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Ich lag wach in meinem Bett. Das Bildschirmlicht meines Smartphones umschloss mich in seinem künstlichen Schein und ließ die Schatten der Nacht um mich herum noch düsterer wirken. Ich schrieb Mia eine Mail. Zumindest versuchte ich es. Aber dieses Mal wollten mir einfach nicht die passenden Worte einfallen.

Liebe Mia, tippte ich.

Da gibt es einen Jungen, den ich gerne habe. Aber er ist nicht so einfach. Zum Beispiel hat er seit über fünf Monaten kein Wort mehr gesagt. Kannst du dir das vorstellen?

Ich würde ihn gerne ansprechen, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Wie läuft es bei dir und mit deiner Ausbildung?

Liebe Grüße vom Meer

Yara

Senden.

Es fühlte sich unbefriedigend an, ihr nicht die ganze Wahrheit zu erzählen. Etwas passierte mit mir, ich veränderte mich und ich wusste nicht, wie lange ich das noch vor meiner Mum oder besten Freundin geheim halten konnte. 

Frustriert warf ich das Handy an das Fußende der Matratze, setzte mich auf und riss das Fenster an der Wand, direkt neben meinem Bett, auf. Vom Mond in silberweißes Licht getauchte Wolken zogen am Himmel entlang. Hinter den dunklen Dächern der Häuser erkannte ich das Meer als schimmernder Faden am Horizont. Eine ganze Weile saß ich so da, dachte über mich selbst und die Welt nach, wie ich es immer machte, wenn ich nicht schlafen konnte. Kreisende Gedanken um sich bewegende Wassermassen und Jungen mit schwarzen Haaren und dunkelblauen Augen, die nicht sprachen, aber auf Schulhöfen zusammenbrachen. Ein weißer Schimmer erregte meine Aufmerksamkeit. Der Mondstein, der auf meiner Fensterbank lag, fing das schwache Licht der Nacht ein und warf es in einem gespenstischen Schein zurück. Ich fuhr mit der Kuppe meines Zeigefingers über die flache Oberfläche. Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss ich die Augen und wandte mein Gesicht dem frischen Wind zu, der vom Meer heraufzog. Ich sehnte mich nach Flügeln, die mich hinfort , an einen anderen Ort, trügen. Vielleicht zu der geheimnisvollen Insel am Horizont. Ich hob die Lider, in der Hoffnung, sie dort zu erblicken. Doch ich sah sie nicht, nur verschwimmendes Grau und Blau. 

Noch vor wenigen Wochen, wenn mich die Sehnsucht gepackt hätte, hätte ich mir ein Buch geschnappt und einfach die Welt um mich herum vergessen. Doch jetzt, jetzt wollte, konnte ich einfach nicht still sitzen bleiben. Also zog ich mich an, schnappte mir den Schlüssel für das Motorboot, das meine Mum beim Einzug gekauft, aber noch nie benutzt hatte, und schlich mich aus dem Haus.

Aus der Garage holte ich mein altes Fahrrad und fuhr am Ufer entlang in Richtung des alten Piers – eines der Orte, die meine Mum und ich nach unserem Umzug zuerst besucht hatten. Ihre Versprechungen, mit mir regelmäßig rauszufahren, hatte sie jedoch bisher nicht gehalten und ich sah keinen Grund, warum sich das ändern sollte. 

Mein Vater und ich hatten uns im Urlaub oft Motorboote gemietet, um rauszufahren und dem Wasser ganz nahe zu sein. 

Als ich am Steg ankam, stand der Mond bereits mittig und schimmerte hier und da zwischen den Wolken hindurch. Ich ließ mein Fahrrad im Sand zurück und überquerte das knarzende Holz. Am Ende des Piers führte eine rostende Metalltreppe nach unten zu einem kleinen Steg, an dem unser Motorboot befestigt war. Bis auf das blauweiße Wasserfahrzeug, schaukelten nur noch ein Ruder- und zwei kleine Fischerboote über den Wellen. 

Ich war diejenige gewesen, die darauf bestanden hatte, die Eurocraft Starlet fernab der Hauptanlegestellen zu parken. Ein wohliges Kribbeln wanderte durch meine Arme und Beine, als ich die Treppen hinunterhuschte und in das kleine Boot stieg. Ich löste das Tau und stieß mich vom Steg ab. Als ich den Motor startete, stieg mir der beißende Geruch von Benzin in die Nase und ich flüchtete mich schnell an den Bug, um das Boot richtig auszurichten. Ein wenig mulmig wurde mir schon zu Mute, als ich ganz alleine auf das offene Meer hinaus steuerte, aber jetzt würde ich keinen Rückzieher mehr machen. Ich lehnte mich in den blauen Sitzen zurück und ließ meinen Blick über die wogenden Wassermassen gleiten. Wo immer das Mondlicht durchkam, schimmerte es silbern, doch ansonsten wirkte die Nordsee beinahe schwarz. 

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt