Amnesie Teil 2

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~Und? Wie geht es meinem Lieblingspatienten?~, fragt Doktor Katzenauge freundlich, als er mein Krankenzimmer betritt.

Wir haben uns in den letzten beiden Tagen auch immer mittags getroffen, denn da hat er Pause. Oft bringt er mir etwas zu essen mit und wir reden einfach nur. Natürlich sehe ich ihn auch abends und morgens, aber da haben wir keine Zeit, uns zu unterhalten.

Mir gefallen unsere Treffen sehr und ich habe mich mittlerweile so an ihn gewöhnt, dass ich mich frage, was ich mache, wenn ich hier raus bin.

Es geht mir nämlich schon viel besser. Dem Presslufthammer in meinem Kopf geht langsam der Saft aus und auch mein Körper fühlt sich nicht mehr wie aufgefressen und ausgespuckt an. Es drückt zwar noch an der ein oder anderen Stelle, aber es ist aushaltbar.

Was mich wirklich nervt, ist, dass meine Erinnerungen nur sehr langsam und spärlich zurückkommen. Immer, wenn ich versuche, mich an mein vorheriges Leben zu erinnern, ist da nur dieses Knäul an unterschiedlichen Bildfragmenten, die zu schnell herumwirbeln, um sie festzuhalten.
Ständig entgleiten sie mir und das ist frustrierend, auch wenn Doktor Katzenauge mich versucht, zu beschwichtigen.

~Dürfen Ärzte überhaupt Lieblingspatienten haben? Ich meine, sie müssen doch jeden gleich behandeln, oder?~
~Ich kann den zusätzlichen Schokopudding ja auch wieder zurück in die Kantine ...~
~Alles gut. Sie sind auch mein Lieblingsarzt.~, sage ich hastig.

Das Essen hier im Krankenhaus ist zwar ganz ok, aber der Pudding, den es zum Nachtisch gibt, ist einfach phänomenal.

Möglicherweise habe ich eine schwache Sucht danach entwickelt.
Genau wie nach dem Lachen, welches jetzt von Doktor Katzenauge kommt, als er sich auf die Bettkante setzt und mein Mittagessen und die beiden Puddingbecher auf den Beistelltisch neben meinen Bett abstellt.

Dann ergreift er meine Hand und streicht mit seinem Daumen leicht über meine Handrücken. Das ist auch irgendwie zu unserem Ritual geworden. Es gefällt mir, denn seine Hand ist warm und weich und sie löst ein leichtes Kribbeln in meinem Inneren aus.

Ich genieße dieses Gefühl und dieses undefinierbare Band zwischen uns, welches mir ein Gefühl von Sicherheit gibt. Es fühlt sich ein wenig wie ... zu Hause an.

~Das ist schön zu hören. Hast du wieder geträumt?~, fragt er neugierig.
~Ja.~

Tatsächlich komme ich nur über meine Träume an die Erinnerungen meines vorherigen Lebens.
Meistens erlebe ich dort Ereignisse nochmals. Ereignisse mit Farbe, Geräuschen, aber meist ohne wirklichen Gesichtern. Es ist alles etwas verschwommen und ich bin mir am Anfang ziemlich dumm vorgekommen, von verschwommenen Gesichtern zu erzählen, aber da war wieder dieses Band, welches mir gezeigt hat, dass ich ihm vertrauen kann, warum auch immer.

~Jetzt spann mich nicht so auf die Folter. Spuck's aus!~, drängt er mich neugierig.

~Ich habe mich an meine Schwester erinnert. Sie ist temperamentvoll und stur und sie hat mir immer meine Klamotten für Partys rausgelegt, weil sie wusste, dass mein Modegeschmack mieserabel ist.~
~Isabelle.~, ergänzt er mit einem kleinen Lächeln.

Er scheint immer zu lächeln, aber das mag ich. Es ist ein Zeichen, dass die Hoffnung und die Freude nie vergehen werden, auch nicht an einem Ort wie diesen, an dem Menschen auch oft sterben.

~Und ich habe auch noch einen Bruder, adoptiv. Er ist leicht überheblich und ist mit einer nervigen Rothaarigen zusammen, die er aber über alles liebt.~
~Jace und Clary.~, gibt er mir die Namen zu den Gesichtern.

~Und dann ... habe ich noch etwas geträumt.~, beginne ich, stocke aber.

Dieser Teil meines Traums ist verwirrend und ich weiß nicht recht, wie ich es so erklären soll, dass er es versteht.

~Egal, was es ist, du kannst es mir sagen. Du kannst mir vertrauen.~
~Ich weiß~, stimme ich zu, bevor ich tief durchatme,~Ich bin gerannt. Ich war wütend auf eine Blondine, weil sie irgendetwas getan hat. Irgendetwas, was ich nicht gut fand. Es war irgendetwas, das meinen Beschützerinsinkt geweckt, mich aber auch mit Scham und Schuld erfüllt hat. Ich bin in mein Auto gestiegen und habe tief durchgeatmet, während ich meine Hand angesehen habe. Da hat ein silberner Ring geglitzert. Dann bin ich losgefahren, aber ich habe mich nicht aufs Fahren konzentriert. Da war irgendjemand, an den ich gedacht habe. Jemand wichtiges. Jemand, den ich wahrscheinlich verletzt habe und bei dem ich mich unbedingt entschuldigen wollte. Dann war da ein Krachen und plötzlich wurde alles schwarz.~

Ich weiß nicht, wie ich es besser beschreiben soll, aber Doktor Katzenauge scheint mich trotzdem zu versehen.

~Du hast dich an die letzten Augenblicke vor deinem Unfall erinnert.~
~Aber warum war ich so wütend und beschämt? An wen habe ich gedacht? Und was hat es mit dem Rimg auf sich?~, frage ich Fragen, auf die er mir keine Antworten geben kann.

Ich weiß es doch selbst nicht!

Aber wieder scheint er mich besser zu kennen als ich mich selbst, denn er tippt nur auf meinen Ringfinger, an dem jener silberner Ring glitzert.

~Ich bin verheiratet? Bitte sagen Sie nicht mit der Blondine!~, flehe ich ihn an, was ihn wieder zum Lachen bringt.

Dann schüttelt er heftig den Kopf.
~Nein, du bist nicht mit Lydia verheiratet. Davon mal abgesehen, dass sie einfach nicht den nötigen Grips hat, hat sie zusätzlich noch das falsche Geschlecht für dich.~
~Ich bin schwul? Und mit einem anderen Mann verheiratet? Warum ist er dann nicht hier?~

Kurz schimmern seine Augen so unendlich traurig, dass ich mich frage, ob diese Ausgelassenheit nur eine Fassade ist, damit niemand seinen wahren Schmerz sieht.

Doch dann fängt er sich wieder und lächelt mich an, auch wenn es jetzt ein wenig gezwungen wirkt.

~Ja, du bist mit einem Mann verheiratet und er ist oft hier. Er kann nur nicht den Gedanken ertragen, dass du dich nicht an ihn erinnerst.~
~Das tut mir leid.~
~Das muss es nicht. Du kannst nichts dafür.~, antwortet er und streicht mit seiner Hand kurz, aber liebevoll über meine Wange.

~Ich will versuchen, mich weiter zu erinnern. Für ihn.~ antworte ich entschlossen, was ihm endlich ein ehrliches Lächeln ins Gesicht zaubert.
~Dazu musst du aber ersteinmal etwas essen. Meine Mittagspause ist leider schon wieder vorbei.~

~Schade.~
~Da hast du recht. Morgen wieder? Gleiche Zeit, gleicher Ort?~
~Natürlich!~, stimme ich grinsend zu, als er aufsteht,~Ich bin doch nicht so blöd, meine zuverlässigste Quelle zu regelmäßigen Pudding im Stich zu lassen.~

Auch er grinst kurz, bevor er den Raum verlässt.

Ich habe wirklich Hunger, aber erst widme ich mich meinem Ehering.

Wie mein Mann wohl vom Charakter her ist?
Ich hoffe, dass er liebevoll und ehrlich ist.
Allerdings bezweifle ich, dass er so schlicht ist, wie das Äußere des Rings.

Langsam ziehe ich diesen ab und erkenne eine Inschrift in seinem Inneren.

Drei Worte sind eingraviert.
Aku cinta kamu

Ich weiß zwar nicht, welche Sprache das ist, aber tief in meinem Inneren, in meinem Herzen, wenn man so will, weiß ich, dass es Ich liebe dich bedeutet.

Malec-One ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt