Alte Bekannte Teil 2

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Der Fremde lässt sich seufzend auf den Platz neben mir sinken.

~Alles ok?~
~Ja. Ich bin nur noch etwas unter Schock. Danke.~
~Keine Ursache. Solchen Perverslingen muss man einfach ihre Grenzen aufweisen. War das dein erstes Date mit ihm?~, fragt er mich.

Ich nicke, bis ich merke, wie dumm das in der Dunkelheit ist.
Also ergänze ich~Ja, auch wenn ich es eher ein "Von meiner Bff erzwungenes Date" nennen würde.~

~Von deiner Freundin? Wieso?~, fragt er verwundert.
~Sie meint, dass ich mich in letzter Zeit zu sehr auf die Arbeit konzentriert habe und jetzt wieder unter Menschen müsste.~, gebe ich zu.

~Zum Glück war ich da. Sonst hätte das ganze wirklich ins Auge gehen können.~
~Ja. Dumm nur, dass ich dich jetzt um deine Fanta gebracht habe.~, meine ich entschuldigend.

Kurz lacht der Fremde und ich schwöre, es ist das schönste Geräusch, das ich je gehört habe. Sein Lachen ist warm und irgendwie ... vertraut.

~Ach, ich opfere meine Fanta gerne, um hübsche Männer in Not zu retten.~

Plötzlich bin ich dankbar für die Dunkelheit, denn ich spüre, wie sich meine Wangen erhitzen. Es ist schon sehr lange her, dass ich ein Kompliment bekommen habe, ein ehrlich gemeintes Komplimemt und ich befürchte, dass ich etwas aus der Übung bin, was das Annehmen und Cool bleiben dabei betrifft.

~Sag bloß, du machst das öfter?~
~Nein, aber die Bereitschaft ist doch das, was zählt, oder?~, fragt er und ich kann mir quasi ein Lächeln dazu denken.

Noch immer kann ich ihn nicht genau erkennen, denn sein Gesicht ist ein reines Schattenspiel, aber ich meine blasse Haut und hohe Wangenknochen zu erkennen. Mein Engel -ja, in meinem Kopf nenne ich ihn so- muss wunderschön sein. Nur zu gerne würde ich ihn im Tageslicht sehen, aber noch nicht jetzt.

Die Dunkelheit des Kinosaals hat etwas geheimnisvolles und intimes an sich. Ich lerne ihn quasi kennen, ohne ihn zu sehen, was heißt, dass ich wirklich ihn kennenlerne und nicht sein Äußeres.

Ich hasse es, nur auf das Äußere beschränkt zu werden, denn meistens sagt das nichts über den eigentlichen Menschen aus.

Und bisher bin ich gleichermaßen fasziniert wie überrascht von meinem Engel. Apropos...
~Wie heißt du eigentlich?~, frage ich neugierig.
~Das ist nicht wichtig.~

~Aber ...~, will ich widersprechen, als ich plötzlich einen Finger auf meinen Lippen spüre.

Ich verstumme und sehe den Fremden mit großen Augen an.
Kurz meine ich, ihn leise seufzen zu hören, bevor er ansetzt~Können wir das Vorstellen vielleicht auf später verschieben?~

Ich grummel zur Antwort, was er aber nicht versteht. Dann erst schien er zu merken, dass er mich noch immer am Sprechen hindert und sofort zieht er seine Hand zurück, wobei seine Fingerspitzen hauchzart meine Wange streifen. Ich bin beinahe etwas enttäuscht, als er das macht, aber ich bemerke auch die angenehme Gänsehaut, die meinen Körper bei dieser scheinbar zufälligen Berührung überzieht.

~Ok~, antworte ich schlicht,~Und .. du schaust dir diese Doku wirklich freiwillig an?~
~Klar, warum nicht? Ich liebe Dokumentationen und außerdem sind die Kinosäle dann immer so leer, dass man beinahe alles in ihnen machen kann.~

Mit diesen Worten streift der Fremde die Schuhe ab und legt seine Füße auf der Sitzreihe vor uns ab. Tatsächlich sind wir die Einzigen, die sich noch im Saal befinden, aber jetzt fühle ich mich bei Weiten nicht mehr so unbehaglich.
Eher das Gegenteil ist der Fall und ich fühle mich ziemlich wohl.

In einem Anflug von Mut, gepaart mit etwas Leichtsinn, klappe ich die Armlehne zwischen uns hoch und rücke etwas näher an ihn heran. Ich streife ebenfalls meine Schuhe ab und lege meine Beine auf den Sitz.

Dann passiert das Unglaubliche.
Er legt einen Arm um mich und zieht mich sanft näher zu sich heran, sodass ich meinen Kopf auf seiner Brust ablegen kann. Seine Hand streicht zart über meine Seite und ich seufze leicht.

Ich weiß nicht genau, was ich da tue. Mein Verstand schreit, dass ich aufhören soll, aber mein Unterbewusstsein hat ihn in eine Kiste gesperrt und den Schlüssel verloren, sodass meine Zweifel ganz klein sind.

Obwohl ich meinen Engel nicht kenne, so fühle ich mich wohl bei ihm. Es ist irgendetwas an seiner Austrahlung, an seiner Art, das mir das Gefühl gibt, sicher zu sein, sicher in seinen starken Armen.
Ich fühle mich so geborgen und einfach wohl in seiner Nähe.

Sein Herz schlägt langsam und beständig in seiner Brust und ich ziehe mit meinen Fingern Kreise über die Stelle, wo ich es am stärksten spüre.

Der Großteil des Films fliegt nur so an mir vorbei, zu gefangen bin ich in dem Gefühl von Wärme und Geborgenheit.

Als wir in der letzten Viertel Stunde angekommen sind, löst er sich plötzlich von mir und ich kann ein enttäuschtes Aufseufzen nicht verhindern.
Ich will zurück in seine Arme, aber er scheint anderes vorzuhaben, denn er steht auf.

~Es tut mir leid, aber ich muss weg.~
~Wohin?~
~Familiärer Notfall.~, antwortet er knapp.
~Dann komme ich eben mit.~
~Nein, das geht nicht. Tut mir leid.~, entschuldigt er sich.

Wieder bin ich dankbar für die Dunkelheit, denn so kann er nicht sehen, wie verletzt ich bin. Es war doch gerade noch alles so schön und jetzt, jetzt will er abhauen.

Er ist schon einige Meter gegangen, als ich ihn erneut aufhalte~Warte! Wie finde ich dich wieder?~
~Das wirst du schon, Magnus. Bis dann.~

Während er verschwindet, lasse ich mich überrascht zurücksinken. Verwirrtheit nd Zweifel ergreifen von mir Besitz. Sie haben sich wohl doch aus der Kiste befreien können.

Woher kennt er meinen Namen?
Sind wir uns schon früher begegnet?
Wer ist er überhaupt?
War das alles doch ein abgekartertes Spiel, um ..., ja um was eigentlich?

Wieder beschleunigt sich mein Atem und meine Beine sind schneller als mein Verstand.

Schnell schlüpfe ich wieder in meine Schuhe und verlasse den Kinosaal ebenfalls. Meine Augen müssen sich erst wieder an das Licht gewöhnen, aber auch sonst ist er nicht zu sehen.

Er ist weg und hat dabei mein Herz mitgenommen.

Malec-One ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt