FÜNFUNDSIEBZIG

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~Hannah's PoV~

Mein Körper ist wortwörtlich in sich zusammengesackt. Er fühlte sich schlapp an, viel zu schwer um ihn aufrecht halten zu können. Mit meinen Augen, die wahrscheinlich schon gerötet waren, meiner blass gewordenen Haut und meinem niedergeschlagenen Gesichtsausdruck hätte ich auch so gut einen Toten abgeben können.

Doch so tot ich auch äußerlich aussah, so lebendiger sah ich im Inneren aus.

Mein Herz war am Schlagen, jedoch fühlte es sich beschwerlich an. Allein das Atmen war zu vergleichen mit einer schweren Last, die auf jemandes Schultern lag.

Und in meinem Kopf spielte sich der komplette gestrige Abend ab.

Wie ich mich für die Party fertig gemacht hatte und stolz darauf war, dass mein Lidstrich perfekt saß. Der Moment, wo Kaden und ich an seinem Motorrad über seinen Helm gestritten hatten und wie er mich mit einem einfachen Kuss zum Schweigen gebracht hatte. Wie beflügelt ich von der Berührung seiner Lippen auf meinen war. Die Art und Weise wie ich ihm verfiel.
Schließlich kam die Party selbst. Wie ich mich mit meinen Freunden amüsiert hatte, gespielt und getanzt hatte.
Und wie am Ende alles den Bach runterging.

Ich fragte mich, wie es so weit kommen konnte. Wie hatte sich von einem Schlag auf den anderen alles verändern können?

Es war als hätte man bei mir einen Schalter von fröhlich auf deprimiert umgelegt. Nichts schien mehr Sinn zu machen.
Alles hatte an Farbe verloren und pure Dunkelheit hatte sich über mich gelegt.

Eine Dunkelheit, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte. Sie verschlang alles, was mir an Freude verhalf und verfrachtete es in ein tiefes schwarzes Loch, an das ich nicht rankam.
Es war fürchterlich, doch wehrte ich mich nicht dagegen. Schwäche benebelte meine Sinne.

Wie konnte er nur?

Eine Frage, die schon eine ganze Weile in meinem Kopf geisterte.

Wie konnte er mir das nur antun? Diesen Schmerz. Dieser Verrat. Diese tonnenschwere Lüge.

Mein Gehirn suchte nach einer Antwort, die es mir erklären würde, doch alles was am Ende blieb waren noch mehr Fragezeichen.

Ein plötzliches Räuspern schubste mich wieder zurück ins Hier und Jetzt.

Mom saß neben mir, streichelte beruhigend meinen Arm auf und ab während ich in ihren Armen eingekuschelt lag und mein schwerer Kopf auf ihrer Schulter Platz fand.

Ich wusste nicht wie lange wir schon so verweilten, doch seitdem hatte keiner von uns ein Wort gesagt. Im Zimmer war es still. Die Schalosien waren immernoch nach unten gezogen. Nur wenige Sonnenstrahlen schafften es sich einen Weg durch sie hindurch in mein Zimmer zu bannen.

Bis jetzt hatte ich ihr noch nichts von gestern Abend erzählt.
Ich wollte es aber was hätte ich auch sagen sollen? Hey Mom, Kaden hat seine Gefühle für mich nur vorgetäuscht weil er eine Wette am laufen hatte, in der fünfhundert Dollar als Belohnung dafür bekam, dass er Sex mit mir hatte.

Natürlich entsprach das genau der Wahrheit, doch wollte ich nicht das sie es erfährt.
Lag es daran, dass nicht unbedingt jedes Detail nötig war um meinen Herzschmerz zu erklären? Nein.
Wollte ich aber auch gleichzeitig , dass sie nicht schlecht von ihm dachte? Ja.

Allerdings wollte ich sie nicht völlig unwissend stehen lassen und sagte das erst beste, was mir in den Sinn kam.

„Wir haben Schluss gemacht."

Kurz, knackig und beschrieb immerhin das Ende des gestrigen Abends.

Es nervte mich, dass ich es nicht übers Herz brachte ihr die Wahrheit zu sagen, doch ich war auch überzeugt davon, dass es so besser war. Das war eine Sache zwischen mir und Kaden und das sollte auch so bleiben.
Auch wenn es wahrscheinlich schon die ganze Schule weiß.

„Tut mir leid, Liebes.", erwiederte sie mitfühlend.
„Ja, mir auch.", murmelte ich mit brüchiger Stimme und versuchte die Tränen in Schach zu halten, die sich in meinen Augen bildeten.

Mom drückte mir einen sanften Kuss auf den Scheitel und zog mich näher an sich. „Es ist okay sich so zu fühlen. Du wirst sehen, die Zeit wird die Wunden heilen."
Normalerweise würde ich ihr zustimmen, doch diesmal war ich fest davon überzeugt, dass sie im Unrecht lag.
Langsam aber mit Entschlossenheit schüttelte ich den Kopf. „Diese sind zu groß."

Mom seufzte: „Ach Hannah.", und strich mir wieder behutsam über den Arm.

Für den Trost, den sie mir spendete, war ich ihr unendlich dankbar. Ich war mir sicher, dass, wenn sie nicht hier bei mir wäre, ich weiterhin wie ein Geist die Wand angestarrt hätte. Und das hätte mir mehr geschadet als geholfen.

„Das was du jetzt brauchst ist Ruhe und Zeit das Geschehene aufzunehmen.", sagte meine Mutter plötzlich und atmete tief ein und aus. „Ich ruf gleich bei der Schule an und sag, dass du die nächsten drei Tage nicht kommst."

Mich durchströmte eine Welle der Erleichterung.
Die Tatsache, dass Mom bereit war mich in der Schule krank schreiben zu lassen, brachte zum ersten Mal wieder ein Fünkchen Licht ins Dunkle.

Dort hätte ich Kaden sehen müssen und das war grade das letzte, was ich wollte. So wie ich kannte würde er wieder versuchen mit mir zu reden und mich irgendwo abzufangen. Aber auch das sprach gegen meinen Willen.
Er sollte mir einfach vom Leib bleiben.

Ich hob meinen Kopf und sah in die warmen braunen Augen meiner Mutter.

„Danke, Mom.", flüsterte ich schwach und kurze Zeit später lagen ihre Lippen auf meiner Stirn.

„Nun gut, ich geh dann mal wieder.", sagte sie und nahm ihre Hand von meinem Arm. „Soll ich dir noch was hoch bringen? Chips? Schokolade?".

Ein schwaches Lächeln zog sich über mein Gesicht. Sie ist echt die Süßeste.

„Schokolade wäre toll.", antwortete ich ihr als und nickte bestimmt.

Mom murmelte noch ein simples Gut, lächelte mich ermutigend an und erhob sich von meinem Bett.

Während ich auf meine Schokoladentafeln wartete, kuschelte ich mich wieder unter meine Bettdecke und steckte mir meine Kopfhörer in den Ohren.

Mit der Zeit ist die Playlist weitergelaufen und ich hörte Harry Styles' wunderschöne Stimme, die gerade seine Single Sign of the Times sang.

An sich hatte der Inhalt des Songs nichts mit meiner Situation zu tun, doch jedes Mal, wenn ich ihn hörte, besänftigte er mich und ließ mich wieder abschalten. So auch jetzt.

Hätte Mom nicht wieder mein Zimmer betreten, um mir die Schokolade zu bringen, wäre ich eingeschlafen.

Doch es dauerte nicht lange, bis meine Augen tatsächlich zufielen und ich wieder ins Land der Träume schwand.

Jedoch nicht ohne weitere Tränen vergossen zu haben.

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Sign of the Times ist momentan ein Song, den ich sehr oft höre. Selbst beim schreiben. Daher musste ich ihn einfach mit einbringen.

Hannah so verletzt zu „sehen" spricht mir echt das Herz.

Doch wie geht es Kaden?
Das erfahrt ihr im nächsten Kapitel.

Bis dann,
shinningang3l
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One BetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt