Dreizehn

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Status: Überarbeitet

23.12.2007

»Oh, wie schön. Meine beiden Söhne.« Man hörte ihre Mutter schon von der Küche, während sie mit offenen Armen auf sie zukam und direkt in die Arme schloss. Sie hatten nicht einmal die Zeit, sich der Jacke zu entkleiden.
»Wurde auch mal Zeit, dass ihr uns besucht. Ich habe euch vermisst.« Ihre Freude verteilte sie schon seit der gesamten Woche, sobald sie wusste, dass sie ihre beiden Söhne wiedersehen würde.
»Hallo, Mama«, sagte Yoongi und nahm seine Mutter ein weiteres Mal in die Arme, bis sein Vater kam und er diesen drückte. »Schon euch wiederzusehen.«
»Mama, nicht so fest!«
»Ach du - entschuldige, Yun.« Monate war es her, als sie sich das letzte Mal sahen. Sie freute sich so sehr, dass sie ihr Sohn fast zu Tode gedrückt hätte.
»Na, großer? Wie sieht es bei dir aus?«
Stumm zuckte Yun mit seinen Schultern.
»Lass dich drücken, mein Sohn.« Donghae lachte glücklich und nahm seinen Jüngsten in die Arme, doch mehr als ein erschöpftes Lächeln konnte Yun nicht von sich geben. Die Eltern waren besorgt, denn sie hatten einen etwas fröhlicheren Yun erwartet. Einen manischen Yun.
»Wie lange geht das schon so, Yoongi?«
»Seit ein paar Wochen. Zwei vielleicht, ich weiß es nicht so genau.«
»Du selbst kommst doch damit gut zurecht, oder?«, fragte Mina. Sie wollte sicher gehen, dass Yoongi keine Probleme hatte, und auch dass Yun keine hatte. Es schmerzte ihr ihren jüngsten Sohn zu sehen, und wenn sie könnte, würde sie all seine Hindernisse auf sich nehmen.
»Ja, Mama. Alles okay.«

Nach langer Zeit saß die Familie wieder zusammen am Esstisch und aßen zu Mittag. Alle waren hungrig und konnten sich gerade noch davon abhalten, sich das Essen in den Mund zu stopfen. Mina wollte unbedingt schon am Mittag mit allen zusammen essen, so ließ sie es nicht zu, dass ihr Mann noch vor Anreise ihrer Söhne schon etwas aß. Sie wusste, er würde ansonsten vor der Glotze sitzen und sich die Nachrichten anschauen.
Yun hingegen - er stocherte bloß in seinem Mittag herum, schob es hin und her und schaute es lustlos an. Er hatte keinen Hunger, wollte daher nicht essen, wobei er wusste, dass er es musste. An dem Tag hatte er noch nichts gehabt, er spürte schon Yoongis Blick auf ihn, der ihn sagte: Iss etwas!
»Wie läuft es in der Schule, Yun?«, fragte ihn sein Vater und biss vom Brot ab.
»Gut«, sagte Yun kleinlaut. Noch ein Blick seines Bruders spürte er förmlich auf sich brennen, denn Yoongi wusste, was wirklich vor sich ging. Yuns Noten waren katastrophal, sie verschlechterten sich mit jeder Arbeit. Yoongi musste bereits ein paar Gespräche mit seiner Klassenlehrerin führen, was das anging. Yun konnte nichts dagegen machen, gegen seiner fehlenden Konzentration. Sie hatte ihn verlassen, mit einem Mal, und sie kam auch nicht zurück. Weder in der Schule, noch Zuhause, wenn beide sich hinsetzten und zusammen für Arbeiten lernten. Es brachte nichts. Das Letzte, was Yun wollte, war, dass seine Eltern sich um ihn Sorgen machten. So log er sie an, doch sie glaubten ihm nicht, dennoch sie beließen es dabei.
»Wie läuft es bei dir, Yoongi?«
»Alles Super, Paps.«
»Was ist mit Jimin?«, fragte Mina. »Wie geht es ihm?«
»Ihm geht es bestens.«
Yun nahm das Gespräch nur halb wahr, er war gefangen. Die mentale Erschöpfung machte dem Jungen zu schaffen. Wochen lang fühlte er sich bereits lustlos, wie betäubt, leer ... Seine depressive Episode begann, stärker denn je. Yun gab es auf, sich das Essen bloß anzuschauen, um sich vielleicht so zu überwinden, ein wenig davon einzunehmen. Er stand einfach auf, ließ alles stehen und liegen und ging in sein Zimmer, sperrte sich ein. Er wollte allein sein, niemanden um sich herum haben und die Zeit bis zum nächsten Morgen totschlagen. Sein Zimmer sah noch genau so aus, wie an dem Tag, als er seine Heimat verließ. Es beruhigte ihn, dass alles hier noch beim alten war.
Yoongi seufzte und stand auf. »Ich bin gleich wieder da.«
Vor Yuns Zimmer wartete er einen Moment, und lauschte, ehe er es wagte zu klopfen. Yoongi hatte ihn schon das ein oder andere Mal weinend im Zimmer auffinden dürfen.
»Yun«, sprach er sanft und hielt seine Hand an der Türklinke.
»Öffne bitte die Tür.«
»Ich will nicht ...«
»Bitte, Yun. Ich habe dir doch versprochen, dass wir alles gemeinsam durchstehen werden. Das geht nicht, wenn du mich nicht reinlässt.« Für wenige Sekunden blieb es still, doch dann ertönte ein Klicken. Man drehte den Schlüssel um, das Schloss war offen und Yoongi trat hinein. Er blieb am Türrahmen stehen und blickte zu seinem Bruder, welcher sich wieder in eine Decke einwickelte. Müde fragte Yun: »Ist was?«
»Yun«, sprach der ältere besorgt und setzte sich zu seinem Bruder aufs Bett. »Erzähl schon.« Geduldig wartete er auf eine Antwort.
»Was gibt es da noch zu erzählen.«
»Weißt du, manchmal hilft es, sich zu öffnen. Du musst auch nicht alles erzählen, aber lass mich dir helfen.«

Sie waren auf dem Weg zu einem Lebensmittelladen, denn Mina gib ihnen die Aufgabe, die Einkaufliste für den morgigen Tag durchzugehen und die nötigen Dinge einzukaufen. Yoongi fand, dass es seinem Bruder guttun würde, wenn er mitkam. Die frische Luft, der weiße Schnee und die eisige Kälte würden hoffentlich für Yuns Verstand eine Abwechslung sein.
»Nein«, sagte Yun wissend, dass Yoongi hinter ihn mit einem Schneeball in der Hand stand.
»Was ein Spießer ...« Innerlich zwinkerte Yoongi, ehe er dann doch den Schneeball warf und genau den Kopf seines Bruders traf.
»Mann, hör auf!«
»Wieso sollte ich?« Yoongi musste lachen und warf dann einen zweiten Schneeball, jedoch verfehlte er sein Ziel.
»Ich meine es ernst!«
»Ach komm, ich versuche dich hier etwas aufzumuntern. Spiel mit, das macht Spaß!«
»Wir sollen für morgen Mamas Einkaufsliste durchgehen, nicht unsere Zeit vertrödeln.«
Schweren Herzens seufzte der ältere. Egal, was er tat, nichts schien ein Lächeln auf den Lippen seines besten Freundes zu zaubern. So sehr er sich anstrengen mochte, es schien nicht genug.
»Ist ja gut.«
Mit roten, zugefrorenen Nasen betraten sie den Einkaufsladen. Sie hätten mit dem Auto fahren können, der jüngere fragte auch, warum sie dies nicht taten, doch Yoongi wollte zu Fuß gehen. Ihr Ziel war nicht weit genug für eine Autofahrt entfernt.
»So«, sagte er und ging die Liste durch. »Zuerst die Kartoffeln.«
Schnell fanden sie diese, legten sie in den Einkaufswagen und liefen weiter, bis Yun stehen blieb. »Yun?«, fragte Yoongi und drehte sich um. Der kleinere blieb vor den Süßigkeiten stehen, schaute mit großen Augen all die Schokoladen an.
»So, so. Du willst also etwas Süßes.« Lächelnd näherte er sich Yun und folgte dessen Blick. Stumm nickte Yun und schaute nach oben, da, wo er nicht herankam. »Bekomme ich die Zartbitterschokolade?«
Ohne groß zu überlegen, nahm Yoongi sich zwei Tafeln und hielt sie seinem Bruder hin. »Aber nicht Mama und Papa sagen, es gibt bald Abendessen.«
Endlich, Yun lächelte. Yoongi freute sich, ihn so wieder sehen zu dürfen. Es geschafft zu haben, seinen Bruder für einen Moment glücklich zu sehen.
»Geht doch«, sagte er glücklich.

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