Kapitel 22: Anziehung

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Leahs Sicht

Meiner Meinung nach hatte ich die Wette mit Jacob gewonnen. Zwar hatten wir keine Särge oder Grabsteine gefunden, es gab nicht einmal viele Spinnenweben und auch die Spiegel waren an den vorgesehenen Plätzen vorhanden, doch auf dem Dachboden nistete ein Dutzend Vampirfledermäuse. Er war schwer zugänglich, einzig über eine klapprige Holzleiter und das Licht war spärlich, doch dort oben direkt unter den altmodischen Dachschindeln war es im ganzen Anwesen am wärmsten.

Vor einigen Tagen waren wir ins Haus, das ein Hostel werden sollte mehr oder weniger eingezogen. Angela und Bella hatten sogar ihr Bettzeug und etliche andere nützliche Klamotten mitgebracht und eines der Zimmer im ersten Stock für sich erklärt. Als erste Aktion ihres Einzugs hatte Bella vier Hängematten aus festem Seil geknüpft und sie an die Decke im Wohnzimmer gehängt, die wir zuvor mit einigen massiven Haken versehen hatten. Daneben hingen die Hängematten, die wir im Reservat aufgetrieben hatten, sie wirkten wie bunte Farbtupfer neben den schlichten und praktischen von Bella. Jacob und ich kamen jeden Nachmittag nach Forks, um gemeinsam die Renovierung voranzubringen. Ich musste zugeben, dass das Haus in einwandfreiem Zustand war, bloß einschüchternd kühl auf den ersten Blick gewirkt hatte. Es lag an uns, Farbe in die vier Wände zu bringen und so machten wir uns jeden Tag daran, das Haus etwas gemütlicher zu gestalten. Ich genoss die Gesellschaft der Mädels, die sich beide etwas geöffnet und zum Teil ihre Schüchternheit überwunden hatten, vor allem Angela. Doch merkte ich auch zu Bella eine Veränderung. Wenn ich darüber nachdachte fehlten mir jedes Mal die Argumente, doch wenn ich bei ihr war, konnte es nicht eindeutiger sein. Irgendwie machte mich ihre Gegenwart nervös. In ihrer Nähe konnte ich kaum klar denken.

An diesem Nachmittag war ich auf den Dachboden geklettert um dort eine Kiste mit unnützem Kram zu lagern, den wir gemeinsam aus den anderen Räumen, die Gästezimmer werden sollten, verladen hatten. An unbrauchbarem Krempel fanden wir trotz allem noch eine Menge. Merkwürdigerweise hatte die Bude keinen Keller, obwohl Jacob steif und fest schwor, dass wir ihn lediglich noch nicht entdeckt hatten und dass er bis obenhin voll mit Skeletten war. Doch als ich den staubigen Dielenboden betrat, hielt ich inne und mir schlug die Wärme entgegen, wie ich sie selten im Herbst gespürt hatte. Direkt vor dem gedrungenen Fenster, der einzigen Lichtquelle im gedimmten Raum sah ich die schlanke Silhouette von Bella. Sie hatte mir den Rücken zugewandt und ihre Jeansjacke um die Hüfte gebunden, sodass sie nur im T-shirt dastand. Ein mattes Beige, das zu ihrem Teint passte als wäre es genau für sie angemischt worden und sie wie von innen heraus strahlen ließ. Sie sah ganz verloren aus in ihren Gedanken, wie sie aus dem Fenster blickte und sich immer wieder durch die lockigen Haare strich.

Ich wusste nicht, was plötzlich in mich fuhr, aber ich schlich auf sie zu und schlang die Arme um sie. Sie hatte mich nicht kommen hören und als sie zusammenzuckte musste ich kichern.

„Hallo Bella"

„Leah" Ihre Stimme klang so verführerisch und sie sah mich mit scheinenden kaffeebraunen Augen über ihre Schulter herab an. Bemerkte sie die aufgeladene Spannung zwischen uns?

Ich stellte mich neben sie, lehnte meine Hüfte gegen die Betonwand am Fenster und den ausladenden Schacht des Schornsteins, und konnte mein Lächeln nicht verstecken.

„Was tust du hier oben?" fragte sie und setzte vorwurfsvoll nach „Außer mich zu Tode zu erschrecken"

„Ich hab noch ein paar Sachen gefunden, die unten nur stören und die ich deshalb hier oben lassen will. Außerdem wollte ich dich sehen." Spielten mir meine Augen einen Streich in dem schwachen Licht oder errötete sie tatsächlich?

„Und du? Wolltest du dich nicht um die Fledermäuse kümmern? Bestehst du darauf, dich selbst von der Arbeit abzuhalten oder kann ich das übernehmen?" Ich neckte sie gerne, es war zu süß zu sehen, wie sie dadurch aus der Bahn geworfen wurde. Aber dass sie schüchtern war, musste ja nicht zwingend heißen, dass sie kein Interesse hatte.

„Sonst geh ich auch gern wieder runter" zog ich das Spiel weiter, doch sie schüttelte schnell den Kopf und ergriff meine Hand.

„Bleib doch." Es kribbelte dort, wo ihre Hand mich berührte. "Du störst ganz und gar nicht."

„Du sahst so vertieft aus. Was hast du hier gemacht?"

„Ich hab etwas gefunden" und deutete neben sich, wo eine verstaubte Schatulle stand. Sie machte einen massiven und uralten Eindruck auf mich, was wahrscheinlich an der dicken Staubschicht lag. Ihre zylinderartige Form erinnerte mich an irgendwas, und als es mir endlich einfiel, beschlich mich ein eigentümliches Gefühl.

„Ist das eine Urne?"

Sie nickte. „Sieht so aus. Aber ich glaube es ist keine Asche darin. Hör mal" Sie hob die Urne ohne Schwierigkeiten hoch und schüttelte sie leicht neben meinem Ohr. Der Gegenstand darin schlug gegen ihre metallenen Seiten, aber Bella hatte Recht, für Asche war es zu gegenständlich, zu fest.

„Wie machen wir sie auf?" fragte ich aber sie schüttelte den Kopf. „Das Ding ist zu und zu heißt zu." Sie stellte die Urne neben mich und kniete sich auf die staubigen Holzbohlen. "Ich hab gerade überlegt, womit wir sie aufmachen könnten, ohne sie oder ihren Inhalt zu zerstören."

Ich sah sie an. Was genau ich spürte, wusste ich nicht. Seit ich Sam Uley damals mit dem anderen Mädchen erwischt hatte, hatte ich nie wieder ähnliche Gefühle für jemanden empfunden. Auch jetzt für Bella nicht, das konnte ich genau sagen, denn ich spürte, dass ich längst noch nicht wieder bereit war, solche Nähe zu jemandem zuzulassen wie damals mit Sam. Dennoch war da diese Spannung zwischen uns und ich sehnte mich nach ihrer Berührung, jede Faser meines Körpers schrie danach. Langsam und sachte kniete ich mich neben sie und strich ihr eine Haarsträhne aus den Augen. Verunsichert sah sie mich an.

„Leah" begann sie. „Was machst du denn?" Ihre Stimme zitterte leicht, aber ich sah, wie sich ihre Pupillen weiteten.

Ich näherte mich noch ein kleines bisschen und spürte ihren süßen Atem auf meinen Lippen.

(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt