" Und er blickte mich inteniv an, als hätte ihm diese Frage schon länger auf der Seele gebrannt. Das Wasser kochte und ich goss es vorsichtig in meine Tasse, dann legte ich einen Teebeutel hinein. Meinen Blick hielt ich auf die Tasse gerichtet, die ich am Henkel festhielt. Ich wusste dass er eigentlich die Wahrheit verdient hatte, aber ich war nicht bereit darüber zu reden, weshallb ich nur "unüberwindbare Differenzen" murmelte und hoffte dass er sich damit zufrieden gab. Er musterte mich immer noch und mir entging nicht wie nah er neben mir stand, als mich das Telefon aus der Starre riss. Es war ein altes Schnurtelefon, dessen Anschluss ich reaktiviert hatte, als ich in das Haus einzog. Ich ging einige Schritte zum Telefon und war froh mein Gesicht abwenden zu können, sodass Jasper es nicht sah "Balvert?" Fragte ich in üblicher Manier. Es war Paul und ich seufzte leise 'stimmt da war ja was' dachte ich nur. "Was gibt es denn?" Fragte ich ihn und lehnte mich mit der Schulter an die Wand, wohlwissend das Jasper noch zuhörte. "Willst du mich eigentlich verarschen?" Fragte Paul nur wutentbrannt und ich antwortete nur ironisch "Kommt drauf an was du meinst?" Er schnaubte "Ist das dein Ernst? Du meldest dich überhaupt nicht? Ich dachte schon diese komischen Cullens hätten dir irgendetwas getan!" Ich verzog das Gesicht "Ähm ok und was willst du jetzt hören, entschuldige dass ich nicht 24 Stunden 7 Tage die Woche telefonisch erreichbar bin?" Ich lehnte mich von der Wand weg und stand jetzt wieder aufrecht, ich kannte Paul kaum und er behandelte mich wie ein kleines Kind, das am Abgrund spielte. Doch ehe ich noch etwas antworten konnte stand Jasper neben mir und hatte mir den Hörer aus der Hand genommen "Wir tun ihr ganz sicherlich nichts, wie wäre es also, wenn du in Erwägung ziehst den Telefonterror einzustellen Paul." Er sprach ruhig, aber dennoch klang es bedrohlich und man hörte seinen Ärger heraus. Dann legte er einfach auf. Kurz war es still und ich rang um meine Fassung, verlor aber. "Was stimmt den mit euch nicht?" Fragte ich ihn verärgert, dennoch nahm ich sehr wohl zur Kenntnis, dass seine Augen einen dunklen Ton angenommen hatten "Du solltest dich von ihnen fernhalten." Ich gestikulierte etwas ratlos "Ja, nur sagt Paul das auch von euch. Was ist denn los, ich versteh es einfach nicht." Verzweifelt fuhr ich mir mit den Händen durch die Haare. Jasper kam einen Schritt auf mich zu und zog mich in seine Arme, ich hatte nicht damit gerechnet und war überrascht, klammerte mich jedoch trotzdem an ihm fest. Erst da merkte ich, dass mir eine Träne über die Wange rollte, dieses ganze Auf und Ab der Gefühle, die neue Stadt, der Ärger mit dem Lehrer, die Situation mit Carlisle als Arzt, alles war mir zu viel. Ich vergrub meinen Kopf an Jaspers Brust, mir war es unangenehm vor ihm zu weinen, aber für heute hatte sich genug Stress angesammelt. Er strich mir beruhigend über den Kopf und die Kälte die von ihm ausging wirkte irgendwie beruhigend, als würde er meinen überhitzten Kopf kühlen, in dem die Zahnräder auf Hochtouren liefen, versuchten mir etwas zu sagen und dabei überhitzten. Wir blieben einfach eine Zeit lang so stehen, er strich mir weiterhin über den Hinterkopf und ich atmete einfach nur seinen betörenden Duft ein, bis ich mich wieder gafangen hatte. Dann löste er sich von mir und nahm meine Hand, um mich wieder zum Sofa zu ziehen. Als wir uns hingesetzt hatten fing er dann wieder an zu sprechen "Meine Familie und die LaPush Leute verstehen sich nicht so gut. Wir kennen uns schon länger, aber es steht eine alte Fehde zwischen uns. Ich erkläre es dir bei Zeiten mal, aber lass uns jetzt erstmal dafür Sorgen, dass der Mathelehrer dich nicht auch noch hasst." Beim letzten Teil seines Satzes sah er mich wieder grinsend an und ich musste auch lächeln, also nickte ich und er fing an mir seinen Lösungsweg zu erklären. Hin und wieder stellte er mir Gegenfragen, um zu sehen ob ich es verstanden hatte. Er war ein guter Lehrer und ziemlich schnell für meine Verhältnisse hatte ich das Thema verstanden. Dann ließ er mich noch einmal selbst die Aufgaben rechnen, zu meiner großen Freude hatte ich nachher alle Ergebnisse richtig, vorausgetzt seine Ergebnisse waren richtig, aber davon war ich überzeugt. "Du wärst ein guter Lehrer. Hast du das schon mal in Erwägung gezogen?" Fragte ich ihn und lächelte, er lächelte auch, aber zuckte nur mit den Schultern. "Darf ich dich etwas fragen?" Sagte er nun wieder ernster. Ich überlegte kurz und nickte dann vorsichtig. "Was ist mit deiner Familie, du wohnst hier ganz allein und auch bei dem Gespräch mit dem Direktor waren deine Eltern nicht anwesend." Ich hatte befürchtet, dass die Frage in so eine Richtung gehen würde, aber er hatte es sich wirklich verdient ein bisschen mehr über mich zu erfahren. "Komm." Sagte ich und stand auf, um nach oben in mein Schlafzimmer zu gehen. Er folgte mir mit etwas Abstand. In meinem Schlafzimmer zeigte ich ihm ein Bild von meiner Familie, das erst letzten Winter aufgenommen worden war. Wir standen zu fünft im Schnee vor einem See, an dem mein Elternhaus gelegen war. Mein jüngster Bruder war auf meinem Arm und zog mir an den Haaren, ich lächelte ihn an. Meine Mutter und mein Vater hielten sich im Arm und mein großer Bruder hatte seinen Arm um mich gelegt und grinste in die Kamera. Es war ein sonniger aber windiger Tag gewesen, so dass unsere Haare etwas vom Wind verweht waren. Das gab dem Bild etwas Lebendiges und ich konnte mich an den Moment erinnern als wäre es gestern gewesen. Meine Großmutter hatte das Bild aufgenommen. Ich nahm den Bilderrahmen und setzte mich auf mein Bett, das in die Mitte des Raumes ragte. Jasper setzte sich neben mich und ich gab ihm das Foto. "Sie leben im Norden von Deutschland. Das dort " ich zeigte auf meinen jüngeren Bruder "ist Theo, also eigentlich Theodor und das" ich zeigte auf meinen älteren Bruder "ist Ben, also eigentlich Benedikt." Ich musste schmunzeln bei dem Gedanken, wie sehr meine Brüder ihre vollen Namen hassten, meine Mutter nannte sie immer nur so, wenn sie etwas ausgefressen hatten. Mein Vater hingegen hielt nichts von Abkürzungen und nannte sie immer bei vollem Namen. Da hatte ich einigermaßen Glück gehabt, zwar hieß ich Nina-Katharina, aber alle nannten mich nur Nina. "Wie alt sind deine Brüder?" Fragte mich Jasper und beachtete weiter das Bild. "Ben ist 23, also 5 Jahre älter als ich, Theo ist 5 Jahre jünger als ich, also 13." "Du siehst glücklich aus. Warum bist du gegangen?" Jetzt sah er wieder mich an, wohingegen mein Blick wieder zum Bild ging. "Ich liebe meine Brüder, aber ich konnte dort nicht länger bleiben. Das Bild täuscht, mein Vater ist sehr jähzornig. Er hat immer die perfekte Familie vorgespielt, wollte immer die perfekten Kinder. Ich hab es nicht länger ausgehalten, ich brauchte Abstand und ich wollte endlich das machen, was ich für richtig halte. Nicht nur immer das was er will." 'Ich wollte leben' fügte ich in Gedanken hinzu. "Deshalb bin ich gegangen, auch wenn mir meine Brüder das nie verzeihen werden und meine Mutter..." ich schluckte "Meine Mutter wird vermutlich von Trauer zerissen aber..." Jasper legte einen Arm um mich und beendete meinen Satz "Aber du musstet auch einmal an dich denken. Familie ist wichtig, aber das ist dein Leben und du musst tun was du für richtig hälst." Ich nickte abwesend, ich konnte mir nicht mal vorstellen wie schlimm es für Theo sein musste. Aber ich wusste, dass ich ihn nur so beschützen konnte. "Außerdem hatte ich Probleme. Ich habe meine Familie in Gefahr gebracht." Sagte ich leise und erzählte Jasper damit als Einzigen die ganze Geschichte. Ich sah wie er sich kaum merklich anspannte, aber er unterbrach mich nicht. "Ich habe diesen Kerl kennengelernt, erst wirkte er ganz normal. Aber je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte, desto mehr merkte ich, wie kriminell er war. Er nahm mich eines Abends zu seinen 'Freunden' mit. Alle samt Kriminelle und seine 'Clique' war eine Gang. Er hatte wohl einen ziemlich hohen Rang in der Gang und je mehr Zeit ich mit ihnen verbrachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich nicht mehr aus der Geschichte herauskam und dass ich mich immer weiter darin verstrickte. Ich wollte dem entkommen und habe versucht mich von ihnen fernzuhalten, als Konsequenz fing er an mir zu drohen. Und später dann auch meiner Familie. Ich wollte nicht dass er Theo oder Ben etwas tat und so wurde ich immer mehr Teil von seiner Gang. Mir wurde klar, dass ich einen Schlussstrich ziehen musste. Wenn ich mich weit genug von ihnen entfernte und auch den Kontakt zu meiner Familie abbreche, dann hatte er kein Druckmittel mehr." Jasper sah mich immer noch konzentriert an. "Also hast du beschlossen so weit weg zu ziehen, dass dich niemand findet. Ein anderer Kontinent." Schlussfolgerte er und ich nickte. "Es weiß niemand von meiner Familie oder meinen Freunden wo ich bin. Ich habe zuvor Geld gesammelt, mit illegalen Autorennen, die gab es zur Häufe und es ist viel Geld für den ersten Platz rübergewachsen. Als ich das Geld zusammen hatte meldete ich mich bei der Polizei und lieferte ihnen alles was ich über die Gang wusste. Ich half ihnen die wichtigsten Drahtzieher auszumachen und einen Teil der organisierten Kriminalität zu bekämpfen, dafür wurde ich in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen." Ich blickte vom Bild auf und stellte es wieder auf den Schreibtisch zurück von dem ich es her hatte. "Dieses Haus hier hat wohl einmal meiner Ur-Oma gehört und so brachten sie mich hier unter. Aber es weiß niemand dass ich hier bin. In Deutschland gelte ich einfach als verschwunden." Jetzt stand ich vor dem Bett und auch Jasper stand auf. Er schien sprachlos zu sein, so hatte ich ihn noch nie gesehen. Eine Weile sahen wir uns nur an. "Es tut mir Leid, dass du das durchmachen musst. Ich weiß nicht wie ich dir helfen kann." Letzteres schien ihn unheimlich zu frustrieren. "Jasper du darfst es keinem erzählen, es darf niemand wissen, ich könnte es nicht ertragen wenn meiner Familie wegen mir etwas passieren würde." Er musterte mich, als versuche er etwas zu ergründen. "Ich würde es gerne meinen Eltern sagen, sie werden dich unterstützen und es niemanden verraten, das schwöre ich dir. Aber ich denke es wäre gut, wenn du es ihnen erzählst." Ich runzelte die Stirn und war mir unsicher. Dann ergänzte er "Ich denke es würde helfen, wenn es Leute gibt, die die Situation kennen und damit umzugehen wissen. Meine Familie wird dich beschützen." Er war sich so sicher bei dem was er sagte, dass ich nur erstaunt sein konnte. Ich zweifelte "Ich will euch nicht in Gefahr bringen." Er schmunzelte "Das tust du nicht, uns wird nichts geschehen. Aber ich denke du verdienst es, glücklich zu sein und Teil einer Familie zu sein." Ich war mir immer noch nicht ganz sicher, ich fürchtete ernstlich, seine Familie auch noch zu gefährden. Allerdings wirkte Jasper so voller Zuversicht, dass ich nur nicken konnte. 'Wenn ich sie nur einmal in Gefahr bringe, dann halte ich mich von ihnen fern' beschloss ich im Inneren, aber ich gab auch Jasper Recht, ich verdiente es glücklich zu sein. Jasper warf einen Blick auf seine Armbanduhr "Wir sollten losfahren, es ist bald schon 18 Uhr." Ich nickte und Jasper ergänzte "Esme wartet bestimmt schon mit dem Essen auf uns, wie ich sie kenne." Er schmunzelte und wir gingen wieder nach unten. Dort zog ich mir schnell meine Jacke an, schnappte mir meine Handtasche und Autoschlüssel, die ich gleich wieder Jasper überließ, dann schloss ich die Tür hinter uns und wir machten uns auf den Weg.

Die Deutsche in Forks (Twilight, Jasper Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt