-16.2-

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Als ich die Augen wieder öffnete, breitete sich ein dunkelblauer Himmel über mir aus. Die Sonne war untergangen, ein einzelner, violetter Steifen hing noch am Horizont. Hier und da kämpften sich Sterne durch das Licht eines halbrunden Mondes, der im Osten langsam emporstieg. Es war kein Vollmond und dennoch spürte ich eine brennende Hitze in mir, die sich zäh, aber unaufhaltsam durch meine Blutbahnen ausbreitete, und die Übelkeit zurückdrängte.

Der Wind strich über meine heiße Haut und trug den Geruch nach frischem Gras an meine Nase. Das Meer rauschte leise. Nichts zeugte mehr von dem Feuer, das ich gesehen hatte. 

»Wieso quält ihr mich so?«, flüsterte ich, ohne genau zu wissen, mit wem ich da sprach. »Wieso sagt ihr mir nicht einfach, was ich tun soll?«

»Komm zu mir«, ertönte eine weibliche Stimme wie eine Kerzenflamme in meinem Kopf. Ich hatte sie schon einmal gehört. 

Vorsichtig setzte ich mich auf, darauf bedacht, mich nicht auf der verletzten Hand abzustützen. 

»Wo bist du?«, fragte ich. 

»Komm ... « Die Stimme hörte sich weit entfernt an, als wäre sie nichts weiter als ein Echo. 

»Wohin?«

Keine Antwort. Stattdessen hörte ich die Klänge einer Harfe. Die hellen Töne drangen aus dem Wald heraus und schienen um mich herum zu tanzen. 

Auf einmal wurde ich ganz ruhig. Die Schmerzen in meinen Fingern verebbten. Ich stand auf und folgte der schaukelnden Melodie. Der Schatten der Bäume umfing mich beinahe tröstend. Um mich herum raschelte es. Meine Füße schmiegten sich in weiche, moosbedeckte Erde. Es duftete dämpfend, nach harzigen Ölen und Blütenstaub, der mit der Nacht langsam zu Boden schweben musste. Ich sah kaum meine eigene Hand vor Augen und dennoch verspürte ich keine Angst. 

Immer tiefer trieb mich die Melodie in den Wald und so nahm ich die Veränderung in der Landschaft kaum wahr. Erst, als der Boden immer weicher zu werden begann, und sich das erste Wasser um meine Knöchel schmiegte, hielt ich inne. Die hohen Eichen waren dürren Birken und Schwarzfichten gewichen. Die Bewucherung kam mir seltsam vor. Ich legte den Kopf in den Nacken und erblickte einen Himmel, übersät von Sternen, der sich über den kargen Geäst der Bäume, spannte. 

Auch die Melodie veränderte sich. Sie wurde klagender, drängender. Die Töne zupften an meiner Haut, hinterließen ein beißendes Kribbeln und spornten das Feuer in mir an. Ich lief weiter. Der schlammige Boden unter mir schmatze bei jedem Schritt und doch hatte ich nichts anderes im Sinn, als den Ursprung der Musik zu finden. 

Nebelschwaden stiegen auf, umhüllten die immer dünner werdenden Baumstämme wie durchschimmernder Lumpenfetzen. Kühle Feuchtigkeit vermischte sich mit meinem Schweiß. Das T-Shirt klebte an meiner Haut und ich zupfte daran herum, um mir Kühlung zu verschaffen. 

Ein modrig feuchter Geruch lag in der Luft und eine leise Stimme, tief in meinem Inneren, rief mir eine Warnung zu. Etwas stimmte nicht. 

Jemand summte. Langsam, gleichmäßig. Der Nebel um mich herum schien zu vibrieren, zu tanzen. Meine Lider wurden schwer, das zaghafte Summen lauter. Es hörte sich an wie ein Flötenspiel, nur tiefer, intensiver. Ich setzte weiter einen Fuß vor den anderen, wusste nicht mehr, in welche Richtung ich mich fortbewegte. Ich ließ die Arme im Takt der Melodie baumeln. Wassergeister tanzten um mich herum und ich bemerkte dünne, blaue Schatten, die im Nebel hin und her huschten. 

»Wer ist da?« Ich blieb stehen. Der Nebel zog an mir vorbei. Das Summen wurde noch lauter. Ich bemerkte erst, als es bereits zu spät war, dass nicht ich stehen geblieben war, sondern unkontrolliert weiterging. Etwas Feuchtes schwappte zwischen meinen Zehen. Dieses Mal hielt ich wirklich an und sah mich mit wild klopfenden Herzen um. Trauerweiden zeichneten sich durch den Nebel ab, die Ranken schaukelten sanft im Wind. Das Summen umgab mich von allen Seiten und dann berührte mich etwas Kühles. Ich schreckte zurück, stolperte und landete im Schlamm. Wasser durchdrängte meine Hose. Ich rappelte mich wieder auf und wollte umkehren. Doch links und rechts von mir standen zwei Gestalten, mit einer Haut – milchig blau, fast wie der Nebel. 

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt