Kapitel 19: Menschenjagd

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Edwards Sicht

Der erste Halt war der Park, in dem ich den Nachmittag verbracht hatte. Im Handumdrehen war ich dort und hatte Collins Fährte sofort aufgenommen. Die Dämmerung machte meiner Sicht nichts aus, sondern steigerte nur meine Anspannung. Nachts kamen die fieseren Gestalten hervor, was wohl auch unsereins auf den Plan rief. Ich hoffte stark, dass diese Tat kein Vampir begangen hatte, sondern menschlicher Natur war, und was ich roch bestärkte meine Hoffnung. Das Bouquet des Jungen war sauber, nach frischer Wäsche und jungem Blut, ein zugegebenermaßen leckerer Duft, den ich dennoch am Nachmittag nicht wahrgenommen hatte und auch jetzt nur ausmachte, wenn ich mich darauf konzentrierte. Sie hatte alles in mir völlig durcheinander gebracht! Meine Gefühle, Gedanken und Sinne. Bella!

Ich versuchte mich zu sammeln und nahm neben dem unaufdringlichen Bouquet des Jungen noch eine weitere Spur auf. Sie war weniger lieblich, eher streng wie Ziegenleder und hing wie dicke Schwaden in der Luft. Ich versuchte sie noch genauer zu bestimmen: Da war Schweiß, beißender Zigarettenqualm und in dem Blut, das heiß seinen Ton in der Luft hinterlassen hatte, konnte ich Bestandteile ausmachen, die nichts gutes bedeuten konnten.

Ethanol, stellte ich sofort fest und dann: N-methylamphetamine. Dieser Typ, ich war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt, dass der Entführer ein Mann war, hatte sich erst betrunken und dann Crystal Meth eingeworfen. Das einzig beruhigende an dieser Tatsache war, dass es sich damit nicht um einen Profi handelte. Kriminelle, die sich auf Menschenraub und Entführung spezialisiert hatten, waren selten Junkies, sondern nutzten diese vielmehr für die Arbeit, an der sie sich nicht die Finger beschmutzen wollten.

Was aber auch bedeutete: Ich war hier etwas Großem auf der Spur.

Der Polizei oder den Geheimdiensten war es oftmals unmöglich, diese Ketten bis auf das letzte Glied zu identifizieren, weshalb als Haupttäter häufig nur die Gehilfen, wie dieser Drogenabhängige gefasst und verurteilt wurden und fast nie das kriminelle Genie dahinter.

Ich folgte der Spur, die aus dem Park hinaus führte, über die Straße in ein Viertel mit Lagerhallen. Die Spur brach ganz plötzlich ab und Ärger erfasste mich wie ein wildes Tier. Sie waren mit dem Auto weitergefahren. Das würde schwierig werden, aber ich war gewillt, meine Suche fort zu führen.

Denk nach, Edward, denk nach! trieb ich mich an. Ich durchforstete das Gebiet nach Gedankenstimmen und lauschte immer weiter. Unruhig lief ich auf der Straße auf und ab und vernahm einen Geruch. Es war der Gestank des Junkies. Der Mittelmann, nur einige Straßen weiter von hier. Es war bereits ganz dunkel und daher bewegte ich mich in meiner normalen Geschwindigkeit, um möglichst schnell an den Ort zu gelangen, an dem ich den Entführer ausmachte.

Als ich seine Gedanken hörte stutzte ich kurz. Ich hatte noch nie Drogen genommen und auch noch nie auf diese Weise an einem Trip teilgehabt. Und mir lief ein Schauer über den Rücken. Sah Farben, die nicht da waren, alles untermalt von einem chaotischen Lärm im Hintergrund, wie ein Rauschen, nur hundert Mal stärker und das stumpfe Gefühl in den Gliedern, als wäre sein Geist davon irgendwie losgelöst. Aber ich hörte sein Blut schnell fließen und merkte, die Illusion, dass dieser Mensch sich unbesiegbar fühlte. Doch als ich ihn dann sah, überfiel mich tiefes Mitgefühl.

Dieser arme Mann! Fast alle Zähne fehlten ihm und die wenigen, die ihm geblieben waren, hatten sich schwarz verfärbt und ähnelten Stümpfen in einem aufgerissenen unförmigen Mund. Sein Gesicht wirkte, als wäre zu wenig graue Haut über einen Schädel gespannt, der zu groß für seinen Körper war. Seine Haltung war gebückt und ich hatte noch nie in meiner ganzen Existenz ein erbärmlicheres Wesen gesehen.

Mit entschlossenen Schritten trat ich auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. Ich überragte ihn um einige Köpfe, doch er sah mich nur abschätzig aus seinen kleinen trüben Augen an.

„Is was?" Jetzt war ich nah genug um die Droge festzustellen, die frisch in seinen Blutbahnen zirkulierte. Der Preis für diesen Trip war teuer gewesen: Ein Menschenleben.

Ich wusste, dass ich autoritär auftreten musste, damit mir dieser Mann etwas verriet und so baute ich mich vor ihm auf und ein tiefes Knurren entstieg meiner Kehle. Trotz der Illusion von Mut, die das Methamphetamin erschuf schrumpfte der Mann vor mir zusammen.

„Was hast du mit dem Jungen gemacht?" knurrte ich. „Wo ist er?"

„Immer langsam Mann" schnarrte der Mann

Ich wurde immer besorgter um Collin und ich ärgerte mich, dass ich auf diesen verlumpten Mann angewiesen war. Schneller, als es die Augen des Mannes erfassen konnten hatte ich ihn am Hals gefasst und gegen die Betonwand hinter ihm gedrückt.

„Wo ist er?"

Jetzt hatte er Angst, wie ich hörte und in seinen Gedanken sah ich verschiedene Eindrücke. Einen pockennarbigen Mann, mit rotblonden Haar, das aufgedunsene Gesicht in einer ähnlichen Farbe. Einen Lastwagen, weiß mit blauem Aufdruck, fast wie ein Kühlfahrzeug.

„Lebt er?" fragte ich und erhöhte den Druck an seinem Hals.

Er zuckte nickend mit dem Kopf.

„Wohin?"

Doch der Mann sackte ohnmächtig zu Boden. Es tat mir kurz leid, dass ich ihm die Luft abgedrückt hatte, dann dachte ich, dass es so vielleicht einfacher war, dass die Polizei ihn auflas.

Der letzte Gedanke, den er gehabt hatte, bevor ihm die Droge zu Kopf gestiegen war, sah ich ganz genau vor mir:

Der Hafen von Quebec.

(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt