-16.1- Das Vermächtnis Mirelias

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Flynns Schrei durchzog mich wie ein Messerhieb. Dann spürte ich, wie mich der Wind durchzog. Jede einzelne Zelle in meinem Körper vibrierte. Die grauen Felsen unter mir verschwammen. Instinktiv breitete ich die Arme aus. Ein sanftes Kribbeln und brennen legte sich über meine Haut. Ich glitt einfach an den Felsen vorbei. Dann war da nur noch schaumiges, graues Wasser. Die See unter mir bauschte sich auf und nahm mich sanft in seine Arme. 

»Prinzessin der Nordsee«, hörte ich das Wasser um mich herum raunen und ich spürte wie pure Macht mich umgab. »Wir haben dich vermisst.«

Loslassen. Das hatte Klara also damit gemeint. Um mich herum flirrten kleine, blaue Lichter. Der vertraute Druck baute sich auf meinen Lungen auf, doch ich versuchte gegen den Reflex anzukämpfen, Richtung Oberfläche zu schwimmen. Dieses Mal wollte ich mir meine Kräfte bewahren. Ich würde sie auf der Insel brauchen. Die Sekunden verstrichen. Ich schwebte in blauschwarzer Dunkelheit und alles, was ich hörte, war ein durchdringendes Rauschen. Panik kämpfte sich in mein Bewusstsein. Was, wenn es nicht funktionieret? Ich würde hier unten ertrinken, wenn nicht bald etwas geschah. Allerdings hätte ich auch auf den Felsen aufkommen und sterben können. Doch das war nicht geschehen ... 

»Ich will zur Insel«, rief ich in Gedanken. »Bringt mich zur Insel

Die Melodie des Meeres umgab mich und beruhigte meinen wilden Herzschlag. Und dann endlich spürte ich den Sog. Es wurde warm. Ein Tunnel aus Licht erschien vor meinen Augen und ich ließ mich hineintreiben. Es dauerte nicht lange, da öffnete sich eine Schleuse im Wasser und ich konnte einen klaren Himmel erkennen, der in die lichtdurchfluteten Farben eines nahenden Abends getaucht war.

Gleich einer Wehe drückte mich das Meer an die Oberfläche und als ich dieses Mal Luft holte, fühlte es sich nicht an, als wäre ich eben ertrunken. Im Gegenteil, jagte Lebendigkeit durch meine Venen. Ich legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den klaren Himmel. Eben war es noch bewölkt gewesen und jetzt ... Dieser Ort hier musste wirklich außerhalb der normalen Realität liegen. Oder er war weiter weg, als ich geglaubt hatte. 

Der Strand lag nur wenige Meter von mir entfernt. Doch bereits, als ich darauf zuschwamm, bemerkte ich, wie sich etwas veränderte. Zuerst war es nur ein leiser Schwindel, doch als ich am Ufer ankam, hatte er sich in eine heftige Übelkeit verwandelt. Der Schweiß brach mir aus und ich musste mich übergeben. Doch davon ging das schlechte Gefühl nicht weg. Es war die selbe Übelkeit, die ich auch beim letzten Mal wahrgenommen hatte, nur dieses Mal viel, viel stärker. Erneut krampfte sich mein Magen zusammen, doch ich schaffte es, den Brechreiz zu unterdrücken. Ich setzte mich einen Moment hin und starrte auf meine nackten Zehen. Der Sog musste mir die Schuhe von den Füßen gerissen haben.

Die Übelkeit verging nicht. Es schien, als umgäbe die Insel ein Zauber. Ein Zauber, der jeden Eindringling verjagen sollte. Doch ich war kein Eindringling. Ich war hier, um den Fluch von diesem Ort zu nehmen. Ich war hier, um das Drachenherz zu finden. Ich war die Seele, die für Kyak gekommen war. 

Und jetzt, da ich hier war, würde mich kein Zauber der Welt davon abhalten, weiter vorzudringen. 

Keuchend richtete ich mich wieder auf und bahnte mir einen Weg durch die Bambussträucher zu der Steilwand, die zwar nicht sehr hoch reichte, aber dafür sehr steil in den Himmel wuchs. Eine Weile lief ich daran entlang, doch als ich weit und breit keinen Pfad hinauf erblicken konnte, betrachtete ich die Steilwand noch einmal genauer. Die Übelkeit nahm mir schlichtweg die Geduld, weiter nach einem anderen Weg zu suchen und wer wusste schon, wie groß die Insel war.

Kleine Risse und Furchen zogen sich durch den Felsen. Ich tastete über den Stein, bis meine Finger genügend halt fanden, dann zog ich mich hoch und fing an zu klettern. Es gab genügend Unebenheiten, an denen man sich festhalten konnte, das war nicht das Problem. Die Übelkeit kam und ging in Wellen und ließ mich jedes Mal erzittern. Schweiß lief mir kalt den Rücken hinab und bald waren meine Hände so feucht, dass sie ständig abrutschten. 

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt