Kapitel 17: Begegnungen

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Edwards Sicht

Ich konnte nicht mehr Träumen. Das war gut. Die Alpträume, die aus meinem Unterbewusstsein aufgestiegen wären, hätten mir keinen erholsamen Schlaf gelassen. Dafür konnte ich Tagträumen und das war sehr viel gefährlicher. Das Gefühl losgelöst zu sein von meiner Realität war fast identisch dazu, wie ich das nachtschlafende Träumen in Erinnerung hatte, und die Eindrücke wirkten täuschend echt, beinahe zu echt, um bloße Einbildung zu sein.

Ich saß in einem der größeren Parks von Quebec und obwohl es ein bewölkter Tag war, saß ich abgeschirmt von möglichen Sonnenstrahlen unter einem der zahlreichen Bäume. Vor meinem inneren Auge sah ich tausend verschiedene Dinge vorbeiziehen und ich konzentrierte mich völlig auf die Traumbilder und blendete alles andere aus.


Die Gestalt lief vor mir her, die grazile Figur ganz in blaues Samt gehüllt. Ihre Haut war milchig weiß und von einem mysteriösen Schein wie der Mond. Nur ihre Wangen waren mit einer zarten Röte wie von Rosenknospen überzogen, jedoch nur ein Hauch. Als sie sich zu mir umwand verlor ich mich in ihren rehbraunen Augen, ertrank in ihren Tiefen und merkte erst nach einem Moment den Hass, der in ihnen lag, das Blitzen und das höhnisches freudloses Lächeln, das ihre vollen Lippen verunstaltete. Verachtung tropfte von ihrem Gesicht, und Schmerz, und mich überkam die Gewissheit, sie endgültig verloren zu haben.

Mit unerwarteter Heftigkeit kam ich wieder zu mir. Ich konnte nicht abschätzen, wie lange mein kurzer Trip gedauert hatte, ob nur eine Sekunde oder mehrere Stunden. Über den Baumkronen hatte sich die Position der Sonne kaum verändert, die ich trotz der dichten Wolkendecke klar ausmachen konnte. Ich schlug den Kragen meines grauen Mantels hoch und erhoffte mir, mich schnell ablenken zu können, beobachtete einige Kinder, die auf der Wiese mit einer Frisbee spielten, doch es wollte mir nicht so recht glücken.

Kurz schüttelte ich den Kopf und versuchte die schmerzhaften Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.

Wie könnte ich sie nur vergessen? Wie aufhören sie zu lieben? Alles das ich damals zu ihr im Wald gesagt hatte, während mein Herz in tausend Teile gebrochen war, all das waren Lügen gewesen. Eine Farce!

Die bunte Frisbee aus Plastik landete vor meinen Füßen und reflexartig ergriff ich sie, um sie den Kindern zurückzugeben. Ein Junge um die 10 Jahre sah mir aus seinen hellgrünen Augen gespannt zu, während er auf mich zu kam. In seinen Gedanken konnte ich keinerlei Angst ausmachen, im Gegenteil.

Dieser Mann sitzt dort schon so lange und jetzt ist das erste Mal, dass er sich bewegt dachte der Junge verwundert und ich war erstaunt darüber, dass er mich beobachtete, ohne dass ich es wahrgenommen hatte. Normalerweise entging mir nichts von dem, was meinem Umfeld durch den Kopf ging. Außerdem hatte er nicht Unrecht mit seiner Einschätzung. Unter diesen Umständen, in Tagträume verwickelt verbrachte ich Stunden, manchmal Tage in Starre, gefesselt von den Bildern, die ich fürchtete, doch vor denen ich mich verzehrte, sie sehen zu können.

Er sieht wirklich nicht gut aus, mitgenommen irgendwie, oder traurig dachte der Kleine weiter und ich sah mich mit in seinen Gedanken, übermüdet und unentspannt. Ich überreichte ihm die Frisbee und er antwortete:

„Danke" und nach einem kurzen Zögern und einem prüfenden Blick unter seinen geraden Augenbrauen hervor fragte er mich:

„Mister, ist alles okay mit Ihnen?"

Was sollte ich darauf antworten? Der Junge hatte mich überrumpelt. Aber ich konnte in seinem Gesicht und in seinen Gedanken gute Absichten erkennen, Umsicht und Rücksichtnahme. In seiner Fürsorge und Menschlichkeit erinnerte er mich schmerzlich an jemand anderes.

(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt