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Am dritten Tag, ein Freitag, fühlte ich mich schon um einiges besser, hatte aber immer noch etwas Fieber. Meine Mum war bereits arbeiten, als es klingelte und unerwarteter Besuch vor der Tür stand. 

»Flynn, Lydia.« Etwas irritiert lehnte ich mich gegen den Türrahmen und schob die Hände in meine Jogginghose. 

»Hallöchen. Wir wollten nach dir sehen«, verkündete Lydia, während Flynn nur grinste. 

»Ähm, danke.« Ich wies in Richtung Flur. »Wollt ihr reinkommen?«

Ich machte uns Tee und wir setzten uns an den Küchentisch. Lydia holte einen Stapel Zettel aus ihrer Tasche. »Das sind die Blätter, die wir in Mathe und Geschichte bekommen haben.«

»Wir haben übrigens die Klausuren wiederbekommen«, fügte Flynn hinzu. Er lehnte sich im Stuhl zurück und warf mir ein fast schon schüchternes Lächeln zu. Dieser Junge überraschte mich immer wieder aufs Neue. »Und Frau Karin hat nach dir gefragt. Wollte wissen, wie es dir geht.«

»Oh.« Die Sache in Biologie hatte ich fast schon wieder vergessen. 

»Aber keine Sorge«, Flynn hob beschwichtigend die Hände. »Ich hab ihr nichts erzählt.«

Lydia sah zwischen uns beiden hin und her. »Was hast du ihr nicht erzählt?«

»Ach gar nichts!« Flynn kratze sich verlegen am Nacken. Ich stütze meinen Kopf auf meine Hände und musste lächeln. 

»Oh, bist du müde?«, fragte Lydia. »Sollen wir wann anders wiederkommen?«

»Nein. Ich ... «

»Sie ist überrascht«, sagte Flynn und verschränkte die Arme vor seinem Trägershirt. 

»Überrascht, worüber denn?« Lydia machte große Augen. In ihrer hellrosanen Bluse sah sie ziemlich niedlich aus. Erneut musste ich an die Metapher denken, die mir am Montag in der Schule eingefallen war. Lydia war die rettende Hand, die Insekten aus dem Spinnennetz befreite. Ein gütiges Wesen, ein wenig wie eine Fee, aber für die Spinne war sie nicht gütig. Nein, die Spinne musste verhungern. Und wieder dachte ich an Liam, dachte daran, wie er die Kekse in sich hineingestopft hatte. 

»Sie ist überrascht, uns hier zu sehen«, beendete Flynn seinen Satz und riss mich damit aus meinen Gedanken. 

»Ach so.« Lydia lachte. »Hat dir Berlin niemand die Hausaufgaben vorbeigebracht, wenn du krank warst?«

Doch schon, dachte ich. Mia. Meine beste Freundin. Zumindest bis zur Zehnten, danach hatte sie eine Ausbildung als Buchhändlerin angefangen. Aber nicht das Mädchen, welches ich kaum kannte und ganz sicher nicht der Stufenschwarm. Ich nickte und schüttelte dann gleich darauf den Kopf, was Lydia zum Kichern veranlasste und Flynn ein Stirnrunzeln entlockte. 

Ich fragte mich, welche Rolle er in dem Spinnennetz spielte. Er musterte mich und als er bemerkte, wie ich ihn dabei erwischte, lief er knallrot an. Lydia klopfte Flynn auf den Rücken. »Eigentlich wollte ich alleine kommen, aber unser Frauenheld hier wollte unbedingt mit.«

»Was soll ich auch sonst machen, wenn Yara nie mit mir Eis essen gehen will«, beschwerte sich dieser und verbarg sein Gesicht hinter der Teetasse. »Sag mal, hast du nichts Härteres da, außer Tee?«

»Du kannst auch nur an Alkohol denken.«

»Eine Cola würde mir schon reichen.«

Ich stand auf. »Ich schau mal, was ich finde!« Doch als ich gerade zur Küchenzeile laufen wollte, überkam mich das bedrängende Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Ein eisiger Schauer lief mir den Rücken hinab. Lydias und Flynns Stimmen, die sich über übermäßigen Konsum von Alkohol drehten, verblassten. Stattdessen drängte sich das Geräusch meines eigenen Herzschlages in den Vordergrund. Ich fühlte mich wie in einer Blase aus schillerndem Glas, die mich von der Außenwelt ausschloss. 

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt