5. Sternenjägerin und Himmelskrieger

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Ismira folgte gemeinsam mit Cale ihrer neuen Lehrerin Narie. Die Elfe führte ihre Schützlinge durch das Innere der Stadtfestung von Gil'ead. Sie waren auf dem Weg in den Innenhof, wo Cales roter und Ismiras violettes Drachenmädchen ihrer Eltern treffen sollten.
Bereits jetzt hatte Eragons Nichte ihren kleinen Schlüpfling völlig ins Herz geschlossen. Glücklich beobachtete sie wie die beiden Jungdrachen, vor der Gruppe zu der sie gehörte, durch den Flur tollten, von rechts nach links hopsten und spielerisch die Schwanzspitzen des jeweils anderen jagten.
Das ganze kam der jungen Frau immer noch vor wie ein Traum. Solange sie zurückdenken konnte hatte sie Reiterin werden wollen. Noch gut erinnerte sie sich an ihren 10. Geburtstag. Als Anführer der Drachenreiter hatte Ihr Onkel Eragon seine Verwandten im Palancartal nicht so oft besuchen können wie er es gewollt hätte. Zwar stand immer der magische Spiegel zur Verfügung, und Ismira hatte ihn auch genutzt, um so viel wie möglich über Drachen zu lernen, aber es war einfach nicht dasselbe wie ein persönlicher Besuch bei denen sie im Schatten der mächtigen Drachendame Saphira stehen konnte. An besagtem 10. Geburtstag hatte Ihr Onkel und ihre Tante Arya es geschafft das Palancartal zu besuchen. An diesem Festtag hatte er seiner Nichte den bis dahin größten Wunsch erfüllt. Sie durfte gemeinsam mit ihm auf dem Rücken seiner Drachendame einem Flug unternehmen. Ihre Freundin Hope war auch eingeladen gewesen, doch diese hatte sich nicht getraut. Bis heute konnte Ismira das nicht begreifen. Es war ein wundervolles Erlebnis gewesen! Die Welt in dieser völlig neuen Perspektive zu sehen und sich dabei so frei zu fühlen ließ sich mit nichts anderem vergleichen. Leider war der Flug nach Meinung des kleinen Mädchens viel zu schnell zu Ende gegangen. Nur einmal bis zum Utgard und zurück.
Ismira kam nicht umhin sich auf den Moment zu freuen, wenn sie das erste Mal mit ihrer Drachendame in den Himmel steigen würde.
Die junge Frau warf einen Blick auf Cale und hoffte an seinem Gesicht erkennen zu können, ob er ein ähnliches dachte. Leider schien der junge Buchbindersohn tief in Gedanken versunken zu sein. Ismira konnte es ihm nicht übel nehmen. Drachen, Elfen und Ähnliches waren zwar auch im Palancartal nicht alltäglich, doch mit einem Onkel der eine Drachendame und eine Elfe in die Familie gebracht hatte, waren diese Dinge seit frühester Jugend Bestandteil von Ismiras Leben gewesen. Die Aura von Rätselhaftigkeit, das Mysterium des Unbekannten war für die junge Frau vom Orden der Drachenreiter abgefallenen. Für Cale sah das anders aus. Bis zum heutigen Tag hatte er wohl noch nie einen Drachen aus Fleisch und Blut gesehen. Nun war er mit einem solchen Wesen verbunden, war Schüler des Drachenreiterordens und hatte herausgefunden, dass es in seinem Stammbaum wohl einen elfischen Vorfahren geben musste.
Erleichtert erstellte Ismira jedoch fest, dass auch Cale ein glückliches Lachen nicht unterdrücken konnte als die beiden Drachenkinder sich selbst in einer misslichen Lage gefangen sahen. Beide hatten sie zur gleichen Zeit die Schwanzspitze des anderen mit dem Maul erwischt und nun ging es in einem wilden Ringelreihen ständig im Kreis. Keiner der beiden Schlüpflinge schien willens zu sein seine Beute wieder freizugeben. Erst als die Küken befürchten mussten, den Anschluss zu ihren Reitern zu verlieren ließen sie voneinander ab und schlossen wieder zur Gruppe auf.
Schließlich führt der Narie sie eine Treppe hinunter die vor einer schweren Holztür endete. Etwas hinter dieser Tür schien die beiden Schlüpfling in großer Aufregung zu versetzen.
Cales roter Drache presste seine Nase so fest er konnte in den Spalt zwischen Fußboden und Unterkante der Tür und zog schnaubend die Luft eine, während seine violette Schwester sich mit den Vorderpfoten an der Tür hochstemmte und am Holz zu kratzen begannen.
Nur mit Mühe gelang es der Elfe Narie noch die Tür zu öffnen und kaum war ein kleiner Spalt ins Freie entstanden als beide Jungdrachen zur gleichen Zeit versuchten sich hindurch zu quetschen. Ein heilloses Durcheinander aus Flügeln, Beinen, Hälsen und sonstigen Körperteilen war die Folge. Schließlich kugelten die beiden Drachenkinder förmlich ins Freie. Durch die noch halb geschlossenen Tür verlor Ismira ihre kleine Drachendame kurz aus den Augen. Als Narie die Tür schließlich ganz geöffnet hatte, traten die beiden jungen Reiter mit ihrer Lehrmeisterin ins Freie. Auf dem großen Innenhof der Stadtfestung bot sich ein anrührendes Bild. In der Mitte der rechteckigen Fläche, welche durch die Burgmauern begrenzt wurde, lagen die beiden erwachsenen Drachen die vorher stummer Wache über die Dracheneierprüfung gehalten hatten. Die beiden Drachenkinder tobten ausgelassen zwischen ihren Eltern herum. Lautes, fröhliches Fiepen verriet der ganzen Welt wie glücklich, die beiden waren. Ismiras Drachenmädchen ließ sich gerade von ihrer Mutter mit der Schnauze liebkosen. Es war ein Anblick, der die junge Drachenreiterin fast zu Tränen rührte. Jeder dachte, wenn man das Wort Drachen hörte an ein wildes Ungetüm, mit Hörnern und Klauen versehen, welches Feuer speien vom Himmel herab stieß. So wie jetzt stellte man sich die mächtigen Wesen nur selten vor. Ismira wusste, welch gewaltige Kraft in den Drachen schlummerte. Umso eindrucksvoller war es die rote Drachendame Kira so vorsichtig und sanft mit ihrem Nachwuchs umgehen zu sehen. Das violette Drachenmädchen genoss sichtlich die Zärtlichkeit seiner Mutter und stimmte mit einem hellen Summen in den liebevollen Brummton ein welchen Kira von sich gab.
Der Bruder der kleinen Drachendame indes war in ein Spiel mit seinem wilden Vater vertieft. Hidalgo versuchte seinen Sohn zu beschnuppern doch dieser hatte nicht vor still zuhalten. Der Drachenjungen presste sich an den Boden und jedes Mal, wenn sich die Nase seines Vaters näherte, hopste er einige Fußbreit zur Seite und quiekte dabei fröhlich.
Vorsichtig um die junge Drachenfamilie nicht zu stören näherten sich die drei Reiter der Szene. Als sie direkt vor den beiden erwachsenen Drachen stehen blieben, hoben diese die Köpfe und musterten eingehend Naries Begleiter. Die beiden Schlüpfling hockten sich vor ihrer Eltern und besahen sich das ganze mit großem Interesse.
- "Uns allen war klar, dass Du irgendwann eine Reiterin werden würdest."-
Ismira hörte die Stimme Kiras in ihren Gedanken als sie Drachendame Ihr liebevoll eine Welle warmer Luft ins Gesicht blies.
- "Ich weiß nicht, wie ich Eurer Tochter für das Geschenk danken soll, dass sie mir gemacht hat als sie bei mir geschlüpft ist." - Versicherte Ismira. - "Ich kann nur sagen, dass sie bereits jetzt das Wichtigste in meinem Leben ist und ich alles tun werde, um sie zu beschützen." -
Diese Antwort schien den beiden Dracheneltern zu gefallen.
Hidalgo richtete seinen Blick nun auf Cale.
- "Du hast also unseren Sohn ins Leben geholfen." - Stellte der wilde Drache fest und senkte den Kopf bis er dem jungen Mann direkt in die Augen sah. - "Alles noch etwas viel für Dich nicht wahr Junge?" -
Er brachte ein nervöses Lachen hervor und antwortete: "Allerdings. Ich weiß nicht, womit ich diese Ehre verdient habe aber ich werde alles tun, um Euren Sohn ein guter Reiter zu sein."
- "Ich denke unsere Kleinen haben gut mit Euch beiden gewählt." - summte Kira befriedigt. - "Nun wird es aber Zeit, dass wir unseren kleinen Namen gebt. "-
Wie um die Worte ihrer Mutter zu bestätigen fiepten beiden Drachenkinder fröhlich und hoppelten auf ihrer Reiter zu. Vor ihnen bauten sich die kleinen Drachen in ihrer ganzen Pracht auf und warteten.
Ismira war etwas verlegen.
"Ich muss Euch ein Geständnis machen. Ich habe meiner Kleinen schon einige Namen vorgeschlagen. Bitte seid nicht böse, ich wusste nicht, dass sich das nicht gehört. Auf keinen Fall wollte ich Euch beleidigen Hidalgo und Meisterin Kira."
Zu Ismiras Erleichterung schien keiner erwachsenen Drachen Ihr den kleinen Fehltritt übel zunehmen.
"Leider hat Eure Tochter bisher jeden Namen abgelehnt und mir sind die Ideen ausgegangen." Gestand die junge Frau.
- "Nun, er hat vielleicht unser junger Freund hier drüben einen zündenden Einfall." - Mutmaßte Hidalgo und nickte in Cales Richtung.
"Die habe ich in der Tat."
Ismira sah ein neues Selbstbewusstsein auf Cales Gesicht als er dies sagte. Der Buchbindersohn ging vor seinem Drachen in die Hocke, um mehr mit ihm auf Augenhöhe zu sein.
"Eine der schönsten Erinnerungen, die ich mit meinem Vater verbinde, ist die, als er mir in einer klaren Nacht die Sternbilder erklärt hat. Von diesem Tag an war der Nachthimmel für mich voller Bilder. Wilde Tiere, mythische Gestalten alles sah ich dort oben und sehe es noch heute. Mein Lieblingsbild war immer das des Himmelskriegers. Man sieht es am nördlichen Himmel. Ein mächtiger Krieger der über das Himmelszelt wacht. Ich würde Dir gerne den Namen geben, den die Gelehrten diesem Sternbild gegeben haben mein Kleiner. Er lautet: Tailon. Tailon der Himmelskrieger. "Der kleine Rote hatte andächtig den Worten seines Reiters gelauscht. Ismira vermutete, dass Cale seinen Erklärungen auch noch einige Bilder aus seiner Vorstellung hatte folgen lassen. In jedem Fall schien der Schützling des Buchbindersohnes begeistert von seinem Namen. Aufgeregt hüpfte er auf und ab, schlug mit seinen Flügeln und fiepte begeistert.
Auch die beiden Dracheneltern bekundeten stumm ihre Zustimmung.
Ismira spürte plötzlich wie Ihr kleines Drachenmädchen an ihrem Geist zupfte. Als die junge Frau sich öffnete, fluteten Bilder in ihren Geist. Zuerst kam sich vor als stünde sie auf einer Wiese unter einem sternklaren Himmel. Ismira vermutete, dass dies die Bilder waren die Cale seinem Drachen gezeigt hatte. Tailon hatte sie offenbar mit seiner Schwester geteilt. Es blieb allerdings nicht einfach beim Anblick des Himmelszeltes. Ismira staunte als sie sah die Cales Fantasie die winzigen Lichtpunkte miteinander verknüpfte und Bilder entstanden. Ein brüllender Löwe, ein mythisches Ungeheuer und Ähnliches schien sich aus dem silbernen Licht der Sterne zu formen. Ein Bild erregte wohl besonders die Aufmerksamkeit des jungen Drachenmädchens. Es zeigte eine stattliche Kriegerin, die einen Bogen spannte, an dessen Sehne ein silberner Pfeil lag. Bewunderung und Sehnsucht, offenbar Gefühle der kleinen, violetten Drachendame, begleiten dieses Bild.
"Ich befürchte, Du hast meiner Kleinen ein Floh ins Ohr gesetzt Cale. Ich denke, sie will auch einen Sternennamen. Sie interessiert sich besonders für das Bild einer Kriegerin oder Jägerin."
"Ich glaube, ich weiß welches Sternbild Du meinst. Das der Sternenjägerin am südlichen Nachthimmel. Ihr Name ist..."
Ismira wehrte heftig ab.
"Nicht laut sagen! Ich will meiner Kleinen schließlich den Namen vorschlagen."
Die junge Frau beugte sich zu Cale hinüber, damit diese Ihr den Namen zuflüstern konnte. Ismira unterdrückte ein Kichern als sie sah, dass Cale rot wurde, als ob er sich vorbeugte und Ihr den Namen direkt ins Ohr flüsterte. Er gefiel Ihr gut aber würde auch das Drachenmädchen zufrieden sein?
"Was hältst Du von Anarie meine Kleine?"
Das violette Drachenmädchen wiegte den Kopf von einer Seite auf die Andere und schien sich den Namen förmlich auf der Zunge zergehen zu lassen. Schließlich schien auch sie mehr als befriedigt zu sein.
- "Tailon der Himmelskrieger und Anarie die Sternenjägerin!" - Wiederholte die rote Drachendame Kira stolz und schmiegte ihren Kopf ein Hidalgos Hals.
- "Ich denke unsere beiden haben wirklich gut gewählt mit ihren Reitern." - Brummte Saphiras Sohn zufrieden.



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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt