-2.1- Die Insel

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Ich stach mit der Gabel in den Pfannenkuchen und bewegte ihn auf meinen Teller hin und her. Mir fehlte schlichtweg der Appetit, dabei konnte man mich mit den braungoldenen Eierkuchen sonst immer locken.

»Du siehst nicht gut aus«, stellte meine Mum fest. Sie saß mir gegenüber und zwirbelte eine ihrer blonden Locken auf den kleinen Finger. »War irgendwas in der Schule?«

Ich schüttelte etwas zu energisch den Kopf und lehnte mich seufzend zurück. Aus der Küchenzeile, die direkt an das Wohn/Esszimmer grenzte, ertönte das Gurgeln der Kaffeemaschine. Normalerweise mochte ich den Geruch nach Kaffeebohnen und Zucker, der fast immer den Wohnbereich beherrschte, aber heute wurde mir davon übel. 

»Du wirst doch nicht etwa krank?« Meine Mum musterte mich aus ihren dunklen Rehaugen, dann stand sie auf, lief um den Tisch herum und befühlte meine Stirn. Unwirsch drückte ich ihre Hand weg. Ich hasste dieses fürsorgliche Getue.

»Mir geht es gut. Ich habe nur die Sonne heute unterschätzt. Wir hatten draußen Unterricht«, log ich. Eigentlich mochte ich es nicht, unehrlich zu ihr zu sein, aber meine Mum machte sich bereits zu viele Sorgen um mich, außerdem würde ich ihr niemals die ganze Wahrheit erzählen können.

Meine Mutter glaubte nicht an übernatürliches Zeug. Ihrer Meinung nach existierte so etwas wie Magie nur in Büchern und wenn ich plötzlich vor ihren Augen das Wasser aus ihrem Glas anheben würde, dann bekäme sie vermutlich einen Herzinfarkt. Außerdem funktionierte meine ›Gabe‹ so nicht. Ich musste im Meerwasser stehen und dann klappte es auch nur, wenn sich ansonsten keiner in meiner Nähe befand. Wenn ich es ihr also erzählte und nicht beweisen konnte, dann würde sie versuchen, mir einzureden, ich hätte zu viel Phantasie und das alles nur geträumt – wie damals, als ich noch ein kleines Kind gewesen war. 

Dieses Mal wollte ich mich nicht beeinflussen lassen. Mit meinen siebzehn Jahren wurde es langsam Zeit, herauszufinden, wer ich unabhängig von den Wünschen und Meinungen meiner Mutter war. Das liebte ich so sehr am Meer. Es verurteilte nicht, sah einfach nur still zu, wie sich die Dinge entwickelten. Beobachtete mich jeden Tag und sog alles auf, ohne, dass ich befürchten musste, es würde mein Geheimnis verraten. 

»Vielleicht solltest du Fieber messen.« Sie legte die Stirn in Falten, was ihr recht schmales Gesicht um 15 Jahre älter wirken ließ. 

»Ich habe sicher kein Fieber, Mum«, erwiderte ich und rang mir ein Lächeln ab. 

Sobald meine Temperatur über 38 anstieg, geriet sie in Panik. Daher vermied ich Apparaturen zur Ermittlung meiner Körperwärme systematisch.

Sie setzte sich wieder hin, stütze die Ellenbogen auf dem Tisch ab und legte ihr Kinn auf ihre Hände. 

»Weißt du, als Kind warst du eine lange Zeit immer wieder sehr krank ... «

»Ja, ich weiß«, unterbrach ich sie schnell. Ich wollte diese Geschichte nicht noch einmal hören, außerdem erinnerte ich mich selbst dunkel daran. Als Kind musste ich ein miserables Immunsystem gehabt haben und lag ständig mit Fieber flach. »Aber jetzt bin ich fast volljährig«, fügte ich hinzu. »Und mir geht es immer noch gut. Mein Immunsystem funktioniert klasse.« Bis auf einen einzigen Tag im Monat, dachte ich mir im Stillen. Aber meine Mum würde niemals erfahren, dass ich mich, wann immer der Mond rund und voll am Himmel stand, fühlte, als würde ein Feuer in mir brennen und Glut durch meine Adern fließen. Sie würde mich nur zu zahlreichen Ärzten schleppen, die nichts herausfinden würden. Denn ich fühlte mich dabei nie krank. Im Gegenteil, überkam mich jeden Vollmond eine regelrechte Energiewelle, als wäre ich ein gottverdammter Werwolf, der sich demnächst zum ersten Mal verwandeln würde. 

Ich war schon ein seltsames Mädchen und je weniger Menschen das mitbekamen, desto besser. Schließlich wollte ich nur irgendwie mein Abitur schaffen und danach vielleicht ins Ausland reisen, mich durchjobben und fremde Kulturen kennenlernen. 

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt