Kapitel 42: Tausche Selbsthass gegen Zuversicht

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Edwards Sicht

Ich hatte mich immer nach Nordwesten gerichtet, Städte gemieden und stets den Landweg gewählt, bis ich, der Einfachheit wegen, durch die großen Seen geschwommen war. Schließlich war ich nur noch einen Bundesstaat von Washington entfernt und es dämmerte bereits. Mir war bewusst, wie schmutzig und abgekämpft ich aussehen musste und machte Halt in einer kleinen Stadt bei Montana. Ich kam mir durchtrieben vor, als ich wie ein Eindringling um die Häuser schlich. Mit meinen Gedanken suchte ich die Gegend ab, bis ich schließlich fand wonach ich suchte. Ein leeres Haus.

Meinen Vermutungen nach war davon auszugehen, dass seine Bewohner nicht allzu lange auf sich warten ließen. Doch ich brauchte nicht mehr als ein Paar Minuten um mich frisch zu machen. Ich duschte mich mit eiskaltem Wasser ab und wusch meine Haare und Fingernägel besonders gründlich. Meine Vampirhaut wurde nur aus Einwirkung von außen schmutzig, wegen des Klimas oder der Jagdspuren. Auf meinem Weg hatte ich einige Rehe und einen Luchs verspeist und das war mir anzusehen. Der ganze Schmutz, das Meerwasser und alles, was ich mit mir herumgeschleppt hatte rann jetzt an mir herunter und verließ mich für immer. Ich war bereit für einen Neuanfang. Das Medaillon um meinen Hals hatte ich kein einziges Mal in Bellas, oder besser gesagt meiner Abwesenheit abgelegt, auch jetzt nicht. Als die Spuren meiner wilden Reise abgewaschen waren, schlüpfte ich in die erstbesten Kleider, die ich fand. Ich würde mir dennoch etwas neues zum Anziehen besorgen, bevor ich Bella unter die Augen trat, überlegte ich.

Leider war mein wichtigstes Vorhaben während der Reise erfolglos geblieben: Ich hatte nach wie vor nicht die leiseste Idee, wie ich auf Bella zugehen sollte. Allein bei dem Gedanken stieg meine Nervosität ins Unermessliche und mein Körper spannte sich an und wurde reflexartig starr. Hätte ich einen Herzschlag gehabt, er hätte schneller pulsiert als die Flügel eines Kolibris.

Mitten in der Nacht erreichte ich Forks. Zwischenzeitlich hatte ich an einem Laden Halt gemacht, dem einzigen, der zu dieser späten Stunde noch geöffnet war und mir vernünftige Anziehsachen besorgt. Ich näherte mich Bellas Haus vom Wald aus. Keinesfalls dachte ich daran sie zu wecken, aber ich sehnte mich danach, ihren beruhigenden Herzschlag zu hören. Die Stadt sah aus, als wäre sie mit Puderzucker bestreut. Der Schnee auf den Bäumen des Waldes hatte sich verfestigt, war hart und kalt zusammengefroren und lag nun schwer auf den Ästen. Selbst in tiefster mondloser Nacht, konnte ich was für Menschen nur formlose Schatten waren, problemlos erkennen. Die Kontraste zwischen dem Schnee und den dunklen Konturen der Bäume leuchteten mir entgegen. Im Haus der Swans brannte kein Licht, natürlich nicht, es war bereits weit nach Mitternacht. Ich sah die weiß vertäfelten Außenwände schon von weitem. Sie lockten mich wie Sirenengesang und ich beschleunigte meinen ohnehin bereits schnellen Schritt. Hintergründig hörte ich Charlies Herzschlag, aber ich machte mir nicht den kleinsten Moment lang Gedanken darüber, sondern suchte beflügelt nach meinem persönlichen Lieblingsklang. Bellas Herz schlagen zu hören erfüllte mich mit warmer fließender Freude, die meinen ganzen Körper ausfüllte, so nachdrücklich wie ich es seit Monaten nicht gespürt hatte.

Als mich nur noch etwa fünfzig Meter von ihrem Haus trennten, ein Katzensprung für meine Verhältnisse, blieb ich abrupt stehen und unwillkürlich stockte mir der Atem. Die Freude in mir erfror und verwandelte sich in einen schweren Klotz, mehr aus Blei als aus Eis. Es schlug noch ein weiteres Herz im Haus und wenn ich es richtig deutete kam es aus Bellas Zimmer. Ich war noch zu weit entfernt um Gerüche wahrnehmen zu können, aber meine Schritte waren vor Schreck erstarrt. Ohne Frage war jemand bei Bella, schlief vermutlich dort, wie ich anhand des ruhigen gleichbleibenden Klangs schließen konnte.

Ich versuchte mich nicht von den Schuldgefühle und wilder verzweifelter Wut über mich selber heimsuchen zu lassen, aber mein Widerstand bröckelte von Sekunde zu Sekunde. Ich schalt mich innerlich.

War das nicht das was du wolltest? Dass sie ein menschliches glückliches Leben hat, mit allem was du ihr nicht bieten kannst?

Der Versuch ruhig durchzuatmen scheiterte, doch ich schaffte es, meine Fäuste zu entspannen, die ich ohne es zu merken geballt hatte.

Es ist doch gar nicht gesagt, wer da überhaupt in ihrem Zimmer ist. Atme durch bevor du dir wirre Gedanken machst, redete ich mir ein.

Ich würde nicht wie früher ohne ihr Einverständnis in ihr Zimmer klettern, das hatte ich mir geschworen, obwohl in mir eine Neugier tobte, die den Eisklotz geschmolzen hatte und nun heiß und fordernd in meiner Brust brodelte.

Das Schlimmste daran war, dass ich mein Leid selbst verschuldet hatte. Ich hatte Bella gezwungen, nicht mehr mit mir zusammen zu sein, hatte mich, irregeleitet wie ich war, gezwungen von ihr fernzubleiben. Dass sie sich von mir abgewandt hatte, war mehr als nur mein Verdienst. War es nicht das, was ich so dringlich für sie gewollt hatte? Mein größter Wunsch? Ich verfluchte mich selbst und meine dumme Entscheidung, die ich damals aus dem Nichts heraus getroffen und Bella damit fremdbestimmt hatte. Meine Gefühle nahmen mich ein und ich sank auf den harten Waldboden. Schuld erfüllte mich, Panik, Trauer, Verzweiflung.

Was hatte ich angerichtet? Ich wollte nur mit diesem Mädchen zusammen sein und was hatte ich getan? Sie von mir weggestoßen! Sie zu etwas gezwungen, was sie nicht wollte, in der Hoffnung, das Beste für sie zu sein, ohne es auch nur einmal mit ihr abzusprechen. Was war ich nur für ein himmelweiter Idiot! Wie würde ich sie von meiner Liebe, die nie auch nur ein Quäntchen nachgelassen hatte, wieder überzeugen können? Vor allem wenn es vielleicht schon einen anderen Anwärter auf ihre Liebe gab!

Während ich auf dem gefrorenen Boden zwischen den Bäumen saß, die Augen weiterhin auf das Haus am Ende des Waldstückes gerichtet, planlos und voller Zweifel, breitete sich ein Gedanke mit bleierner Gewissheit in mir aus: Ich wusste nicht wie ich den Kontakt mit Bella aufnehmen würde, aber ich wusste, dass ich bereit war, alles zu tun, was in meiner Macht stand.
Bis sie mich wegschickte würde ich kämpfen. 

(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt