Kapitel 26: Urne ohne Asche II

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Bellas Sicht

Leah war schneller zurück als Jake. Vollkommen bekleidet und mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen trat sie zwischen den Bäumen hervor in die aufziehende Nacht.

„Ich hab immer eine Garnitur Wechselsachen im Auto, für Wolfsnotfälle. Ich schätze, Jake hat seine im Wald deponiert."

Ich war immer noch so in meiner Überraschung gefangen, dass zwei meiner besten Freunde sich wie aus dem Nichts in Wölfe verwandeln konnten, dass mein Denken wie in Zeitlupe zu funktionieren schien und ich unfähig war, irgendetwas sinnvolles zu erwidern. Ehrlich gesagt fehlte nicht viel und mir hätte der Mund offen gestanden.

„Werwölfe also?" fragte ich irgendwann mit bleierner Stimme.

„Wolfswandler" präzisierte Leah.

„Gibt es auch irgendein Fabelwesen, das tatsächlich nur in Fantasiewelten existiert?" seufzte ich matt.

Glucksend schüttelte Leah den Kopf. „Sollen wir es Angela erzählen?"

Ich überlegte: „Wenn wir zusammen das Hostel schmeißen, bleibt uns vermutlich nichts anderes übrig. Aber ihr habt eure Verwandlungen gut unter Kontrolle, oder?" Unwillkürlich musste ich an Jasper denken, wie er damals, besessen vom Blutrausch fast über mich hergefallen wäre und die Reaktionskette, die dadurch hervorgerufen worden war. Mir fiel auf, dass meine Hände zu Zittern begonnen hatten und ich ballte sie zu Fäusten und schob sie schnell in meine Jackentaschen.

Sie nickte „Das ist bloß in der ersten Zeit etwas unberechenbar, weil man so emotionsgeladen auch schonmal in die Luft gehen kann und nicht immer die Oberhand über die Verwandlungen behält. Aber wir sind nicht akut gefährlich, schließlich sind wir, auch in den Wolfskörpern, immer noch wir selber. Übrigens kann ich kann das mit Angela gerne übernehmen", bot sie an.

„In Ordnung" stimmte ich zu. „Aber hab etwas mehr Fingerspitzengefühl als bei mir gerade. Ich war wenigstens schon darauf vorbereitet gewesen, dass es einige Fabelwesen auch außerhalb ihrer Bücher gibt, aber für Angela ist diese ganze Welt neu. Lass es bitte ruhig angehen, ja?"

„Bleibst du nicht hier, wenn ich ihr davon erzähle?" fragte sie mit gerunzelter Stirn.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich muss mal wieder bei Charlie vorbeisehen. Er macht sich bestimmt schon Sorgen, weil er so lange nichts von mir gehört hat. Sag Angela, dass wir uns morgen sehen, okay?"

Ich baute auf Angelas Nerven, aber zog dennoch einen kurzen Moment lang in Erwägung, nichtsdestotrotz zu Bleiben. Da fiel mir die Urne auf dem laubbedeckten Boden auf und ich nahm mir fest vor, meiner Freundin am Telefon zur Seite zu stehen, so lange sie wollte.

"Besser wir bereden es wirklich erst morgen! Dann sind wir alle hier, du und Angela und wir Wolfswandler und keiner muss sich wegen irgendwas fürchten. Nicht Angela vor uns und du dich nicht um Angela," lenkte Leah ein und umarmte mich flüchtig. Erleichtert atmete ich auf. Zwischen uns hatte sich nichts verändert, nicht wegen den Küssen auf dem Dachboden, noch wegen des Wolfsgens, das sie in sich trug.

Mit ein paar Schritten war ich im Schatten der Bäume angelangt und rief laut: „Bis Morgen Jake!"
Was trieb er wohl immer noch im Wald? Darüber hinaus in Wolfsgestalt, wie sein kläffendes Lachen verriet.

Am Transporter angekommen legte ich die Schatulle aus schwarzen Metall in den Fußraum unter Darcys Platz auf der Sitzbank, dann schnallte ich uns beide an und steuerte aus der dunklen Ausfahrt.

Den ganzen Weg zu Charlies Haus dachte ich über das Rätsel nach, das mir die Urne aufgab. Wie würde ich sie öffnen können? Ich war überrascht darüber, diesen ominösen Gegenstand im Haus der Cullens gefunden zu haben. Dort, wo Vampire unter sich waren, fielen Verstecke und Geheimnisse eigentlich weg, vor allem wenn einer von ihnen in der Lage war, Gedanken zu lesen. Außerdem war da diese merkwürdige Form und Beschaffenheit der Schatulle, ohne Kanten und Ecken, vollkommen ebenmäßig, glatt und unversehrt, als wäre sie aus massivem Eisen gegossen. Steinhart und unmöglich zu öffnen, selbst wenn ich über passendes Werkzeug verfügt hätte. Die Urne wies nicht den kleinsten Vorsprung auf, an dem ich eine Kettensäge hätte ansetzen können. Dazu schien sie luftdicht zu sein, hermetisch versiegelt und ich konnte mir nicht vorstellen, was in dieser merkwürdigen Form verborgen sein würde. Was ich darin hörte, wenn ich die Urne behutsam schüttelte, klang unpassend für diesen groben Gegenstand, die Textur zu leicht, vielleicht Stoff oder Leder. Meine Neugier war kaum zu bändigen. Wer hatte dieses Objekt auf dem Dachboden versteckt? Was verbarg sich darin, dass die Cullens, anstatt es zu vernichten oder einfach wegzuwerfen, vorzogen, es im Verborgenen zu halten und in eine Wand einzumauern?

(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt