-14.1- Die Tränen des Drachen

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Die rote Frau zertrümmerte das Herz ihres Geliebten. Sie wusste, welchen Fluch sie damit auslöste. Die Drachendämmerung. Wie es die Maes vorhergesehen hatten. Sie war der Schlüssel zu diesem Unheil gewesen. Sie war das Unheil.

Das letzte Licht des Drachengottes bohrte sich in ihre Seele, löschte alles aus und hinterließ nur endlosen Schmerz. 

Um Ivie herum tobte ein Krieg. Ein Krieg, den die Drachenmenschen verlieren würden. Sie spürte wie das Leben auf der Insel weinte und schrie. Sie spürte wie das Meer sich gegen sie erhob. Sie spürte das Auge des Mondes auf sich gerichtet und wartete auf ihr Urteil. Sie wartete auf den Tod, aber dieser kam nicht. 

Stattdessen hörte sie uralte Worte in ihrem Kopf. Uralte Worte, gesprochen aus den Mündern des Königspaars, das sie einst geliebt hatte wie ihr eigenes Kind. 

Kyak, ging es durch ihre trägen Gedanken. Sie wollten ihren Sohn beschützen. Doch auch er würde sterben. 

Sie alle würden sterben. Makan lag neben ihr. Die goldenen Augen weit aufgerissen, doch noch immer konnte sie den Ausdruck unendlicher Liebe darin erkennen. Er hatte sie geliebt. Bist zu seiner letzten Sekunde hatte er sie geliebt und Ivie ihn. Sie kauerte sich neben ihn, bette ihr Gesicht an seine zertrümmerte Brust. Blut benetzte ihre Haut. Sein Blut, das noch warm war. So warm. 

»Was habe ich getan«, flüsterte sie. »Was habe ich getan?«

Das Meer erinnert sich, sprach das Herz der Nordsee zum Sturmmädchen. Du bist die Seele, Yara. Du bist die Seele, die wegen Kyak gekommen ist. Du bist die Seele, nach der wir greifen .... 

Das Mädchen öffnete den Mund und sprach: »Die rote Frau ist die Spinne. Die rote Frau hat das Netz gesponnen.«

Ein seltsames Geräusch weckte mich aus meinem Traum. Zuerst kapierte ich nicht, was vor sich ging, aber dann erkannte ich, was das ständige Surren neben mir zu bedeuten hatte. 

Eine unbekannte Nummer hatte mir gleich mehrere SMSen geschickt.

Ich stehe vor deiner Tür.

Kannst du bitte aufmachen?

Yara? Bist du da?

Ich weiß, dass du da bist ...

Mein erster Gedanke war: Was ist das für ein Verrückter? Doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. 

Ich konnte seine Anwesenheit spüren ... als würden um mich herum Fäden aus Feuer schweben.

Sofort sprang ich auf, stürmte zur Tür und riss sie auf. Er stand vor mir. Durchnässt. Blass. Die Nacht im Rücken. 

»Ich habe deinen Regen gesehen«, rauschten seine Gedanken durch mich hindurch und ein heller, lichtdurchfluteter Klang zog über mein Weltenmeer. »Ich musste wissen, ob du-« Sein Gedanke brach abrupt ab. Er taumelte ein wenig und stöhnte. 

»Liam«, brachte ich hervor. »Ist alles in Or-«

Er fing an zu würgen und presste sich die Hand vor den Mund. Ich reagierte schnell, packte ihm am Arm und zog ihn in unser Badezimmer. 

Er kniete sich vor die Kloschüssel. Ich setzte mich zu ihm und streichelte über seinen Rücken.

»Schon gut, lass alles raus«, murmelte ich, während Liam sich übergab. Ich reichte ihm ein Stück Klopapier, nachdem er sich beruhigt hatte. »Geht es wieder?«, fragte ich, aber er schüttelte nur den Kopf und betätigte die Spülung.

»T-tu«, murmelte er in die Kloschüssel.

»Muss es nicht. Soll ich dir ein Glas Wasser bringen?« Er stöhnte und fing erneut an zu würgen.

»Ok, ganz ruhig ... Das wird schon wieder.« Liam klang wie ein sterbender ... Drache.

Er betätige erneut die Spülung und wischte sich mit Klopapier über den Mund.

»Besser?«, fragte ich, nahm einen Waschlappen, befeuchtete ihn und fuhr über seine schweißnasse Stirn. Liam drehte seinen Kopf zu mir und ließ sich seitlich gegen mich sinken. Ich lehnte mich in die Ecke neben dem Klo und tupfte mit dem Lappen weiter über seine Stirn. Er fröstelte und senkte seinen Kopf gegen meine Schulter.

»Wieso hast du nicht früher geschrieben, dass es dir schlecht geht?«, fragte ich und küsste seinen Scheitel.

»Hm«, machte Liam und strich meinen Kiefer entlang. »Ich bin wegen dir gekommen, nicht wegen mir.« 

»Wegen mir?«

Ein Zittern ging durch seinen Körper und ich legte meine Arme um ihn.

Aus seiner Kehle drang ein tiefes, heiseres Geräusch. Er wandte sich um und verbarg sein Gesicht an meiner Schulter. Sein Oberkörper bebte.

»A-alles wird gut«, sagte ich mit zitternder Stimme. Mein Herz fühlte sich an wie Blei. Liam schluchzte und ich drückten ihn fest an mich.

»Schon gut ... «, flüsterte ich dicht an seinem Ohr. »Alles ist gut.«

Ich platzierte Liam auf dem Sofa und wickelte ihn in eine Wolldecke. 

»Ich mach uns einen Kamillentee, ok?«

Er hielt mich am Handgelenk fest. 

»Wo ... wo ist deine Mutter?«, flüsterte er heiser. 

»Sie ... «, ich musste schmunzeln. »Sie ist vor mir geflohen.«

»W-was?« Er legte die Stirn in Falten. Eine kleine Schweißperle lief über seine Schläfe und er sah so entsetzlich blass aus, als würde er sich gleich wieder übergeben müssen. 

»Sie hat mitbekommen, dass ich mich nachts heimlich rausschleiche. Sie hat Angst davor, sie könnte mich verlieren. Ich glaube, sie hat Angst, die Kontrolle über mich zu verlieren. Ich weiß nicht ... «

»Tut mir leid«, sagte er leise. Ich kniete mich vor ihn und nahm sein glühendes Gesicht in beide Hände. 

»Du musst endlich aufhören, dich für alles verantwortlich zu fühlen.«

Liam lächelte zaghaft. Er schob meine Hände beiseite und lehnte seine Stirn gegen meine. »Du verglühst«, murmelte ich. »Wir müssen dein Fieber runter bekommen.«

Liam richtete sich auf. Erneut durchzog ein Zittern seinen Körper und er zog die Decke fester um sich. 

»Ist dir kalt?«

Er zuckte mit den Schultern. 

»Du weißt es nicht?«

»Frieren ... «, murmelte er. »Ich glaube ... so fühlt es sich an.«

»Du glaubst?« Ich rieb über seine Arme. »Du bibberst. Willst du mir sagen, dass du vorher noch nie gefroren hast?«

Er nickte. 

»Oh.« Mir wurde ganz anders zumute. Er hatte noch nie in seinem Leben gefroren. Die Tatsache, dass er nun mit Schüttelfrost auf meinem Sofa saß, bedeutete, ihm ging es wirklich sehr schlecht. »Ich mache Tee. Dann wird dir sicher wieder warm.«

Ich wollte mich gerade abwenden, da hörte ich seine raue Stimme. »Yara?«

»Hm?« Ich drehte mich halb zu ihm. 

»Kann ... kann ich etwas zu Essen haben?«

Mir flogen die Brauen nach oben. »Du hast Hunger?«

Er nickte. 

»Wir müssten noch eine Packung Salzstangen irgendwo rumliegen haben«, überlegte ich laut. 

»Hast du Eis da?«, fragte er und lehnte sich nach hinten.

»Nein. Selbst wenn, du siehst nicht so aus, als würde dir dein Magen das süße Zeug verzeihen.«

Er schloss die Augen. »Vermutlich hast du recht.«


Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt