Ich stürzte ungebremst, doch dann erhob sich das Meer und hüllte mich in absolute Schwärze. Kalt drang das Wasser durch meine Kleidung und ich spürte einen Sog, der mich unter die Oberfläche zog.
Blaue Lichter schwirrten um mich herum. Ich strampelte, um wieder an die Oberfläche zu geraten, aber die Nordsee hielt mich in einer Blase aus blau leuchtender Dunkelheit gefangen. Nur mit Mühe konnte ich aufkommende Panik niederringen.
»Gib mich frei«, dachte ich, doch vergebens. »Ich muss atmen!«
Eine Strömung zupfte an mir, zuerst wehrte ich mich, versuchte immer wieder nach oben zu schwimmen, aber dann zwang mich die Erschöpfung nachzugeben.
Meine Lungen brannten und erneut sah ich mich dem Tod gegenüber. Vielleicht wollte das Meer mich tot sehen, dachte ich.
Vielleicht ging es die ganze Zeit nur darum. Vielleicht hätte ich als Kind sterben sollen, vielleicht hätte mich mein Vater nicht retten dürfen, vielleicht gierte das Meer nun nach meiner Seele.
»Öffne deine Augen und schaue«, flüsterte es um mich herum. Doch ich hielt meine Augen offen. Ich hielt sie weit geöffnet und doch legte sich mehr und mehr die Schwärze über mich. Schwer und endgültig. Mit letzter Kraft versuchte ich, das Wasser zu bändigen, aber nichts geschah.
Etwas huschte unter mir vorbei. Dann wurde es warm. Heiß. Die Hitze kribbelte über meine Haut.
»Gib dich hin ... «, murmelte die Stimme.
»Nein«, dachte ich. Ich wollte dem Meer meine Seele nicht überlassen.
Meine Lunge krampfte sich zusammen, aber ich presste die Lippen fest aufeinander.
»Gib mich frei!«, schrie ich in den Gedanken.
Ein Weg aus Licht breitete sich vor mir aus. Ein Tunnel aus Wasserspiralen. War ich etwa schon ... ? Konnte das hier das Ende sein? Aber noch immer brannten meine Lungen. Ich konnte nicht tot sein. Die Strömung zehrte nun stärker an mir und ich konnte dem Druck nicht mehr standhalten und atmete ein.
Eiskaltes Wasser strömte durch meine Lungen und brachte meine Brust zum Brennen. Ein Licht schien aus mir heraus. Ein helles, alles verschlingendes Licht und dann wurde ich nach oben geschleudert.
Die Nordsee spuckte mich einfach an die Oberfläche. Ich fühlte schlammigen Sand unter meinen Händen und holte tief Luft. Ein schmerzhaftes Ziehen jagte durch meine Brust und beim Ausatmen hustete und würgte ich einen Schwall Wasser aus.
Mein Sichtfeld klarte sich und ich richtete mich auf den Knien auf. Ich saß am Ufer eines Strandes. Mein Blick schweifte über hellen Sand, hin zu einem dichten Bambuswald.
Ein Bambuswald! An der Nordsee wuchs kein Bambus, oder?
Wankend kam ich auf die Beine und bereute es sofort. Ein heftigerer Schwindel erfasste mich und ließ mich benommen den Strand hinauf stolpern.
Eine Decke aus schwüler Luft legte sich auf meine nasse Haut und mir wurde übel. Sehr übel. Vorsichtshalber setzte sich mich wieder hin und legte den Kopf in den Nacken.
Grauer Fels ragte hinter dem Wald in die Höhe wie eine natürliche Trennwand.
Die Insel, schoss es mir durch den Kopf. Ich bin auf der Insel.
Mein Herz machte einen Sprung. Ungläubig drehte ich mich um und starrte auf das offene Meer hinaus. Ich konnte das Festland nicht mehr erblicken. Aber das war, das war schlicht unmöglich. Seitdem ich von den Felsen gesprungen war, konnten kaum drei Minuten vergangen sein und dennoch, dennoch saß ich nun hier und ...
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Herz aus Salz und Glut
FantasyEin Junge, der schweigt. Ein Mädchen, das die Wellen bändigt. Und ein Geheimnis, das nur allein das Meer kennt. Yara zieht mit ihrer Mutter an die Nordseeküste, um ein neues Leben zu beginnen. In ihre Stufe geht Liam, der nicht spricht und niemanden...