Siebzehn

70 7 0
                                    

Status: Überarbeitet

- Yoongi -

Die Augen meines Verlobten weiteten sich für den Bruchteil einer Sekunde. Jahre hatten Jimin und Yun sich nicht gesehen, und nun saß er da, auf unserem Sofa und startete sein Beginn mit dem Erinnerungsstand von vor fast zwölf Jahren. Vieles hatte sich verändert, wir kamen im Leben weiter, während der neue Yun einen Neuanfang starten konnte, ohne all seine Probleme, entstanden durch die Bipolare Störung. Yun war nicht Yun, doch zur selben Zeit war er es doch.
»Weiß er nicht, dass er ein Roboter ist?«
Stumm schüttelte ich den Kopf und ging dann auf Yun zu. »Höre zu.« Mein Ton war ruhig und vorsichtig. Einen Moment verfing ich mich in meinen Gedanken und suchte nach den richtigen Worten. Es musste doch eine Möglichkeit geben, Yun diese Nachricht schonend mitzuteilen. Ich war wirklich erstaunt von meinem Talent, wie menschlich ich ihn erschaffen hatte. Man darf sich wohl auch selbst loben dürfen.
»Du ... bist nicht Yun«, begann ich langsam und Yuns Augenbrauen zogen sich zusammen, Falten entstanden zwischen ihnen.
»Ich versteh' nicht.«
»Warte, warte. Lass mich aussprechen.«
»Okay.« Yun sprach es langgezogen aus, lies es so wie eine Frage wirken.
»Also ... ach, scheiße. Du bist nicht Yun, aber dennoch bist du es!« Den letzten Satz ratterte ich aufgeregt herunter, um Yun davon abzuhalten, mich wieder zu unterbrechen. Konfus starrte mich mein Bruder, mit seinen von mir kreierten, Augen an. Fragen über Fragen schrieben sich auf die Stirn. Fassungslos schüttelte er sanft seinen Kopf.
»Ich verstehe nicht ganz.«
Unauffällig schlichen sich fremde Finger zwischen meine und verschränkten sich mit ihnen. Jimin blickte mich an und lächelte, wollte mir zur Unterstützung beistehen. Aufgeregt, mein Herz pochte mir bis zum Hals, stieß laut die Luft aus meinen Lungen. Wer hätte gedacht, dass es einem so schwerfallen könnte, einem Roboter die Wahrheit zu erklären.
»Du ...« Ich leckte mir über die Lippen, mein Mund schien mir mit einem Mal trocken wie die Wüste. »Es mag komisch klingen, aber du bist gar kein Mensch.«
Ironisch lachte mein Projekt über das, was ich soeben von mir gab. »Was dann, ein Hobbit? Ha ha, sehr witzig sich so über meine Größe lustig zu machen. Wirklich, Yoongi.«
Bevor wir nach Seoul zogen, habe ich ihn damit geärgert. Dann kam sein Wachstumsschub und der Witz war nicht mehr witzig. Ich mochte auch das ein oder andere Mal in Probleme mit meinen Eltern gekommen sein, da Yun es nie gemocht hatte, wenn ich ihn einen Hobbit nannte.
»Du bist ein Roboter, Yun.«
»Nein, Yoongi, höre auf damit. Ich bin Yun, mir ist gerade nicht nach diesen Späßen. Sie sind alt geworden, wenn wir mal ehrlich sind.« Oh ja, sie waren wirklich alt. »Wie soll das überhaupt möglich sein?«
»Es ist nicht mehr 2009, Yun. 2020 hat längst angefangen. Du hast dich damals ...« Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich ihn über seinen eigenen Tod berichten wollte. Darüber zu sprechen, war mir nie leicht gewesen.
»Du hast dich damals umgebracht, weil dir das bipolare Dasein unglaublich zu schaffen gemacht hatte«, sagte ich. Meine Stimme brach, sie zitterte und ich wartete auf eine Reaktion.
»Ich bin aber noch hier ...«
»Du bist nicht der echte Yun.« Der Druck in meiner Kehle wurde stärker und die Tränen warteten auf ihre Freiheit, doch hielt ich sie inne. Wenige entkamen, brachten so meine Augen zum Glänzen.
»Ich bin nicht Yun«, sprach der Roboter ernst, doch auch monoton und verletzt zur selben Zeit. Stumm nickten wir, mein Verlobter und ich. Auch Jimin kämpfte damit nicht loszuweinen. Er sah den jungen nach so langer Zeit wieder, man konnte den echten Yun und den neuen nicht unterscheiden.
»Beweist es mir. Es fällt mir schwer zu glauben, dass ich im Grunde genommen eigentlich tot bin.«
Ich war mir sicher, dass er längst losgeweint hätte, doch fehlte mir die Zeit ihm die Tränendrüsen einzubauen. Mit meiner linken Hand griff ich nach Yuns Arm und tippte zweimal vier Fingerkuppen unter seinem Handgelenk. Schnell umrandete blaues, schwaches Licht eine Öffnung. Diese klappte ich auf und zu sehen bekam man eine Aufladestelle. Ich baute dies Extra ein, wenn es mal zu dem Punkt kommen sollte, indem das selbständige Aufladen durch Schlafen defekt seien sollte. Natürlich brauchte er erheblich mehr Storm als jedes andere Gerät in diesem Haus, denn seine Batterie hält bis zu einer Woche ohne Schlaf aus. Die hohen Stromrechnungen blitzten bereits vor meinem inneren Auge auf.
»Ich bin tot!« Yun klang panisch und laut. Schmerzvoll war sein Gesicht verzogen, er wollte weinen.
»Yun«, sagte Jimin, »dein Bruder hat elf - fast zwölf Jahre gebraucht, um dich zu erbauen. Yoongi hat alles vernachlässigt, seinen Schlaf, seine Essgewohnheit, sogar mich. Und das, weil er mit Yuns Tod nicht klarkommt.«
»ICH BIN YUN!«, schrie er. »Ich, und niemand anderes. Ich lebe, das ist alles nur ein schlechter Traum, richtig?« Wir blieben stumm und verzweifelt stand Yun auf. »RICHTIG?«, schrie er erneut. Weiterhin ließen Jimin und ich die stille für uns antworten.
»Das ist niemals wahr.« Abrupt stoppte Yun in seiner Bewegung und verstummte. Langsam fasste er sich an seinen Brustkorb und klopfte zweimal mit seiner Faust. Das dumpfe Geräusch von Eisen ertönte, wenn es dagegen prallte.
»Ich kann auch nicht weinen«, realisierte mein Projekt, doch nach wenigen Sekunden weiteten sich seine Augen und er begann zu lächeln. »Aber ich zeigte und fühle Emotionen, Yoongi.«
»Einprogrammiert«, sagte ich trocken. Ich wagte es nicht in seine Augen zu blicken, welche mit Schmerz und Panik gefüllt waren. Yun verstummte, ließ die schreiende Stille einwirken, ehe er sich mit lauten, stampfenden Schritten in sein Zimmer begab.
»Du hast nichts falsch gemacht«, unterbrach Jimin den bedrückenden Moment mit einer leisen Stimme. Mit seiner Hand strich er mir über den Rücken, er versuchte mich zu beruhigen, doch ich presste bloß meine Finger auf meine Augen und unterdrückte das Schluchzen.
»Doch, habe ich.« Ich begann zu weinen, ich hielt es nicht mehr aus und mein Gesicht verzog sich, bis ich die weinenden Töne nicht mehr unterdrücken konnte. Jemand wie ich hätte es wissen müssen, die Konsequenzen, wenn man so ein Ziel vornimmt. Ich habe die Konsequenzen während dem Weg zum Ziel erwartet, doch nicht die danach. Sowas wäre nie passiert, wenn ich Yun gleich das wahre Wissen über seine Existenz mit einprogrammiert hätte.
»Yoongi«, hauchte Jimin traurig. Es war mir zu viel, der ganze Weg für so eine Reaktion war nicht das, was ich erwartet hatte. Als hätte ich all die Jahre für nichts verschwendet. Da saß, elendig und vor mich hin heulend.
»Weine nicht.« Mein Verlobter nahm mich in die Arme. Der Stoff an seiner Schulter sog sich mit meinen Tränen voll. Laut musste ich schlucken. »Ich weiß nicht, wie lange ich das noch mitmache.«
»Sag sowas nicht.« Jimin klang streng. Er löste sich von mir, um mir tief und eindringend in die Augen zu blicken. »Du bist tapfer, du schaffst das. Als ich dir ein Zeitlimit von fünf Monaten gab, hast du auch nicht aufgegeben.«
Hastig nickte ich einmal, schluckte mein Leiden herunter und trocknete meine Wangen. »Okay.«

Artificial IntelligenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt