Kapitel 13: Zugriff

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Leahs Sicht

Die zweite Phase hieß Angriff. Ich saß auf dem Fahrersitz der schwarzen Stretchlimousine, die ich für zwei Stunden heute ausgeliehen hatte. Sehr optimistisch, wie ich zugeben musste.

Nervös trommelte ich mit meinen Fingerknöcheln auf dem Lenkrad herum und ging zum hundertsten Mal meinen Plan durch. Er war ziemlich gewagt, aber sollte er erfolgreich verlaufen hätten wir alle etwas gewonnen. Tja und wenn nicht...ungehalten schob ich den Gedanken von mir weg.

Immer noch keine Nachricht von Jake und das beißende Neonlicht der Tiefgarage tat mir in den Augen weh. Es war bereits zehn nach eins. Ich krempelte meine weinroten Ärmel hoch und rückte das Namensschild an meinem Revers gerade. Dieses dämliche Schild! Da war ich schon dazu gezwungen ein Namensschildchen zu stehlen, da konnte es nicht mal eines mit Mädchennamen sein. „Gaspard" lautete es auf meiner Brust. Es war mir zuwider, auf so viele unbekannte Faktoren zu hoffen, aber ohne Namensschild aufzutauchen wäre noch auffälliger. Ich legte mein Handy mit erleuchtetem Bildschirm auf mein Knie und versuchte an nichts zu denken. Doch die Erinnerung holte mich ein.

Die Quileute, denen ich meiner Mutter wegen angehörte, waren eine der vielen indigenen Volksgruppen in Nordamerika. Damit unmittelbar verbunden war, neben nervigen und unangemessenen Vorurteilen von vielen Menschen von außerhalb der Gruppe, auch der stetige und mühselige Kampf um unsere Gebiete, das Reservat am Quillayute River.

 Obwohl der US-amerikanische Staat in unserer Verteidigung handeln sollte,  so wie in der Verfassung festgehalten, hatte er uns in den letzten Jahren das Leben schwer gemacht. Egoistische Politiker, allein auf ihren finanziellen Vorteil bedacht, hatten immer wieder versucht, Teile unseres Landes zu rauben. Besonders schlimm war der Fall vor zwei Jahren gewesen.

Anscheinend hatte irgendein schlauer Regierungsfunktionär festgestellt, wie schön unsere Wälder und wie weit und artenreich unsere Küsten waren. Wie die Regierung auf ihren idiotischen Plan gekommen war, konnte ich nur mutmaßen, aber ich schätzte irgendjemand war vor lauter Neid und Habgier auf unser naturbelassenes Reservat und seine lebenswichtigen und kostbaren Ressourcen, offenbar durchgedreht und hatte beschlossen, es sich unter den Nagel zu reißen.

Es wurde einen Rechtsstreit begonnen, denn dem Gesetz nach gehörte das Reservat schon seit vielen Jahrzehnten untrennbar und unbedingt zu den Quileuten.

Sie konnten sich einen Anwalt leisten, der mit seiner Truppe aus Bearbeitern und Gehilfen gegen uns ins Feld gezogen war. Einen von ihnen war ein junger Notar. Anfang dreißig, aber mit so harten, eiskalten grauen Augen, dass ich immer wenn ich ihn näher besah um sein Alter zu schätzen, lieber seinen Blick mied. Außerdem war mir nicht geheuer vor ihm, da ich seine Vorliebe für junge Mädchen schon einmal am eigenen Körper hatte spüren müssen...

Unsere Seite hatte kein Geld, einen gerichtlichen Verteidiger einzustellen, daher vertrat uns mein Großonkel vor Gericht, der Gruppenvorsitzender der Quileute, Wisá Clearwater. Langes schwarzes, welliges Haar, das ihm bis zu den Ellbogen ging, die kupferfarbene Haut wettergegerbt von den vielen Tagen und Nächten in der Bucht und um den Hals trug er eine kleine Adlerfigur, die er aus einem Walknochen geschnitzt hatte. Doch er strahlte noch mehr aus, als nur Weisheit und Ruhe, wie es einige ältere Menschen tun. Nein, in seinen Zügen brannte lichterloh: Entschlossenheit. Eine Versessenheit, die nur damit zu erklären war, dass das Leben und Überleben seiner Leute und seiner Kultur auf dem Spiel stand. Es war unmöglich, ihn aus der Ruhe zu bringen und er war gerissen wie eine alte Wölfin. Mit ihm brauchten wir keinen professionellen Verteidiger vor Gericht, niemand hätte die Interessen der Quileute besser verteidigen können als ihr eigener Vorsitzender.

Das blieb auch der anderen Seite nicht verborgen. Aber sie bestand aus Reihen von korrupten Schweinen, Rassisten und habgierigen Dieben. Nicht nur wollten sie uns das wegnehmen, was unsere ganze kulturelle Identität stützte und unser zu Hause war, sondern sie beraubten auch meinen Großonkel und nahmen ihm das Wertvollste, das ein Mensch sein eigen nennen kann.

An diesem Tag war ich bei ihm gewesen, mitten im Zentrum von Seattle. Das Gewühl der Stadt war besonders in der Mittagszeit undurchdringlich und die Bürgersteige geradezu überlaufen. Es war ein sonniger Tag gewesen, über zwanzig Grad und strahlend blauer Himmel, was anscheinend alle 700.000 Einwohner von Seattle dazu veranlasst hatte, das schöne Wetter zu genießen.

Ich wurde aus meiner Träumerei gerissen, als Jake laut mit seinen Fingerknöcheln gegen die Scheibe trommelte. Sofort stieg ich aus und an der Tür zog Jacob mich in seinen Arm.

„Du packst das, ich weiß es" sprach er mir leise zu.

„Wo ist er?" kam ich gleich zur Sache.

„Hat gerade sein Essen bekommen, wir sollten ihm noch etwas Vorsprung geben, damit er nicht auf der Hälfte seines Mittagessens unterbrochen wird. Damit er keinen Verdacht schöpft"

Jacob hatte Recht, aber mir schlug das Herz bis zum Hals, wenn ich daran dachte, was ich gleich vorhatte und ich wollte ungerne noch länger hier herumwarten. Die Sekunden strichen an uns vorbei und nach einer Stunde laut meiner Wahrnehmung, sagte Jake:

„Ich denke, du kannst loslegen". Er drückte mich noch einmal fest an sich und ich atmete seinen vertrauten Duft nach Moschusbeeren und bittersüßen Kiefernnadeln ein. Dann war alles vorbei und während ich die Treppenstufen hochspurtete, die von der Garage ins Restaurant führten hörte ich, die die elegante Limousine mit einem leisen Schnurren losfuhr.

(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt