Kapitel 28: Verdeckt

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Edwards Sicht

Ich hatte als einer der ersten das Kreuzfahrtschiff betreten, ganz so wie es mir Professor Merlano aufgetragen hatte. Er befand sich bereits an Bord und erwartete mich in seiner elitär erscheinenden Suite. Sie war mit poliertem Holz und goldenen Applikationen verkleidet, im höchsten Stock der Endearment of the Seas, ausgestattet mit allem was man sich an Luxus wünschen konnte und gekrönt mit einer spektakulären Panoramaaussicht über den kanadischen Hafen.

Auf den ersten Blick erschien mir Professor Merlano wie eine Echse, die starren, beinahe lidlosen Augen hatte er unverwandt auf mich gerichtet. Ein Herr Mitte 60, das dunkle, noch volle Haar von silbernen Strähnen durchzogen, in einen schlichten hellbraunen Anzug gewandt, und offenbar mehrere Face-liftings hinter sich, kam auf mich zu. Ein freundlich wirkendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und ich sah die zahlreichen Lachfältchen um seine Augen, die dennoch stumm und berechnend blieben. Trotz seines Alters wirkte er wendig und geradezu unnatürlich belebt. Er schüttelte mir kurz und fest die Hand, wobei er angesichts der Kälte meines Körpers kaum merklich zusammenschreckte.

"Professor Merlano, es bereitet mir ausgesprochene Freude Sie endlich kennenzulernen. Ich bin Anthony Mason, wie sie ja bereits von meinem Partner, Mister Paskudny wissen.". Ich war bemüht um einen herzlichen Tonfall, der meine Reibeisenstimme verdecken sollte. Meiner Erfahrung nach konnte man Menschen am besten etwas vortäuschen, wenn man die Lüge als gegebenes Wissen voraussetzte. Die meisten Leute waren taktvoll genug, um ihr Gegenüber nicht vor den Kopf zu stoßen und die Illusion unbewusst aufrecht zu erhalten. So auch der Professor.

"Sehr angenehm endlich ihre Bekanntschaft zu machen, Mister Mason. Ich hoffe sie haben gut hergefunden. Bitte erzählen Sie mir mehr über sich und die Beziehung zu ihrem Geschäftspartner". Er war nicht recht misstrauisch mir gegenüber, wollte aber trotzdem sichergehen, dass ich vertrauenswürdig war, bevor er sich mir öffnete, um über Geschäftliches zu reden. Damit hatte ich gerechnet und mich entsprechend vorbereitet.

"Richard und ich, wir kennen uns seit unserer gemeinsamen Studienzeit in Princeton. Business Administration. Er hat sich dann nach dem Abschluss auf Accounting spezialisiert, ich bin bei International Relationships hängen geblieben, aber die Arbeit hat uns schließlich wieder zusammengeführt."

Würde das reichen? In seinen Gedanken sah ich keine Zweifel, sondern vielmehr reges Interesse. Ich recherchierte nach den Informationen in seinem Kopf, die ich brauchen könnte und ging zum nächsten Schritt über. Nicht nur der Professor wollte mehr über mich erfahren, auch ich wollte mich vergewissern, mit welchen Dimensionen ich hier zu rechnen hatte.

"Ich habe mich auf den Handel mit Operationszubehör spezialisiert, außerdem in die Innovation und Forschung investiert. Es ist ja nicht zu glauben, dass es immer noch Ärzte gibt, die mit Lidocain betäuben, wo sich doch Methadon vielmehr rendiert."

Ich wollte testen, wie kaltblütig dieser Mann war. Würde er mir zustimmen, wenn ich Menschen allein aus finanziellen Vorteil ein Betäubungsmittel verabreichen wollte, das die meisten Patienten hochgradig abhängig machen würde?

Ein Lächeln breitete sich auf Merlanos Gesicht aus. "So ein Zufall Mister Mason! Ich bin promovierter Mediziner in Harvard, auch wenn ich nur noch äußerst selten unterrichte. Meine Firma hat sich auf den Ersatz von Wirkstoffen im handelsüblichen Insulin spezialisiert und es läuft zugegebenermaßen großartig."
"Was Sie nicht sagen." Ich tat überrascht, jedoch hatte ich von der Manipulation des Medikaments gehört, welches das Leben eines Diabetikers auf dramatische Weise verkürzen konnte. Ein medialer Skandal war jedoch ausgeblieben, was ich einzig auf die erheblichen Geldsummen schob, die ihren Besitzer gewechselt hatten. Nun hatte ich ein Gesicht zu dieser Untat parat, als der Professor in Gedanken versunken hinzufügte: "Über ihren Vorschlag muss ich in der Tat einmal nachdenken. Methadon, natürlich."

Dieser Mann war also nicht nur ein Medikamentenpanscher in großem Stil, sondern auch ein Organhändler, überlegte ich. Ein Menschenleben war in seinen Augen nicht mehr wert als der Marktwert der lebenswichtigen Organe. Eine Sekunde lang waren wir beide in seine Gedanken versunken, er rührselig, ich angewidert.

Offenbar war sein Business wie ein Netzwerk strukturiert. Seine Metapher war eine Nervenzelle, die zwar ihren festen Platz nie verließ, doch sich in stetigem Kontakt mit den umliegenden Zellen befand.

Jeder Zweifel war von mir gewichen: Dieser Mann war Arzt, sogar Professor für Medizin, und gewiss war er begabt, wie ich an den Titeln und Preisen in seinen Gedanken unschwer erkennen konnte. Aber er war durch und durch zerfressen von der Gier nach Ruhm, Geld, Anerkennung und es schüttelte mich innerlich, als ich ihn, seines Berufs wegen mit Carlisle verglich. Der Unterschied war himmelweit und dieser Professor hatte so einschlägig zerstörerische und egoistische Absichten, dass mein aufrichtiger, gütiger und weiser Vater gegen ihn noch strahlender aussah. Und das, obwohl er ein Vampir war, überlegte ich verblüfft. Das klang so widersprüchlich, dass es mich einen Moment lang stutzig machte.

Dann war die Sekunde vorbei und Merlano ergriff das Wort.

"Formidabel! Ich würde Sie gerne morgen Abend zum Dinner einladen, damit wir alles weitere in Ruhe besprechen können." In seinem Kopf blühten mehr Fragen auf und ich nahm seine Einladung dankend an. Es lief besser als gedacht.

An der leichten Bewegung des Schiffs stellte ich fest, dass die Endearment soeben den Hafen von Quebec verlassen hatte und auf ihren nächsten Halt New York zusteuerte, den wir voraussichtlich in zehn Tagen erreichen würden.

Bis dahin würde ich mich zurückhalten, nur im Schutz der Nacht rauskommen und Merlano trotz allem nicht aus den Augen lassen, in dem was er tat und was er dachte. Ich verabschiedete mich von ihm und steuerte auf meine Kabine zu, wo mich die Gedanken einholten, die ich zwar von mir fortschieben, aber niemals vollkommen verdrängen konnte.

(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt