-12.3-

32 5 0
                                    

Am liebsten wäre ich noch vor der ersten Stunde ins Krankenhaus gegangen, aber meine Mum hatte sich nicht davon abbringen lassen, mich höchstpersönlich vor dem Schultor abzusetzen. Mit mir gesprochen hatte sie dabei nicht, aber das war mir gerade sowieso lieber. 

Ich suchte die Aula nach Liam ab, konnte ihn aber nirgendwo finden. Schließlich war es Flynn, der mir im Gang zum Geschichtsraum entgegentrat. 

Der Bereich um seine Nase war blau und violett angelaufen. Sonst wirkte er blass. Graue Ringe lagen unter seinen Augen. In dieser Hinsicht sah er nicht viel besser aus als ich. 

»Lydia ist im Krankenhaus«, sagte er sofort und in seiner Stimme schwang ehrliche Sorge mit. 

Ich blieb stehen und blickte kurz in seine hellen Augen. »Woher weißt du das?«

»Unsere Eltern sind ziemlich gut befreundet.« Flynn legte die Stirn in Falten. »Du wirkst nicht sonderlich überrascht.«

»Doch ... doch ... ich ... was ist denn passiert?«

Der Hüne zog die Schultern hoch. »Die Ärzte wissen es noch nicht.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich darf es eigentlich nicht sagen, aber mit Selina oder Kevin will ich nicht darüber reden.« Er holte tief Luft. »Lydia wird gerade noch operiert. Sie hat eine schwere Gehirnblutung.«

»Wie bitte?!« Ich wich einen Schritt zurück. 

»Ich hab keine Ahnung, wie schlecht es aussieht.« Flynn zuckte mit den Schultern und lehnte sich gegen die Wand. »Meine Eltern sind total fertig. Und Lydias Eltern erst ... Mein Gott ... «

»Flynn«, brachte ich mit zitternder Stimme hervor. »Bitte ... sag mir, dass das nicht wahr ist. Bitte ... « Ich musste schlucken. 

»Vielleicht solltest du dich setzten.« Er nahm meine Hand und zog mich neben sich. »Das nimmt dich ganz schön mit, was? Keine Sorge, ich bin sicher, die Ärzte kümmern sich gut um sie.«

Er drückte meine Schulter und dieses Mal fühlte sich seine Nähe nicht unangenehm an, sondern tröstend. 

»Ich war bei ihr, als es passiert ist«, platze es aus mir heraus. Ich sank an der Wand entlang zu Boden. 

Flynn folgte meiner Bewegung. »Wie, du warst bei ihr?«

»Wir ... « Ich schluckte. »Wir waren am Meer und dann, dann ist sie plötzlich aufgetaucht und zusammengebrochen. Ich ... ich habe den Krankenwagen gerufen. Aber ich wusste nicht, dass ... dass es so schlimm ist.«

»Wieso hast du mir das nicht gleich gesagt?« Ich spürte Flynns Blick auf mir haften und schaute zu Boden. 

»Und wieso wir? Wer war denn bei dir?«

Ich biss mir auf die Unterlippe und schwieg.

»Wieso willst du mir das denn nicht sagen?« Er lachte leise und stieß mir leicht gegen die Seite. »Ich werde schon nicht eifersüchtig. Du kannst es mir ruhig erzäh-« Flynn hielt inne, dann sprang er auf und stellte sich vor mich. »Sag bloß ... Wir ... wir ist Liam und du?!« Seine Stimme bebte vor Wut. Ich blickte ihm trotzig entgegen. 

»Selbst, wenn, was hat das denn mit Lydia zu tun? Außerdem geht es dich nichts an!«

»Es geht mich nichts an?!« Flynn schnaubte laut und fuhr sich durch die Haare. Einige aus unserer Stufe blickten zu uns herüber, aber das schien den Hünen nicht zu stören. »Du bist so dumm, Yara!«, rief er. »Du bist so ... « Er ballte die Hände zu Fäusten. »Liam ist gefährlich!« Flynn deutete auf seine Verletzung. »Das hast du doch selbst gesehen! Du hast keine Ahnung, wer er ist, oder zu was er in der Lage ist!«

»Ach ja, und du weißt, wer er ist, oder was?!«, rief ich aufgebracht. 

Selina kam zu uns herübergeschaukelt. »Was geht denn bei euch?«, erkundigte sie sich mit einem abfälligen Lächeln auf den Lippen. 

»Halt dich da raus!«, fuhr ich sie an, rappelte mich hoch und eilte, so schnell es mit meinem Muskelkater eben ging, aus dem Gang ins Treppenhaus. 

Flynn folgte mir natürlich. »Ich weiß, wozu er im Stande ist«, redete er sofort wieder auf mich ein. »Liam ist nicht normal! Wusstest du, dass er schon mal jemanden umgebracht hat?! Und seine Pflegemutter hat sich wegen ihm ins Koma gesoffen!« Ich holte aus und wischte Flynn eine. 

Dieser starrte mich aus großen Augen an. 

»Und das glaubst du wirklich?«, hauchte ich. Tränen brannten in meinen Augen. Tränen der Erschöpfung und der Verzweiflung. »Halte dich einfach fern von Liam und mir. Das ist besser für uns alle.«

Flynn rieb sich über die Wange. »Ich kann einfach nicht mit ansehen, wie du dich in dein Verderben stürzt!«

»In mein Verderben? Jetzt wird aber jemand pathetisch.«

»Scheiße, man, Yara, nimm das ernst! Liam ist nicht immer so ruhig und schweigsam. Er hat ernsthafte Aggressionsprobleme!« Mir liefen ein paar Tränen über die Wange, während ich innerlich schallend lachte. So langsam drehte ich wirklich durch. 

Als mich Flynn unbeholfen in die Arme nehmen wollte, drückte ich hin von mir. 

»Hat er dir denn schon jemals etwas getan? Oder dir wehgetan? Ausgenommen das mit deiner Nase.«

»Nein«, räumte Flynn ein. »Zumindest nicht direkt. Aber ich weiß, wovon ich spreche!«

»Das tue ich auch«, sagte ich und wischte mir die Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht. 

»Das glaube ich kaum.«

»Was hast du eigentlich mit Liam?«, fragte ich. »Wieso kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen?«

»Wir ... « Flynn wurde rot und senkte den Kopf. 

»Er hat dir mal etwas bedeutet, oder? Ihr wart doch mal Freunde, stimmt doch, nicht?«, bohrte ich weiter. 

»Das ist lange her.«

»Denkst du nicht, er hätte seinen Freund gebraucht?«

»Was weißt du schon?!« Flynn schnaubte und stierte mich zornig an. »Liam ist wie eine Droge, die einen kurz glücklich macht. Aber die Nebenwirkungen, die sind es einfach nicht wert.«

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt