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Ich kam gerade rechtzeitig zu Biologie. Normalerweise saß ich dort alleine, aber dieses Mal setzte sich Flynn neben mich. 

»Ich habe dich heute noch überhaupt nicht gesehen«, raunte er mir zu, während Frau Karin den Overheadprojektor vorbereitete. 

»Kann ja mal passieren«, erwiderte ich und versuchte mich möglichst unauffällig nach Liam umzusehen. Auch in Biologie saß er ganz hinten, aber dieses Mal entdeckte ich nur Kevin und Isabell, die damit beschäftigt waren, ihre Speicheldrüsensekrete miteinander auszutauschen. 

»Wenn auch die hintere Reihe damit fertig ist, sich gegenseitig die Zunge in den Rachen zu schieben, würde ich gerne mit dem Unterricht anfangen«, ertönte die helle Stimme von Frau Karin. Ich unterdrückte ein Grinsen und wandte mich nach vorne. 

»Hast du etwa geschwänzt?«, fragte mich Flynn und an seiner Stimme konnte ich heraushören, dass ihm dieser Gedanke gefiel. 

»Ich würde gerne etwas vom Unterricht mitbekommen«, erwiderte ich. 

Flynn schnaubte leise. »Schon klar. Du bist ja auch ein Streber. Allein wie du immer redest, als wärst du so ein möchtegern Akademiker.« Das saß. Dabei war ich nicht wirklich ein Streber, ich las nur viel und schnell, wobei ich in der letzten Zeit kaum ein Buch in der Hand hatte. Gerade plagten mich auch wirklich andere Sorgen, als mein Leseverhalten, oder ob ich mich wie ein möchtegern Akademiker anhörte, oder nicht. Am liebsten hätte ich mich gemeldet und Frau Karin gefragt, ob es unter Sauerstoffmangel möglich war, sich ominösen Retter einzubilden, die nach Zedernholz dufteten und darüber hinaus über übernatürliche Fähigkeiten verfügen mussten, aber sie hätte diese Frage sicher nur mit einem skeptischen Blick quittiert.

»Yara?«, ertönte ihre Stimme. Ich fuhr zusammen und schaute sie an wie ein aufgescheuchter Gnom. Frau Karin sah aus wie eine Elfe. Groß, schlank, mit spitzen Ohren und einem sehr eleganten Kleidungsstil. »Kannst du uns ein Beispiel für eine genetische Krankheit geben?«, fragte sie zuckersüß und hob ihre roten Lippen zu einem schmalen Lächeln an. Ich schüttelte den Kopf über meine phantastischen Gedanken.

»Nicht?« Sie hob eine Braue.

»Was? Ähm, doch ... « Ich sollte mich echt mal zusammenreißen. »Progerie, Brugada Syndrom, Zystische Fibrose ... «

»Nicht schlecht.« Frau Karin nickte anerkennend und schrieb die Krankheiten an die Tafel. »Zystische Fibrose, sogar der Fachausdruck für Mukoviszidose«, murmelte sie.

»Streber«, zischte Selina, die links von mir an der Wand saß. Immerhin muss ich meine Inkompetenz nicht hinter Tonnen von überteuerten Kosmetikprodukten verbergen, lagen mir die Worte auf der Zunge. Doch ich schwieg und beschloss mein Großhirn daraufhin zu konditionieren, solche Kommentare direkt wieder zu löschen.

»Und was soll ein Brugada Syndrom sein?«, fragte Amelie, die neben Natalie ganz vorne saß und fast jede Frage in Biologie beantworten konnte. Ich wäre beinahe stolz auf mich gewesen, wäre mein Vater nicht an dieser Krankheit gestorben.

»Das ist eine angeborene Herzrhythmusstörung, die oft unentdeckt bleibt. Die meisten leben ohne Beschwerden, aber ... « Ich schluckte einen schweren Kloß hinunter, » ... es kann im schlimmsten Fall zu einem plötzlichen Herztod führen«

»Sehr gut Yara, darf man fragen, woher du das weißt? Habt ihr das in Berlin an der Schule durchgenommen?« Frau Karin drehte sich zu mir um, aber mir kam die Tafel auf einmal unglaublich weit weg vor. Ihr elfengleiches Gesicht verschwamm vor meinen Augen und auch meine Mitschüler, die sich alle zu mir umgedreht hatten, sah ich nur noch schemenhaft. Etwas zwickte mich in die Halskuhle, aber dort lag kein Stein mehr, der auf meine Gefühle reagierte. Auf einmal fühlte ich mich einsam und ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu weinen. 

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt