Ich zog mich in die Küche zurück, machte den Tee und gab die Salzstangen in eine Tasse. In meiner Brust füllten sich die Löcher, die meine Mum hinterlassen hatte, mit Liams einzigartiger Wärme, die schon jetzt den ganzen Raum einnahm. Er heilte mich, einfach nur, indem er da war. Doch das alles änderte nichts daran, dass sich tief in meiner Seele ein Sturm zusammenbraute. Ein Sturm, dem weder Liam noch ich entkommen konnten.
Er war schwerkrank.
Lydia lag im Koma.
Und die Insel rief nach mir.
Ich kehrte mit einem Tablett mit dem Tee und den Salzstangen zu ihm zurück und positionierte alles auf unserem gläsernen Fernsehtisch, bei dem meine Mum regelmäßig ausrastete, wenn man auch nur ein wenig kleckerte. Aber meine Mum war jetzt nicht hier.
Liam richtete sich auf und ich setzte mich neben ihn. Der Duft nach Zedernholz stieg mir in die Nase und am liebsten hätte ich mein Gesicht an seinen Nacken gedrückt.
»Danke«, sagte er und sah mich kurz an. Seine Augen glänzten fiebrig.
»Wie fühlst du dich?«, fragte ich und beobachtete wie er sich, mit zitternden Händen, ein paar Salzstangen nahm.
»Leer«, murmelte er und fing an zu essen.
Fassungslos sah ich dabei zu, wie er die Salzstangen in sich stopfte wie damals im Krankenhaus die Kekse.
»Liam«, versuchte ich ihn zu bremsen. »Wenn du so hastig isst, wirst du dich gleich wieder übergeben müssen.«
Er hörte auf zu essen und sah mich an.
»Ent-entschuldige, ich ... ich ... «
»Schon gut.« An seinem rechten Mundwinkel klebten ein paar Krümel und ich strich sie mit dem Zeigefinger weg.
Er beugte sich ein kleines bisschen zu mir vor.
»Ich kann es nicht aushalten«, rasten seine Gedanken durch mich hindurch. »Dich so nah bei mir zu haben.«
»Wieso nicht?«, flüsterte ich und verschränkte meine Finger ineinander. Bitte, flehte ich stumm. Bitte, stoße mich nicht von dir fort. Denn ich kann es nicht ertragen, dich nicht in meiner Nähe zu wissen.
»Menschen, die mir zu nahekommen, verändern sich.« Er legte zwei Finger auf meine Oberlippe. Mein Herz fing an zu rasen. Seine Hitze pulsierte zwischen uns hin und her. »Sie werden verrückt. Oder krank. Aber dann habe ich dich gesehen und du ... du bist ... anders. Du bist anders als meine Pflegegeschwister, du bist anders als meine Pflegemutter, deren Liebe zu mir, etwas in ihr zerstört hat. Die verrückt geworden ist ... Du bist stärker. So viel stärker. Die Geister der Luft und des Wassers haben dich ständig umgeben, auch wenn du sie nicht gesehen hast. Sie haben mir zugeflüstert wie stark du bist. Und doch ... «
»Und doch?«, fragte ich in seine Gedanken hinein. Er hatte noch nie so lange telepathisch mit mir kommuniziert und auf seiner Stirn hatten sich bereits Perlen aus Schweiß gebildet.
»Ich werde ... sterben«, sagte er und ließ seine Hand sinken. »Das spüre ich.«
»Das werde ich nicht zulassen!«, sagte ich sofort und ein kleiner Luftzug fegte über uns hinweg.
»Du ... du weißt nicht, was ... du bei mir auslöst.« Liam holte tief Luft. »Es ist so unerträglich, dich so nah bei mir zu haben und dich nicht berühren zu können.«
»Du kannst mich berühren. Ich werde nicht zerbrechen wie deine Pflegeeltern. Ich werde nicht zerbrechen wie mein Vater, ich werde nicht zerbrechen wie meine Mum ... « Ich griff nach seinem Inneren, bekam es zu fassen und ließ mich tief in seinen Ozean aus goldenen Flammen fallen. Nun konnte ich sie sehen. Die schwarzen Flecken, von denen Klara gesprochen hatte.
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Herz aus Salz und Glut
FantasyEin Junge, der schweigt. Ein Mädchen, das die Wellen bändigt. Und ein Geheimnis, das nur allein das Meer kennt. Yara zieht mit ihrer Mutter an die Nordseeküste, um ein neues Leben zu beginnen. In ihre Stufe geht Liam, der nicht spricht und niemanden...