Kapitel 34: Schatten vorauswerfen

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Edwards Sicht

Die Tage auf dem Schiff vergingen und obwohl ich mich stets in Merlanos Nähe befand, hatte ich kaum mehr herausgefunden. Aus einer der Schiffskabinen hatte ich mir einen Laptop organisiert, um so vielleicht etwas über die Absichten des Professors herauszubekommen. Schlecht gefühlt hatte ich mich deshalb allerdings kaum, der Raum strotzte nur so vor neumodischer Technologie und ich sah noch ein halbes Dutzend weiterer Geräte; daher entschied ich mich für den unauffälligsten Computer. Ich hatte noch nie versucht, mir virtuell Zugang zu Information zu verschaffen, und während ich mich mit dem Auflösen ellenlanger Codes beschäftigte, stellte ich fest, wie unglaublich zeitraubend und wenig ergiebig mein Unterfangen war.

Aber etwas, das ich zugleich mit Furcht und Freude erwartet hatte, konnte nicht länger auf sich warten lassen. Ich musste jagen. Dafür hatte ich mir diese Nacht ausgesucht, der Himmel war wolkig, der Mond verhangen und ich wollte es zur Sicherheit der Besatzung des Schiffs, nicht noch länger aufschieben.

Ich legte den dunkelgrünen Anzug, den ich aus der Reinigung entwendet hatte auf mein Bett und öffnete mein Fenster so weit es ging. Die Nachtluft war sehr angenehm, nicht kühl, sondern genau richtig im Zusammenspiel mit dem Fahrtwind und der leichten Brise über dem Meer.

Meine Gedanken waren bei Bella. Ich fragte mich wie schon so oft, wo sie war und was sie tat. Aus meinem Innersten stieg der dringende Wunsch auf, sie bei mir zu haben. Dann wäre diese Kreuzfahrt wirklich ein Erlebnis gewesen. Auch wenn ich mich ablenkte, und internationalen Organhändlern auf der Spur zu sein war eigentlich eine sehr gute Ablenkung, so verließ sie doch nie meine Gedanken, sondern blieb stets in meinem Hinterkopf. Bella, wie sie lachte, mich grimmig anschaute, wie Überraschung oder Erkenntnis in ihren Zügen aufleuchtete. Wie ich sie küsste und wie sie auf merkwürdige Weise ein Hostel in unserem Haus in Forks aufmachen würde.

Ich verließ meine Kabine, wählte den schnellsten Weg und suchte den Korridor nach gedanklichen Stimmen und gesprochenen Worten ab. Ich wusste, dass ich übervorsichtig war, denn zu dieser späten Stunde wäre es äußerst unwahrscheinlich, jemandem auf dem Flur zu begegnen. Jedoch wollte ich kein Risiko eingehen, denn einem Vampir mitten in der Nacht in nichts als einem weißen Unterhemd und Boxershort zu begegnen, wäre für keinen der Beteiligten eine spaßige Angelegenheit.

Doch kam ich ohne Zwischenfälle auf dem Oberdeck an. Auf dem Weg hatte ich mir eine Holzplatte aus einem der Maschinenräume stibitzt, für alle Fälle. Mittels meines Geruchssinns stellte ich fest, dass ich allein an Deck war, und nahm die salzige Brise in mir auf. Nachdem ich sicher gegangen war, dass mich keine der Überwachungskameras auf dem Schirm hatte, schwang ich mich in einer einzigen flüssigen Bewegung über die Reling und stürzte, Kopf und Arme voraus in die Tiefe. Ich flog auf die Dunkelheit des Meeres zu und die 30 Meter lagen schneller hinter mir als ich gedacht hatte. Einen Augenblick später umfing mich pulsierend die wogende See, und ich stellte fest, wie vieles ich sehen konnte, während ich tiefer schwamm. Undurchdringlich war sie mir vom Schiff aus erschienen, jetzt sah ich die gedeckten Farben, das mitternächtlichen Blau, welches das gesamte Meer erfüllte, und den tiefen Abgrund, der in einen gedämpften Grauton überging. Ich schmeckte das salzige Wasser, nahm darin einen Hauch des ekelhaften Treibstoffs der Endearment fest und schwor mir, nie wieder mit einem Kreuzfahrtschiff zu fahren. Ich ließ das Holzbrett los, das an die Oberfläche, viele Meter über mir trieb und konzentrierte mich ganz auf die Jagd.

Mein Geruchssinn war unter Wasser nicht zu gebrauchen, daher musste ich mich auf mein Augenlicht verlassen, Bewegungen schnell wahrnehmen und angreifen, bevor meine Beute die Flucht ergreifen konnte. Ich war zwar ein Vampir aber an den Widerstand des Wassers dennoch viel schlechter angepasst als ein Meereslebewesen.

Da sah ich ihn, einige Meter unter mir, majestätisch kreisen: Carcharhinus longimanus, ein weißer Hochseehai, der wie ich staunend feststellte, die drei Meter Normalgröße gewiss um einiges überschritt. Für einen Moment lang tat es mir leid, dieses ehrfurchtgebietende Lebewesen abschlachten zu müssen, wie es dort fast widerscheinend in der Tiefe schwamm. Dann wurde ich von meinen Instinkten eingeholt.

Ganz langsam sank ich tiefer hinab, und als ich die Strömung seiner Flossen vernehmen konnte, stürzte ich mich knurrend auf das massige Tier. Mit einem schnellen Biss oberhalb der abgerundeten Rückenflosse tötete ich ihn und vollkommen gefangen im Blutrausch trank ich, bis aus dem Hai nichts mehr herauszuholen war. Als ich ihn losließ, versank er in die dunklen Tiefen. Mein Durst war gedeckt, doch ich genoss das stille Wasser, wollte noch nicht an die aufbrausende Oberfläche zurück. Es schien hier unten keine Zeit zu geben, keinen Schmerz, nur ruhiges gleichbleibendes Fließen.

Doch irgendwann merkte ich wie das Bedürfnis in mir aufstieg, wieder etwas zu riechen und die Gewissheit, dass Wasser trotz allem nicht mein Element war. Es war angenehm von Zeit zu Zeit, aber keinesfalls um länger darin zu verweilen. So suchte ich mit den Augen die Meeresoberfläche ab, bis ich die Holzplatte in einiger Entfernung ausmachte und mit ihr zur Endearment zurückkehrte. An der steilen Schiffswand angekommen stellte ich mich auf die Platte und stieß mich so heftig ich konnte vom Widerstand ab. Ich schoss durch die Luft und hielt mich mit stählernem Griff an einem der Vorsprünge der untersten Reihe der Bullaugen fest. Kletternd umging ich die beleuchteten Fenster und stand schließlich, vollkommen nass auf dem Oberdeck, das menschenleer war, ganz wie ich gehofft hatte. Ich schlug sogleich den Weg zu meiner Kabine ein, die Flure suchte ich routiniert nach fremden Gedanken ab. Ich bewegte mich schnell, in Eile, aus meiner nassen Kleidung herauszukommen, so schnell, dass ich fast die leise Gedankenstimme überhörte, die nur einige Korridore von mir entfernt aufzüngelte. Augenblicklich änderte ich die Richtung, denn ich hatte den Tenor erkannt und war plötzlich wieder vollkommen gesammelt. Es waren die Gedanken des Professors. 


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Was hat der Professor wohl gedacht, dass Edward sich so eilig an seine Fersen heftet? Was ist das schmutzige Geheimnis, das Merlano versteckt? 

Lasst mich gerne von euren Vermutungen wissen. Ich freue mich über Kommentare, konstruktive Kritik und eure Gedanken zur Geschichte!! Viele Grüße und Umarmungen! Eure VNOW

(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt