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Meine Mum hörte einfach nicht auf zu weinen und ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. In meiner Verzweiflung rief ich bei ihrer Kollegin und Freundin Laura an und bat sie vorbeizukommen.

Anstatt, Ärger zu bekommen, war meine Mum vor meinen Augen zusammengebrochen und jetzt beherrschte ein durchdringendes Wimmern und Schluchzen unser Haus. 

Sie hockte vor dem Herd in einem Meer aus Taschentüchern.

»Alles ist kaputt, einfach kaputt«, schluchzte sie. Es wirkte, als würde sie ein tiefer Schmerz übermannen. Schmerz, den auch ich verspürte, aus vielleicht ganz ähnlich Gründen. 

»Mum?« Ich setzte mich neben sie, streichelte über ihren Arm, aber sie schob mich grob zur Seite.

»Lass mich in Ruhe! Gerade du!« Sie wimmerte laut und öffnete eine neue Packung Taschentücher. Ich fühlte mich schlecht. Ich hatte meine Mutter vernachlässigt. Dabei wusste ich doch, dass sie mich nicht verlieren wollte. Sie wollte mich an nichts und niemanden verlieren. Gerade ich musste diesen Schmerz doch nachempfinden können. Ich hätte viel früher mit ihr reden müssen. Jetzt war es zu spät. 

Da entwickelte ich mich zu einer Wasserbändigerin, strandete auf einer seltsamen Insel, flog auf einem Drachen und sah dabei zu, wie der Junge, in den ich mich verliebt hatte, von einer Art Fluch verzehrt wurde - und doch war es nicht mein Herz, das zerbrochen am Boden lag, sondern das meiner Mum. Ich hatte nicht mitbekommen, wie schlecht es ihr ging, dabei lebten wir in ein und demselben Haus. 

Mit unruhigem Herzen wartete ich, bis ich endlich Lauras Wagen vorfahren hörte. Ich riss sofort die Tür auf.. Mums dunkelhaarige Kollegin kam auf Absatzschuhen über den Schotterplatz geeilt.

»Was ist passiert?« Wortlos trat ich einen Schritt zur Seite und ließ sie herein. 

»Elli!« Sie beugte sich zu meiner Mum und zog sie an beiden Händen hoch.

»Großer Gott, was ist denn los?«

Meine Mum schniefte nur laut und deutete anklagend auf mich.

»Ich habe versucht, diese Familie aufrecht zu erhalten, nach dem Tim gestorben ist. Ich habe alles versucht! Aber sie, sie ... « Mir wurde ganz schlecht und ich wankte gegen die Flurwand.

»Ich?«

»Du willst doch überhaupt nicht, dass diese Familie noch Bestand hat!«, rief sie. »Du ritzt dich, wir ziehen um, du redest nicht mit mir, du haust jede Nacht ab, um, ich weiß nicht ... dich mit fremden Jungs zu treffen, und missbrauchst mein Vertrauen auf die übelste Art!«

»Hey ... ganz ruhig«, versuchte Laura beruhigend auf sie einzureden. 

»Ich will nicht, dass diese Familie noch Bestand hat ... «, echote ich ihre Worte benommen. Die verfluchte Kette, die es nicht mehr gab, biss mich. »Dad hat diese Familie zusammengehalten und du ... du verstehst mich einfach nicht. Du hast mich noch nie verstanden. Deswegen rede ich so selten mit dir, deswe-«

»Yara!« Laura schüttelte den Kopf und ich biss mir auf die Unterlippe. Ich wollte meine Mum nicht verletzen, aber ... aber ich fühlte mich selbst wund und hilflos. So hilflos. 

Dass meine Mum jetzt hier saß – am Ende ihrer Kräfte, zeigte mir nur, dass ich sie nicht mit meinen Problemen belasten konnte. Meine Mum konnte nicht damit umgehen, wenn ihre eigene Tochter verzweifelt war. Sie wollte Glück in eine Flasche sperren. Eine Flasche, die in einem Meer aus unterdrückten Gefühlen einfach unterging, bis sie schließlich zerbarst. Und sie zerbrach. Und ich konnte ihr nicht helfen, ich konnte sie nicht aus diesem düsteren Meer ziehen, da es in mir selbst einen ganzen Ozean gab, den ich erst gerade zu begreifen begann.

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt