Kapitel 12: Dunkelgrau

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Bellas Sicht

Heute war kein guter Tag. Die ganze Nacht hatte ich damit verbracht, mir die Worte zurecht zu legen, die ich am nächsten Morgen Mike an den Kopf werfen würde, aber ich war zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Von einem Stechen unterhalb der Schläfen wachte ich mehrmals auf, als mein Wecker jedoch dann klingelte war ich unausgeschlafen und mein Schädel brummte.

Ich packte die Kündigung in meinen Rucksack, nach der Schule würde ich sie direkt bei Newtons abgeben. Träge schlüpfte ich in meine Kleider, eine blaue Jeans und meinen Lieblingspulli aus dunkelroter Merinowolle, dazu band ich meine Haare in einen Pferdeschwanz. Unten in der Küche traf ich auf Charlie, der Darcy mit dem Speck aus der Bratpfanne fütterte.

„Morgen Dad" murmelte ich und kraulte Darcy hinter den Ohren.

„Morgen Spätzchen" sagte Charlie und zog mich in eine Umarmung. „Na, irgendwelche Pläne für heute?"

„Wahrscheinlich treffe ich mich später mit Jake", erzählte ich und hoffte, nicht zu unschuldig zu klingen. Aber natürlich bemerkte Charlie es nicht, genauso wenig wie er den Schriftzug an unserer Hauswand gestern Abend bemerkt hatte.

„Und ich kündige bei Newtons"

Charlie sah mich überrascht an. „Oh Mann, und das obwohl die richtig gute Verkaufszeit noch gar nicht angefangen hat". Er hatte also auch schon von den Plänen gehört, Forks in ein Wintersport-Resort zu verwandeln. Ich sah ihm nicht in die Augen sondern schnappte mir einen Streifen Speck aus der Pfanne und knabberte zögerlich darauf herum. Irgendwann stand Charlie von seinem Platz auf und begann, seine Polizeisachen zusammen zu packen. Auch ich holte meine Sachen, nachdem ich noch etwas ausgiebiger frühstückte und fast zeitgleich verließen wir das Haus.

Als erstes Fach heute hatte ich Geschichte und das zum Glück ohne Mike. Noch einmal versuchte ich die Worte zu ordnen, aber ich war auch gespannt darauf, was und ob er mir überhaupt etwas sagen würde nach dieser peinlichen Aktion gestern. Als ich ihn nach Geschichte auf dem Korridor sah, das vermutlich erste und letzte Mal, dass mich Mike Newtons Anwesenheit nervös machte, konnte ich kaum an mich halten.

„Was sollte das gestern mit der dummen Schmiererei?" fuhr ich ihn an.

„Bella, komm mal runter." Er besah mich mit einem herablassenden Blick.„Du hast mich versetzt, und meinst jetzt mir Vorwürfe zu machen?" Er lachte hart auf. „Du bist so gestört Bella, rennst in Forks rum und meinst dass er irgendwann zurück kommt. Vergiss diesen Idioten Bella, er will dich nicht." fuhr Mike fort. Ich zögerte nur einen Moment, dann war mir klar dass dieser Streit nicht Mike gegen Bella war. Es war Mike gegen Edward und das machte mich fuchsteufelswild.

„Du hast doch keine Ahnung" zischte ich nur.

„Ach ja? Ich warte aber nicht verzweifelt darauf, das mein Ach so toller Ex Freund, der mich sitzen gelassen hat wieder zu mir zurückkommt. Und ich werde auch nicht depressiv oder suizidal deshalb. Gib dir 'nen Ruck Bella, er hat dich verlassen, er ist weg! Du bist frei und kannst ausgehen mit wem du willst."

Offenbar war sein Stolz doch nicht so gekränkt, zumindest nicht ausreichend, um mich nicht nochmal um ein Date zu bitten. Aber ich hatte eindeutig genug von ihm. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass wir inmitten eines kleinen Auflauf mitten im Gang voller Schüler standen und sämtliche Augen auf uns Streitenden lagen. So trat ich einen Schritt auf Mike zu um diesen unangenehmen Treffen endlich ein Ende zu bereiten. Ich bemühte mich meine Stimme besonders gefasst und emotionslos klingen zu lassen, obwohl es unter der Oberfläche kochte.

„Ich gehe nicht mit dir aus, nicht heute, nicht morgen und auch nicht in hundert Jahren Mike. Ich hab kein Interesse und wenn du noch einmal meinst, irgendwas an meine Hauswand zu schreiben, solltest du dich darauf vorbereiten, einen Liter Blut durch die Nase zu spenden!"

Auf dem Absatz machte ich kehrt und marschierte raus, um meiner Wut Luft zu machen.

Mikes grausame Wahrheiten hinter seinen albernen Worten hatten geschmerzt. Er lag nicht falsch damit, dass ich massive mentale Probleme hatte, aber ich war nur deshalb nicht in psychologischer Behandlung, weil ich sie keinen Zweck hatte, wenn ich nicht die ganze Wahrheit erzählte, und mein Stillschweigen wollte ich den Cullens trotz allem garantieren.

Ich ging in Richtung Transporter, dort konnte ich jetzt ungestört sein. Gerne hätte ich mit Angela gesprochen, und schrieb ihr im Gehen eine Nachricht. Auf dem Parkplatz angekommen, machte ich Schritte hinter mir aus. Zögerlich drehte ich mich um, unsicher was ich machen würde wenn wieder Mike vor mir stand. Ich fragte mich tatsächlich, ob er meine Ansichten besser verstand, wenn ich ihm eine knallte, aber ich war nicht gewalttätig und verwarf die Vorstellung.

„Bella" sagte eine ruhige Stimme hinter mir, und als ich mich umdrehte, sah ich in die verständnisvollen Augen von Angela.

„Hallo Angela" schluchzte ich und merkte, dass ich weinte. Was ich mir über so lange Zeit nicht zugestehen wollte, kam nun zum Vorschein. Erfolglos hatte ich immer und immer wieder die Traurigkeit versucht zu verdrängen.

„Schh Bella, alles in Ordnung" sprach sie mir gut zu und zog mich in ihre Umarmung.

„Angela, ich kann nicht mehr so weitermachen." brachte ich hervor und wollte ihr von meiner Entscheidung erzählen, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen. Doch ich konnte keinen Ton herausbringen und Angela tätschelte mir leicht den Rücken.

„Bella, wie wärs wenn wir heute mal einen Mädelsnachmittag machen, nur wir zwei und du mir dann alles erzählst? Du siehst echt ganz schön fertig aus"

So fühlte ich mich auch, aber die Idee klang vielversprechend. Sie war mir immer noch eine so liebe Freundin, auch nachdem ich mich zwei Monate lang nicht nach ihr erkundigt hatte, dachte ich beschämt.

„Da haben wir ganz viel Zeit und ich mache uns heiße Schokolade und dann wird das alles wieder gut."

Ich wollte daran glauben, dass wir das alles hinbekämen, wollte glauben, dass auch wenn der Himmel dunkelgrau war, die Sonne irgendwann wieder hervorkommen würde, und so nickte ich dankbar und in meinem Bauch breitete sich ein kleines warmes Gefühl aus: Vorfreude.

(1) Vulnerability is a sign of strength: Bis(s) zum Sonnenaufgang (TWILIGHT-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt