Amnesie Teil 5

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Es regnet.
Das ist das erste, das mir auffällt, als ich wieder zu mir komme.
Das zweite ist, dass ich mittlerweile im matschigen Gras sitze.
Und das dritte, dass Magnus mich umarmt, den Kopf auf meine Schulter gelegt, während er leise in mein Ohr summt.

So hat er mich auch schon früher beruhigt.
Denn, nachdem meine Eltern mich rausgeschmissen haben, habe ich eine harte Zeit durchgemacht.

Jede Nacht habe ich ihre letzten Worte zu mir gehört und ich habe mich gehasst für das, was ich war. Magnus ist mir in dieser Zeit nicht von der Seite gewichen und  hat mich jedes Mal in seine Arme gezogen, wenn ich mitten in der Nacht weinend und flehend aus dem Schlaf fuhr.

Es ist nie leicht, wenn man sich mit seinen Eltern streitet und das Ganze so so ausartet, dass man ausziehen muss. Aber von den eigenen Erzeugern zu hören, dass man eine Missgeburt ist, ist schlichtweg grausam.

Ich habe furchtbar gelitten, aber Magnus war immer für mich da, hat mich gehalten und beruhigend in mein Ohr gesummt.

Auch jetzt weine ich, wie mir auffällt. Nur dieses Mal vor Erleichterung und Reue, denn endlich kann ich mich wieder an diesen wundervollen Menschen erinnern, den ich meinen Mann nennen darf. Endlich kann ich mich wieder an alles erinnern, was wir erlebt und durchlebt haben. Jede Krise, jeden Streit, jede Versöhnung -ja, auch jeden Versöhnungssex- und jedes Ich liebe dich.

Ich bin so glücklich und gleichzeitig enttäuscht von mir selbst, dass ich kurzzeitig wirklich an Magnus und meinen Gefühlen zu ihm gezweifelt habe.

~Es tut mir so leid.~, sage ich leise.
~Was meinst du?~, fragt er, während er sich so weit von mir löst, damit er mich ansehen kann, mich aber immer noch festhält.

In seinen Augen glitzern Tränen, allerdings auch Verwirrung.
~Ich habe dich doch angelogen, nicht du.~, meint er mit einem traurigen Schmunzeln.

~Aber ... vor dem Unfall. Lydia. Sie hat mich immer angegraben. Ihr war es egal, dass ich glücklich vergeben war und absolut kein Interesse an ihr hatte. Ich glaube, sie hat es nie verkraftet, dass ich sie damals für dich verlassen habe. Ich habe dir nichts davon erzählt, da ich dich nicht damit belasten wollte. Naja, und ich wollte nicht, dass du ihr wegen ein paar Flirts eine Ansage machst, immerhin kenne ich die kleinen melodramatischen Auftritte meiner Dramaqueen. Jedenfalls hat sie mich unter einem Vorwand in ein leeres Patientenzimmer gelockt und mich geküsst. Ich habe mich so dafür geschämt, sie erst nach den ersten Schocksekunden weggeschubst zu haben. Ich wollte unbedingt zu dir, dir alles beichten und versichern, dass ich nur dich liebe. Und dann ... kam mir dieser Unfall in den Weg.
Deshalb tut es mir leid, Magnus. Hätte ich überlegter gehandelt, dann hätte ich dir all diesen Schmerz erspart.~

Trotz der Tränen, fängt er an zu lachen. Sein ganzer Körper bebt und endlich höre ich wieder das Geräusch, welches so viel schöner als jeder Engelsgesang ist, denn es ist nur für mich bestimmt.

Als er sich langsam wieder beruhigt, lehnt er seine Stirn an meine.

~Dann hätte ich dir aber auch nicht die Wahrheit vorenthalten sollen~, meint er,~Das war falsch, aber ich wollte nicht, dass du zwar alles weißt, es sich aber nicht wie deine Erinnerungen anfühlt, sondern wie die eines Fremden.~

~Aber jetzt weiß ich es wieder. Ich weiß wieder alles, Magnus.~
~Und das ist gut~, stimmt er zu,~Sagen wir einfach, wir sind quitt.~

~Damit kann ich leben. Aber es gibt etwas, womit ich gerade überhaupt nicht leben kann.~, füge ich lächelnd hinzu.
~Was denn?~
~Deinen Lippen so nahe zu sein, ohne sie zu küssen.~, hauche ich und vereine sie endlich zu einem gefühlvollen Kuss.

Zwar ist das bei Weitem nicht unser erster und auch nicht unser letzter Kuss, aber es ist der erste nach meiner temporären Amnesie und deshalb so besonders, gerade wegen dem Regen.

Magnus' Lippen sind so vertraut und weich. Sie schmiegen sich perfekt an meine und wieder spüre ich diese Wärme in mir aufsteigen, als er mir die Kontrolle überlässt. Auch ich lasse mich fallen, verliere mich in seinen Armen und wünsche mir nichts sehnlicher, als diesen Moment für immer in Erinnerung zu behalten, denn Erinnerung ist alles, was uns bleibt, wenn der Körper nicht mehr arbeiten will.

Aber so weit ist es bei uns beiden noch lange nicht. Wir haben Zeit. Wenn es gut läuft, bis zum Ende unserer Tage.

Leider brauchen wir dazu Sauerstoff, weshalb wir uns widerwillig voneinander lösen und gierig nach Luft schnappen.

~Können wir uns darauf einigen, so etwas nie wieder zu machen?~, frage ich ihn lächelnd, atemlos und mit geschlossenen Augen.
Das Gefühl von seinen Lippen auf meinen ist noch immer da und ich versuche es so lange wie möglich festzuhalten, aber irgendwann gebe ich dem Drang nach und sehe ihm in die, wegen der Arbeit, nur dezent geschminkten, Augen.

~Sag das Morgen früh nochmal.~, meint er mit dem verschmitzten Funkeln in den Augen, das mir einen warmen Schauer über den Rücken laufen lässt.

~Ich bin immer noch dein Patient, schon vergessen?~, frage ich ihn grinsend.
Er verdreht nur die Augen, während sein Grinsen dreckiger wird.
~Ach, ich bin sicher, dass Cat nichts dagegen haben wird, wenn du erst Morgen zurückkommst. Ich nehme das gerne auf meine Kappe.~, sagt er nachdenklich.

~Wie großzügig von Ihnen, Mr Lightwood-Bane!~, rufe ich gespielt erstaunt, während er aufsteht und mich ebenfalls hochzieht.
~So bin ich eben Mr Lightwood-Bane!~

~Was wollen Sie dafür?~
Magnus grinst verschlagen, während er sich wieder meinem Gesicht nähert und leise in mein Ohr flüstert.
~Eine schlaflose Nacht und ein schmerzender Hintern sind das mindeste, was ich erwarte.~, raunt er, bevor er kehrtmacht und lossprintet.

Kurz stockt mir der Atem, bevor ich ihm nachjage.

Ich bin so unendlich erleichtert, mich wieder erinnern zu können, denn das Leben ist viel zu kurz, um in einem Krankenbett zu liegen und darüber zu philosophieren, wie ich meinen Kaffee will.

Jeder Moment ist kostbar und ich bete zum Erzengel, dass mir noch möglichst viele solcher Momente mit Magnus vergönnt sind, denn ich liebe ihn über alles und habe auch nicht vor, jemals damit aufzuhören.

Malec-One ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt