-18.2-

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Wir erwachten eng umschlugen am Strand. Auf meiner Brust schimmerten silberblaue Schuppen und in einem kleinen Nabel lag sein Drachenherz. Ein warmer Schauer floss über mich hinweg und ich nahm wieder meine normale Gestalt an. Nicht mal eine Narbe zeugte davon, dass sein Drachenherz nun Teil von mir war. 

Vorsichtig richteten wir uns auf und ich blickte noch einmal an mir hinab. Ich trug nur noch meine Hose. Mein Oberteil musste verbrannt sein. Liam legte eine Hand auf meine Wange und lächelte mich an. 

»Du bist wunderschön.« 

Ein unglaubliches Gefühl der Euphorie überflutete mich. Doch es wurde sofort getrübt, als ich sah, wie Liams Blick auf Flynns Körper fiel. 

»Vielleicht ... kann ich ihn heilen«, murmelte ich. Er half mir, Flynn ans Ufer zu ziehen, doch egal, wie sehr ich mich bemühte, das Wasser weigerte sich, sein Gebrechen zu heilen. Die Erschöpfung brachte meine Hände zum Zittern und mein Puls schoss in die Höhe. 

»Schon gut.« Liam zog seinen Freund an sich und strich ihm das rote Haar aus dem Gesicht. »Ich glaube, seine Seele ist schon fort.«

»Es tut mir leid«, flüsterte ich, aber Liam schüttelte nur den Kopf. 

»Erzähl mir einfach, was passiert ist.«

»Ich bin ihm im Leuchtturm begegnet. Er wollte ... er wollte nach dir sehen.« Ich strich Liam über den Handrücken. Er verbarg seine Gedanken vor mir, aber ich musste sie nicht hören, um zu wissen, wie tief sein Schmerz saß. »Ich glaube, er wollte sich mit dir versöhnen. Er hat mir alles erzählt.« 

Liams Lippen zitterten. »Ich wünschte, er hätte mich einfach vergessen.« 

»Hör mir jetzt genau zu«, sagte ich, beugte mich vor und umfasste sein Gesicht. »Flynns Tod ist nicht deine Schuld. Ivie hat ihn auf dem Gewissen. Es war Flynns Entscheidung, dich nicht zu vergessen, Liam. Denn auf seine Art hat er dich geliebt. Und das hättest du ihm nicht nehmen dürfen.«

»Die Menschen, die mich lieben, sterben. Der Fluch ist gebrochen ... aber«, er schluchzte leise, »ich ... ich bin immer noch verflucht.« Tränen lösten sich aus seinen Augen und benetzten meine Finger. 

»Aber ich lebe«, flüsterte ich. »Ich lebe. Ich werde nicht sterben. Und damit haben wir auch diesen Fluch gebrochen. Du bist nicht mehr alleine.«

Liam sah mich an. »Wir müssen ihn nach Hause bringen«, sagte er leise. »Er kann nicht hierbleiben.« 

»Ich weiß ... Wir lassen ihn nicht zurück, keine Angst.«

»Es ist albern«, sagte er telepathisch. »Flynn ist nicht mehr hier. Das ist nur seine fleischliche Hülle.«

»Es ist nicht albern.« Mein Herz zog sich zusammen, als ich an seine Eltern und unsere Mitschüler dachte. »Die ... die anderen müssen erfahren, dass er ... «

»Ja.« Liam schloss die Augen. Wir schwiegen. Für den Moment gab es nichts zu sagen. So viel war passiert. So Vieles, dem Worte einfach nicht gerecht wurden. Wir hatten Flynn gerecht. Flynn, und all die Drachen, die wegen der roten Frau sterben mussten. Aber das war nicht genug. Das spürte ich. Es würde nie genug sein. Manche Dinge konnten nicht vergessen, noch verziehen werden.

Lauernde Schattenfinger streckten sich nach mir aus und ich erschauderte. Hinter uns ertönte ein Röcheln, dann ein leiser, halb erstickter Schrei. Wir fuhren beide herum und sahen auf ein Bündel zerfetzten, roten Stoffes. Doch das Bündel war nicht tot, nein. Ivie erhob sich zitternd und starrte zu uns hinüber. Liam betete Flynn etwas oberhalb ans Ufer, damit die Wellen ihn nicht mit sich fortnehmen konnten. Er nahm meine Hand und zog mich schützend hinter sich.

»Nein!«, rief die rote Frau. »Ich lebe. Wieso bin ich noch am Leben? Wieso seid ihr-« Liam knurrte. Seine Energie breitete sich pulsieren um ihn herum aus. Rein und mächtig. 

»Ich wollte doch nur sterben. Ich will endlich sterben!«, schrie Ivie. Sie stürzte sich auf Liam, doch dieser fing ihren Klauenhieb mit Leichtigkeit ab. 

»Es ist vorbei, Ivie«, sagte er ruhig. Die rote Frau schüttelte den Kopf und sank auf die Knie. Liam und ich folgten ihrer Bewegung. »Du willst sterben?« Liams Stimme nahm einen leicht bedrohlichen Unterton an. Seine Energie flammte auf, doch ich legte meine Hand auf seine Schulter und schüttelte den Kopf. 

»Das ist sie nicht wert. Keine Toten mehr«, flüsterte ich. 

Liam schaute mich an, dann nickte er langsam. »Aber was sollen wir mit ihr machen?«

»Stirb!«, brüllte Ivie und fuhr mit ihren brennenden Klauen nach vorne. Doch ihr Angriff prallte energielos an Liams Haut ab. Er war schneller gewesen. Mit Entsetzten starrte ich auf seine Hand, die in ihrer Brust steckte. Blut quoll aus der Wunde empor, lief über seinen Arm. Ivie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Doch dann wurden ihre Züge weicher. 

»Nimm es«, flüsterte sie. »Befreie mich, Kyak.« Mit einem Ruck riss Liam seine Hand zurück. Schnell stütze ich Ivie an den Schultern ab, damit sie nicht nach hinten sackte. 

Liam hielt einen goldenroten Steinsplitter umklammert. Ivie lächelte mich an. »Ach, Sturmmädchen.« Ihre Stimme zitterte und auf einmal verschwand all mein Hass gegen die rote Frau. Sie war eine zerbrochene Seele. Sie hatte verloren, was sie am aller Meisten geliebt hatte. »Ich hätte wissen ... müssen, dass ein Drache ... in der Lage ist, ... den Splitter zu entfernen ... Mit ... den Jahrhunderten«, sie hustete, »bin ich schwächer geworden. Doch du, du ... bist stärker als ich ... vielleicht kannst du ... « Sie hustete erneut. Blut tropfte von ihren Lippen. Makans Drachensplitter fing Feuer. Die Flammen griffen auf Ivie über, wanderten über ihre Arme, über ihre Brust, verbrannten ihr Kleid, hüllten sie schließlich ganz ein. Erschrocken ließ ich sie los. Doch Ivie blieb knien. Sie schrie nicht. Das Feuer fühlte sich nicht heiß, sondern warm an. Warm, von einer tiefen Liebe, die selbst den Tod überdauerte. 

Makans Drachenherz zerfiel zu Staub und auch die rote Frau begann sich aufzulösen. 

»Es ist endlich vorbei«, murmelte sie. »Ihr habt Makans und meine Seele befreit. Wir dürfen nun weiterziehen ... Und ... vielleicht seid ... ihr die Begründer ... einer neuen Zeit.« Mit diesen Worten legte sie den Kopf in den Nacken. Ein letztes Mal loderten die Flammen auf, dann zerfiel auch Ivie zu Staub. Ihre Worte schwangen bedrohlich schwer in der Luft. Doch der Wind trug sie hinfort. 

Ich zitterte. Liam legte seinen Arm um mich und zog mich an sich. 

»Jetzt wird alles gut«, flüsterte er. 

»Ja«, sagte ich mit einem halben Lächeln auf den Lippen. Schwindel der Erschöpfung machte meinen Kopf schwer und ich ließ ihn auf seine Schulter sinken. Nur einen Moment. Nur einen Moment vergessen, dass Flynn tot war, Lydia im Koma lag und meine Mutter dachte, ich wäre irre. Nur einen Moment vergessen, dass nach diesem Krieg so viele Wunden versorgt werden mussten. Einfach nur verharren ... und atmen. Zusammen. Denn wir, wir waren noch am Leben und wir, wir waren geheilt.

»Lass uns noch ein wenig bleiben, bevor wir zurückehren«, tasteten seine Gedanken über die Oberfläche meines Weltenmeers. Ich ließ mich sinken, ließ mich von seinen goldenen Flammen umhüllen. 

Seite an Seite saßen wir da und sahen dabei zu, wie die Asche der roten Frau, dem Grau eines neuen Morgens entgegenwehte.

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt