-8.1- Feuer und Eis

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Nachdem ich fast den ganzen Sonntag verschlafen hatte, wachte ich am Montag bereits um halbfünf auf.
Ich nutze die Zeit, um endlich mal wieder meine Mails zu checken.
Mia hatte mir geschrieben:

Liebe Yara,

ich habe noch lange über unser kurzes Nachtgespräch nachgedacht, auch wenn ich mich seitdem nur per kurzen SMSen gemeldet habe.

Mir fliegt gerade alles um die Ohren. Die Buchhandlung in der ich arbeite, steht kurz vor der Pleite und das Berufskolleg macht Stress. Die Jungs in meiner Ausbildungsklasse – nein, damit will ich überhaupt nicht anfangen! Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich da sein kann. Du bist so weit weg und ich mache mir Sorgen.

Du wärst beinahe ertrunken und du kannst es deiner Mum nicht erzählen, weil sie sonst durchdreht. Ich kenne sie ja auch ein bisschen.

Meine Liebe, du bist so ein intelligentes und empfindsames Wesen – du musst auf dich aufpassen!

Nimm dir deine seltsamen Träume nicht zu sehr zu Herzen, du bist eben ein kreativer Kopf. Ich weiß, dass du stark bist und du willst immer alles alleine schaffen, aber ich will, dass du weißt, dass du mir immer schreiben kannst, auch wenn ich nicht sofort antworte.

Und wenn es dringend ist, dann darfst du mich so oft wachklingen wie du willst. Telefonterror ist erwünscht ;)

Ach Mist, würden unsere Sommerferien parallel verlaufen und ich nicht nach England fliegen, dann wäre ich ganz schnell, ganz lange bei dir!

Nun aber zu diesem äußerst seltsamen Jungen. Schon klar, dass du dich nur in die Komischen verguckst. Etwas anders habe ich von dir auch nicht erwartet.

Dass er nicht redet, hat ja durchaus seinen Charme. Schön geheimnisvoll und, nun ja, ruhig.

Die Jungs, die ich in der Ausbildung bisher kennengelernt habe, quasseln den ganzen Tag, als müssten sie die Wörter wieder loswerden, die sie als angehende Buchhändler lesen.

Pass aber auf, dass du dich da nicht in etwas verrennst. Wenn er kein Interesse an dir zeigt, hat er dich schlicht weg nicht verdient. Ich hoffe das weißt du!

So, zum Abschied noch ein paar Wörtchen zu deiner Mutter:
Sei nicht zu hart zu ihr, ok? Sie hat Angst um dich und ich kann's verstehen. Ihr habt beide eine wichtige Person in eurem Leben verloren, sie will dich nicht verlieren.

Oh man, das sage ich, die sich auch immer so blenden mit ihrer Mutter versteht :D

Aber ich denke, du weißt, was ich meine!

Manchmal hilft es, ganz offen miteinander zu reden – hab ich mal so gehört :O War bestimmt so ein Einsiedlerphilosoph ;)

Ich drück dich ganz doll und grüße das Meer von mir, ja?

Deine Mia

Ich las die Mail zweimal, ehe ich zu einer Antwort ansetzte. Mir fiel es mal wieder nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, also erkundigte ich mich einfach nach ihrem Ausbildungsbetrieb und fragte, ob sie sich denn für einen Jungen interessierte. Ich erzählte ihr, dass Liam und ich uns getroffen hatten, dass er auf mich zugekommen war und sogar mit mir gesprochen hatte. Zumindest kurz. Aber alles andere ließ ich aus. 

Ich wünschte, ich könnte sie wirklich immer anrufen, wenn mir etwas auf dem Herzen lag, aber ich traute mich einfach nicht, ihr die ganze Wahrheit zu erzählen.

Wie würde sie darauf reagieren?

Vielleicht würde sie mir vorschlagen, ein Buch zu schreiben. Vermutlich würde sie mir das alles überhaupt nicht abnehmen und denken, ich würde an einer phantastischen Geschichte arbeiten, die Parallel zu meinem Leben verlief. Und ehrlich gesagt fühlte ich mich gerade auch so. Als würde ich zwei Leben in einem leben. So etwas konnte eine Weile gut gehen, aber sicher nicht für immer.

Für immer. Was für machtvolle zwei Worte. Ich seufzte und beendete die Mail mit den Worten:

Lieb von dir, dass du dir so viele Gedanken machst. Dein Rat konnte mir bisher immer weiterhelfen. Ich werde versuchen, Mum etwas entgegen zu kommen. Vielleicht entspannt sie sich dann auch wieder.

Melde dich einfach, wenn du Luft hast!

Ich drücke dich und grüße dich einfach mal vom Meer zurück.

Deine Yara.

Mit einem seltsamen Gefühl in der Magengegend stellte ich mich unter die Dusche. Ausnahmsweise dachte ich nicht über Liam und unsere besonderen Fähigkeiten nach, sondern über das, was Mia mir über meine Mutter geschrieben hatte.

Ich konnte sie, nach allem, was wir durchmachen mussten, nicht einfach aus meinem Leben sperren. Zumindest nicht aus beiden Leben. Irgendwie musste ich ihr zeigen, dass ihre Tochter, ihre ganz gewöhnliche Tochter, nicht einfach so verloren gehen würde. Schließlich würde sie immer meine Mum bleiben, egal was passierte. 

Aber wie? Und was, wenn ich doch verloren ging? Was wenn in mir ein Ich schlummerte, dass sie nicht wiedererkennen würde? Was, wenn ich mich irgendwann selbst nicht mehr wiederkannte?

Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich mit der Stirn gegen die Duschkabine. Wenn ich das Wasser bändigte, dann fühlte ich mich mir viel näher. Allerdings konnte man auch in sich selbst verloren gehen. In seinen Gedanken und Gefühlen. Das hatte ich kurz nach dem Tod meines Vaters miterleben müssen. Und meine Mum auch. 

»Das Meer erinnert sich.« 

Ich wirbelte herum und stieß mit dem Rücken gegen den Wasserhahn. Das Brausen der Dusche verstummte. Nur noch ein leises Tröpfeln war zu hören. 

»Liam?«, flüsterte ich und schlang die Arme um meinen nackten Körper. Ich hatte eindeutig eine Stimme in meinem Kopf gehört, aber es war nicht die seine gewesen.

Dieses Flüstern hatte sich kühl und klar angefühlt. Und alt. Ich hatte es schon einmal gehört. Zuerst auf dem Boot und dann, als mich Flynn und Lydia besucht hatten. 

»Das Meer erinnert sich an was?«, murmelte ich, während ich aus der Dusche trat und mir eilig ein Handtuch um den Körper wickelte. Ich fühlte mich beobachtet. 

»Das Meer erinnert sich an alles ... « Fast hätte ich aufgeschrien. Das Flüstern klang ganz dicht an meinen Ohren, aber gleichzeitig schien es aus mir emporzusteigen. Etwas regte sich in meinem Inneren und für einen Moment sah ich wogendes, grünblaues Wasser vor mir. 

Mein eigenes Meer, schoss es mir durch den Kopf. Nein, ein ganzer Ozean. Ein Weltenmeer meiner Seele. 

Ich erschauderte und griff mir an die Stirn. Wurde ich am Ende doch verrückt? Vielleicht lag ich seit meinem Nervenzusammenbruch damals in einer Klinik und phantasierte vor mich her. 

Diese Vorstellung bereitete mir Gänsehaut und ich kniff mich in die Narben. Der beißende Schmerz konnte mich ein wenig beruhigen. Ich schlief nicht, war auch nicht benebelt. Im Gegenteil fühlte ich mich so wach und klar wie lange schon nicht mehr. 

Herz aus Salz und GlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt