Bellas Sicht
Die nächste Woche verging ziemlich schnell, verglichen mit der stehengebliebenen Zeit vorher. Das kleine Bündel goldenen Fells markierte den Anfang und unterstrich meinen Entschluss ein neues Leben zu beginnen, das nicht mehr von der Vergangenheit bestimmt werden würde. Ihre unerschöpfliche Energie hatte mich angesteckt und plötzlich war ich voller Tatendrang.
Ich hatte auch schon einen Namen für meinen kleinen Schatz: Darcy. Er war mir direkt ins Gedächtnis gekommen, denn nach einigen Tagen mit der kleinen Hündin hatte ich festgestellt, wie besitzergreifend und einnehmend sie war, fast schon eifersüchtig! Genauso wie der Held in einem meiner Lieblingsbücher, den ich vergötterte, seit ich es das erste Mal gelesen hatte.
Es war Samstagmorgen, somit keine Schule und das tat mir gut. Die Blicke der Mitschüler und Mitschülerinnen hatten vermutlich schon zwei Monate lang unverhohlen auf mir gelegen, aber nun war ich aus meiner Trance erwacht und bekam sie mit. Diese Kleinstadtmentalität war mir unangenehm, dass die Leute sich in Angelegenheiten einmischten, die sie nicht betrafen und über andere Lebensgeschichten herzogen, um von der Langweile ihrer eigenen abzulenken.
Von solchen Menschen konnte ich mich getrost fernhalten, weshalb ich mich gar nicht erst bemühte, den Kontakt zu Jessica Stanley und ihrer Clique wieder herzustellen. Diese Freunde würden mir nicht fehlen. Dass dazu auch Mike Newton zählte, würde ich erst später feststellen müssen.
Einzig Angela Weber behandelte mich nach wie vor liebenswürdig. Sie war eine der Wenigen, die meine mentale Veränderung bemerkte und mich nicht mit unsensiblen Fragen löcherte, weshalb ich „mit Angela treffen" auf meine imaginäre Liste setzte. Es täte mir gut, wieder etwas mit Leuten zu unternehmen.
Ich schlug meine Decken zurück und setzte mich aufrecht im Bett auf, als mein Blick zum Fenster wanderte. Dieses ungewohnte Licht. Langsam stand ich auf, vorsichtig die kleine Darcy nicht zu wecken, die sich wie ein kuscheliges Knäuel neben meinem Kopfkissen zusammengerollt hatte. Am Fenster trafen mich die ersten Sonnenstrahlen; es war noch früh und ich sah den Rasen unten vor dem Fenster zu mir hoch schimmern, starr vom Frost der Nacht, der noch nicht ganz vergangen war. Ein wunderschöner Morgen! Ich schob mein Fenster auf so weit es ging und eine Gänsehaut fuhr über meine Arme und ließ meinen ganzen Körper erzittern. Doch die Luft war so frisch und rein und mit dem ersten Atemzug füllten sich nicht nur meine Lungen mit Leben, sondern auch mein Herz.
Auf dem Weg zurück ins Bett fiel mein Blick auf die Collage am Boden. Meine Pläne, alles was ich vorhatte, war dort festgehalten, die großen Bilder, die ich aus Zeitschriften ausgeschnitten hatte, neben Artikeln und quietschbunten Werbeanzeigen. Es war mein Werk der Woche, ich war in mich gegangen, hatte überlegt, was mich am meisten interessierte und mich intensiven Recherchen hingegeben, nächtelang vor dem Computer gebrütet und war mit dem Ergebnis wirklich zufrieden.
Gleich ins Auge fiel ein großes Foto eines alt anmutenden Gebäudes, einer Kreuzung zwischen gotischer Kathedrale und weitreichendem Klostergarten mit gepflegten Rasenflächen. Die University of Oxford. Mich faszinierte dieser Ort schon seit Langem und jetzt ganz besonders.
Dort wollte ich meinen Bachelor studieren. Ich hatte keinen Raum für Zweifel, denn wenn ich mich erst einmal von meinen Ängsten vereinnahmen ließe, wäre es zu schwierig, mich wieder auf mein Ziel fokussieren zu können. Mein Entschluss war gemacht, obwohl mir die essenziellen Fragen noch offen standen.
Vorsichtig nahm ich die schnarchende Darcy auf den Arm und ging mit ihr leise die Treppe herunter. In der Küche angekommen war sie bereits wach und ich drückte ihr einen Kuss auf die Nase, bevor ich sie absetzte und Konzentrat in ihren Napf füllte. Als ich mir die kleinen trockenen Bröckchen besah, beschloss ich, meinen freien Tag zu nutzen und ihr heute etwas besonderes zu zubereiten.
„Frühstück ist fertig!" sagte ich, überflüssigerweise, denn sie hatte mit schlenkernden Ohren bereits den Großteil verputzt. Ich musste Lächeln, während ich die Packung Müsli aus dem Küchenregal nahm und mich an den Tisch setzte und mein Frühstück zu essen begann.
Welches Fach würde ich studieren? In Oxford, aber auch in Cambridge gab es einige Studiengänge die auf der Welt einmalig waren, besonders im Bereich Psychologie. Vieles davon weckte mein Interesse, und ich wusste, dass mir die Entscheidung nicht leicht fallen würde. Aber da war noch mehr: Wie würde ich die Reise, meine Unterbringung und vor allem dieses College bezahlen können?
Ich zog mir meine Regenjacke über das Holzfällerhemd mit den braunen Karos und die gefütterte Weste, man konnte ja nie wissen. Dann schnappte ich mir die Leine für Darcy und meine Geldbörse und spurtete meinem Hund nach, hinaus in den Wald. Der Morgen war immer noch so strahlend schön wie ich in der Früh festgestellt hatte, ansonsten wäre ich erst gar nicht auf die Idee gekommen, zu Fuß zum Einkaufen zu laufen. Doch die frische Luft tat uns beiden gut und das war den Spaziergang auf jeden Fall wert.
Beim Metzger im Supermarkt gab es eine kleine Schlange und ich stellte mich an.
„Die neuen Skipisten können diesen Winter endlich in Betrieb genommen werden.", hörte ich eine Frau einige Plätze vor mir in der Reihe zu ihrer Begleiterin sagen. „Wenigstens etwas, dann kommen hoffentlich wieder ein Paar Leute zu uns. War ja ganz schön mau, die bisherige Saison" hörte ich ihre Freundin zustimmen und erkannte, dass es Mrs. Newton war, die Inhaberin des Touri-ladens von Forks, bei der ich zwei Mal die Woche arbeitete. Sie hatte mich noch nicht gesehen, jedoch hatte sie mein Interesse geweckt.
„Guten Tag Mrs. Newton" rief ich von hinten und die beiden Frauen drehten sich zu mir um.
„Hallo Bella, wie geht's denn so?" fragte sie, aus purer Höflichkeit wie ich wusste, da ich nie jemanden hinter meine Fassade blicken ließ.
Bis jetzt zumindest.
„Gut, danke! Ich hab gehört, wie Sie gerade von den Skipisten gesprochen haben. Damit meinen Sie wohl die östlich des Olympic Nationalparks, nicht wahr?"
„Nein Bella, wo denkst du hin" kicherte sie. „Hast du gar nichts von den Plänen des Bürgermeisters gehört? Das sind die Skipisten vom Mount Olympus nach Forks, ein Jahrhundertprojekt. Die Pläne dafür liegen schon seit Ewigkeiten vor, aber die Arbeiten werden erst diesen Monat beendet! Langlauf und Abfahrt. Stell dir nur mal die Massen von Touristen vor, die dann zu uns in den Laden kommen um Ausrüstungen und so weiter zu kaufen. Wir haben schon unsere Ski-abteilung aufgestockt" schwärmte meine Chefin mit glänzenden Augen. Ihre Begeisterung war ansteckend, obwohl sich meine Verwunderung nicht so leicht vertreiben ließ. Offenbar war ich die Einzige, der in dieser kleinen Stadt die große Neuigkeit entgangen war. Ich lächelte sie an und nickte, doch sie hatte sich schon umgedreht, und nachdem sie ihre Bestellung entgegen genommen hatte, rief sie mir noch zu während sie aus dem Laden rauschte: „Wir sehen uns dann am Mittwoch, und warten auf Horden von Touristen".
„Bis dann!" Ich winkte ihr nach und trat dann an den Tresen.
Mit den Hühnereingeweiden für Darcy sicher in zwei Plastiktüten verpackt und meinem Schatz an der Leine machte ich mich auf zurück in den Wald, durch den mich ein Pfad zum Haus meines Vaters brachte. Darcy liebte Waldspaziergänge, keiner konnte ihr lang genug sein, und sie rannte und tobte so wild, dass ich sie von der Leine lassen musste. Jedoch war sie bislang immer bei mir geblieben. Doch dieses Mal sah ich nur noch einen Wisch goldenes Fell und sie war im dichten olivgrünen und nassen Unterholz verschwunden.
„Verdammt", murmelte ich, bevor ich die Tüte mit den Innereien in meine Tasche schob und ihr nachjagte so schnell ich konnte.
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(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)
VampireBella hat genug und eröffnet im verwaisten Haus der Cullens ein Hotel für Touristen, um sich auf ihre Zukunft anstatt auf Edward, der sie verlassen hat, zu fokussieren. Doch viel zu schnell wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt. Was hat es mi...