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Mit Liam durch den Supermarkt zu laufen war eigenartig. Ich zuckte jedes Mal zusammen, wenn er sich räusperte, aus Angst, er würde gleich wieder Blut husten. Er packte alles Mögliche in den Einkaufswagen. Von Chips bis hin zu Tofubaken und Schokokeksen. Als wir an der Eistheke ankamen, konnte ich einfach nicht anders, als ihn anzustarren. 

»Willst du nicht gleich das ganze Kühlregal mitnehmen?«, konnte ich mir einen Kommentar nicht verkneifen, als er bereits die sechste Packung Milcheis in den Wagen legte. Liam drückte sich den Daumen in die Mulde zwischen Unterlippe und Kinn. Es wirkte, als würde er ernsthaft darüber nachdenken. 

»Wenn du das Geld dazu hättest, würdest du das tun, oder?«, fragte ich und er nickte mit einem verlegenen Lächeln. 

Meine Brust füllte sich mit Wärme. Wenn das hier ein ganz normaler Ausflug wäre, wenn Liam ein ganz normaler Junge und ich ein ganz normales Mädchen wäre, würde ich ihn jetzt fragen, welches Eis er am liebsten aß. Aber so war es nicht. Er war krank. Ernsthaft krank. Er konnte die Elemente beeinflussen, ich die Wellen bändigen, seltsame Stimmen hören und ... unglaublich schnell rennen, auch wenn ich immer noch nicht wusste, wie ich das angestellte hatte. Deshalb kam mir die Frage nach seinem Lieblingseis trist und unwichtig vor. 

Ich trotte neben ihm her zur Kasse und versuchte aus dem Topf all der Gedankenfetzen, genau die richtige Frage zu fischen. Aber die Worte entglitten mir immer wieder. 


Erst als wir, beladen mit je einer randvollen Tüte, zwischen den weißen Häusern einer Neubausiedlung entlangliefen, bekam ich sie zu fassen. 

»Als ich ein Kind war«, murmelte ich, »da hatte ich immer wieder diese seltsamen Fieberschübe. Aber als ich älter wurde, sind sie verschwunden. Na ja, beinahe.« Ich musterte ihn von der Seite. Liam hatte seinen Kopf gesenkt und in meine Richtung gedreht. Er sah mich nicht richtig an, aber zumindest hatte ich seine Aufmerksamkeit. 

»Was ich sagen will ... mir geht es gut. Und ich habe auch damals nie Blut gehustet. Ich glaube, diese Fieberschübe haben etwas mit meiner Fähigkeit zu tun. Eine Reaktion meines Körpers auf eine ... ungewöhnliche Situation, an die man sich psychisch und physisch gewöhnen muss. Als Kind war ich einfach noch nicht so ... stark wie jetzt. Ich glaube die Mondsteinkette, die mir mein Vater damals geschenkt hat, hat auch etwas mit meinen Fähigkeiten zu tun. Es ist seltsam, weißt du, weil ... « Ich schüttelte den Kopf, als ich bemerkte, wie ich abschweifte. Wir gingen nun etwas langsamer und ich blickte einem kleinen Mädchen hinterher, das uns mit einem Roller überholte. Kleine Vorgärten reihten sich aneinander, zierten alte Backsteinhäuser mit zwei viereckigen Türmchen, wie man es in den Niederlanden häufiger sah. Wohin liefen wir eigentlich? Vor uns, die Straße runter, türmten sich einige Mehrfamilienhäuser auf und erst, als Liam vor einem davon stehen blieb und einen Schlüssel aus seinen Shorts zog, begriff ich, dass wir zu ihm gingen. 

Liam sperrte auf und hielt mir mit dem Rücken die Türe auf. Etwas unsicher trat ich in das kühle Treppenhaus. Die Frage, die ich ihm eigentlich hatte stellen wollen, klebte immer noch auf meiner Zunge, aber für den Moment war ich zu irritiert, um sie zu stellen. 

Nie im Leben hätte ich erwartet, dass er mich zu sich nach Hause nehmen würde. Er. Liam, der kaum sprach und sich von allem und jeden abschottete. Von allem und jeden, außer von mir. Mir schoss das Blut ins Gesicht und ich starrte auf den Kachelboden. 

Mit einem mulmigen Gefühl folgte ich ihm die Treppe nach oben in den dritten Stock. 

Er lehnte sich gegen seine Wohnungstür und sah mich stirnrunzelnd an. Es schien, als haderte er einen Moment mit sich selbst, öffnete die Tür dann aber einen Spalt breit und sah mich mit hochgezogenen Brauen an.

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt