53. Robar

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Narie und Marek hatten eine ruhige Nacht verbracht. Nun waren sie auf der letzten Etappe ihrer Reise. Bereits im Morgengrauen hatten sie den Silberwald hinter sich gelassen und Ihre Drachen folgten nun einem Flusslauf der die Ostgrenze von Surda markierte. Der Elfe fiel auf, dass Ihr menschlicher Mitstreiter stets verträumt in Richtung der Ausläufer des Beor Gebirges blickte.
- "Ist das so ungewöhnlich, Silberschopf?" - ließ Kira sich vernehmen. - "Du hast ganz ähnlich reagiert als wir uns Du Weldenvarden näherten. Die Berge sind eben Mareks Heimat wie der Wald die Deine ist." -
Narie stimmte ihrer Drachendame stumm zu. Die junge Elfe musste sich allerdings eingestehen, dass, obwohl sie wie jedes Mitglied ihres Volkes die Natur liebte, die Berge etwas Bedrohliches für sie hatten. Elfen lernten schon seit frühester Kindheit zu hören bis es nichts mehr zu hören gab. Ihre geistigen Fühler waren sehr geschärft. In einem Wald lebte und atmete alles. Die Bäume, die Tiere und selbst Kleinstlebewesen im Boden. Berge waren irgendwie anders. Sie waren große, tote Gebilde, die in der Landschaft standen und in den Himmel emporragten. Sicher wuchsen bis zu einem gewissen Grad Bäume auf ihnen und es gab auch Lebewesen aber je höher man kam, desto spärlicher war das Leben. Manchmal erschien es der Elfe, als ob ein gigantisches Wesen seine Klauen aus der Erde streckte und die lebende atmende Hülle der Welt durchstoßen hätte.
Es war Narie unbegreiflich wie die Zwerge Stein derart verehren konnten und ihn sogar als Ursprung des Lebens selbst betrachteten. Andererseits musste sie es auch nicht begreifen es war lediglich ihre Pflicht, als Drachenreiterin diese Einstellung zu respektieren. Auch war es unbestreitbar, dass das Volk der Knurlan beachtliche Kunstwerke aus diesem scheinbar toten Material formte. Burod, der erste Zwerg der zum Reiter berufen worden war und sein Drache Beoram waren die besten Beispiele für die Kunstfertigkeit des Zwergenvolkes wenn es um das Handwerk des Steinmetzes ging. Der junge Zwerg hatte mit der Unterstützung seines Drachens beeindruckende Kunstwerke in der Ostmark geschaffen. Ein Umstand, für den ihm der Orden der Reiter zu Dank verpflichtet war. Nun war Ihr Stützpunkt im Osten nicht nur gut gesichert und zweckmäßig, sondern war auch in einer beeindruckenden Form repräsentativ.
- "Vorsicht Silberschopf" - warnte Kira. - "Wir drehen jetzt nach Osten ab. Laorie vermutet das wir in etwa eine Stunde brauchen werden, um die Behausung dieses Einsiedlers zu erreichen. Anstatt über Felsen zu grübeln, solltest Du Dir lieber ein paar Schutzzauber überlegen. Wenn dieser Robar wirklich so ein "liebenswerter" Zeitgenosse ist kann das sicher nicht schaden." -
- "Hältst Du das nicht übertrieben? Er ist vielleicht ein Eigenbrötler aber dass er zwei Reiter und ihre Drachen angreift halte ich für eher unwahrscheinlich." -
- "Besser einen Schutzwall haben und ihn nicht brauchen als einen Schutzwall brauchen und ihn nicht haben." - hielt Kira unbeirrbar dagegen während sie sich in eine sanfte Kurve legte und nun gemeinsam mit Laorie nach Osten strebte.
- "Da hast Du natürlich recht." - schmunzelte die Elfe.
In der Tat war es besser sich abzusichern, als später das Nachsehen zu haben. Narie begann also einige Schutzwälle zu weben und spürte, dass auch Marek damit begonnen hatte. Die Elfe sicherte sich und ihrer Drachendame gegen den Beschuss mit Pfeilen oder anderen festen Objekten, die auf sie abgefeuert wurden und schirmte sowohl sich als auch ihrer Drachendame vor feindlichen Zaubern ab. Weder die Todesworte, noch durch Magie erzeugte Kräfte wie Flammen oder Blitze konnten ihn jetzt etwas anhaben.
Unaufhaltsam flog die Reisegruppe weiter nach Osten. Zu reden gab es nicht mehr viel. Bereits vor ihrem Abflug am Morgen hatten sich Narie und Marek auf ihre Vorgehensweise gegenüber dem Einsiedler Robar verständigt.
So setzten Drachen und Reiter ihren Flug stumm fort und nach etwa einer Stunde begannen Laorie und Kira einen Sinkflug und drosselten ihre Geschwindigkeit. In langsamen Kreisen sanken die beiden Drachen tiefer und schließlich war es Narie die etwas entdeckte. Vor einem kleinen Plateau erstreckte sich eine schmale Lichtung auf dem Plateau selbst schien ein kleiner Gebirgsbach zu entspringen und suchte sich, nachdem er in einem kleinen Wasserfall über die Kante des Plateaus gestürzt war munter plätschernd seinen Weg in den Wald. Die Quelle des kleinen Baches schien in einer Höhle zu entspringen, deren Eingang mit Tierfellen zugehängt war. Offenbar war jemand bemüht seine Behausung vor den Elementen zu schützen.
Narie macht ihre Begleiter auf ihrer Entdeckung aufmerksam und kurz stimmte sie sich mit Marek und den beiden Drachendamen ab. Die Gruppe beschloss auf der kleinen Lichtung unterhalb der Höhle zu landen und die Reiter wollten ihren Weg zur Behausung des Einsiedlers zu Fuß fortsetzen. Zum einen war das Plateau zu klein, als dass Laorie und Kira Platz darauf gefunden hätten und zum anderen erschien es den beiden Reitern einfach höflicher zu sein und weniger bedrohlich zu wirken, wenn nicht gleich zwei riesige, feuerspeiende Echsen unaufgefordert ihre Köpfe in die Behausung eines Unbekannten schoben.
Schließlich waren bisher alle Informationen, die sie über diesen Mann hatten, Gerüchte. Auch handelte es sich hier lediglich um eine allgemeine Befragung. Sie konnten Robar schließlich keinen konkreten Verdacht anlasten. Die einfache Tatsache, dass er sich mit Geisterbeschwörung Beschäftigte machte ihn noch nicht zu einem Verbrecher.
Die beiden Drachendamen flogen eine letzte Kurve und ließen sich dann dem Boden engegen sinken.
Narie ging bereits in Gedanken die höflichen Formulierungen durch, die sich für den Einsiedler Robar zurechtgelegt hatte, um Ihr Ansinnen vorzutragen. Plötzlich spürte die Elfe jedoch, dass die Luft um sie herum in Aufruhr geriet. Irgendetwas stimmte nicht. Ein gewaltiger Ruck ging durch Kira und die Drachendame sackte plötzlich in die Tiefe wie ein Stein. Jemand erschuf durch Magie ein Luftloch!
Glücklicherweise waren sowohl Kira als auch Laorie schon recht tief als es geschah, doch der Absturz kam so unvorbereitet, dass die Landung sehr unsanft ausfiel. Ein scharfer Schmerz, der eindeutig von ihrer Drachendame ausging, zuckte durch Naries Gedanken. Trotz der Beinriemen riss die Wucht des Aufpralls die Elfe aus dem Sattel. Unsanft landete sie auf der Gras- und Moosbewachsenen Lichtung vor dem Plateau. Die Erde, die den Felsen hier bedeckte war recht dünn und dementsprechend hart war Naries Aufprall. Allein die Sorge um ihrer Drachendame hielt die Elfe bei Bewusstsein. Hastig blickte sie sich um.
- "Was ist passiert?! Bist Du verletzt?!" -
- "Ja!" - knurrte Kira wütend. - "Ich glaube, mein rechtes Vorderbein ist gebrochen." -
Dieser Vermutung konnte sich Narie nur anschließen. Das rechte Vorderbein der roten Drachendame knickte an einer Stelle wo eindeutig kein Gelenk war in einem ungesunden Winkel ab. Auch hatte sie einige Schürfwunden von dem harten Aufprall davongetragen. Ein schneller Seitenblick zeigte der Elfe, dass es Marek gut ging und er auf seine Begleiterin Laorie zu eilte die ebenfalls Probleme damit hatte auf die Beine zu kommen.
Narie wollte sofort zu ihrer Begleiterin und ihre Verletzungen heilen als ein scharfes - "Vorsicht!" - durch ihren Geist hallte. Instinktiv folgte die Elfe der Warnung ihrer Seelenschwester und warf sich zur Seite. Keinen Augenblick zu früh! Eine knisternde Ladung giftgrüner Energie schlug in den Boden ein wo Narie bis vor kurzem noch gestanden hatte. Der Einschlag riss einen Krater von fast zwei Meter Durchmesser in den Boden. Erde, Gestein, Moos und Gras wirbelten durch die Luft. Ein scharfer Brandgeruch stach der Elfe in die empfindliche Nase.
Als sie sich wieder aufbereitet hatte entdeckte Narie vor den Höhleneingang einen abgemagerten, zerzaust wirkenden alten Mann der, von hysterischem Gelächter geschüttelt, auf sie herabblickte. Manisch wiegte der Mann, der etwa um die fünfzig zu sein schien, seinen Oberkörper auf und ab. Er trug einfache dunkle Lederkleidung, seine Haare waren grau, schulterlang und verfilzt. Sein Kinn jedoch war glatt rasiert.
"Ihr kriegt mich nicht!", brüllte der Alte. "Drachenreiter und Spitzohren! Sie haben mich vor Euch gewarnt! Ja das haben sie! Ihr kriegt mich nicht!"
Diesem irren Ausruf folgten einige gemurmelte Worte in der alten Sprache. Der alte Mann, bei dem es sich offenbar um Robar handelte, stieß seinen mit Runen verzierten Gehstab in die Höhe. Eine knisternde Kugel aus giftgrüner Energie begann und die Spitze des Stabes zu kreisen. Der Alte hatte einen Geist beschworen!
Wieder verdichtete sich die magische Kraft in der Nähe des alten Mannes und eine erneute Welle aus magischer Energie flutete auf die Drachenreiter zu. Wieder beschloss Narie durch einen Sprung auszuweichen. Marek tat es Ihr gleich. Sicher hätten auch die Schutzwälle die beiden Reiter geschützt doch das hätte sie weit mehr Kraft gekostet, als der Versuch auszuweichen. Noch war unklar, wie viel der Angreifer über die Geisterbeschwörung wusste und mit welcher Gegenwehr sie zu rechnen hatten. Kraft zu 'sparen' war daher die klügste Vorgehensweise.
"Wir sind nur hier um zu reden!", rief Marek, als das Getöse des magischen Angriffs einmal mehr verklungen war.
"Es gibt nichts zu reden! Ich habe nichts zu reden!" keifte Robar zurück. Noch immer kreiste der Geist um die Spitze seines Stabes und der Hexenmeister schickte sich an einen weiteren Angriff zu starten.
Während Narie sich einmal mehr darauf vorbereitete dem Angriff auszuweichen spürte sie plötzlich wie eine Welle aus zügellosem Zorn! Die junge Elfe begriff, dass diese Wut von ihrer Drachendame ausging. Eilig blickte sie sich um. Sowohl Kira als auch Laorie hatten sich einigermaßen auf die Beine gekämpft. Die rote Drachendame hielt Ihr rechtes Vorderbein eng an den Körper gepresst während die gelbe Drachendame Ihr linkes Hinterbein nicht belastete. Auch eines ihrer Vorderbeine war aber blutverschmiert.
Glücklicherweise schien weder Kira noch Laorie ernsthaft verletzt zu sein doch der Schmerz und die Bedrohung ihrer Reiter reichte aus, um bei den beiden mächtigen Wesen jede Zurückhaltung dahinschmelzen zu lassen und Robar zum Angriffsziel ihrer alles vernichtenden Wut zu machen.
- "Wenn Du keine Worte von uns empfangen willst dann nimmt das!" - donnerte die rote Drachendame und gemeinsam mit ihrer gelben Artgenossin entfesselten sie zwei mächtige Flammenzungen die auf Robar zu schossen und den Mann einhüllten.
- "Hört auf! Das ist gefährlich!" - flehte Narie.
Zwar kann die beiden Drachen Ihrer Bitte nach doch ein Blick in Robars Richtung enthüllte, dass Naries Befürchtungen bereits im Begriff waren wahr zu werden. Der Einsiedler war auf die Knie gefallen und hatte seinen Brustkorb mit beiden Armen umschlungen. Er schrie vor Schmerzen und schien bemüht zu sein sich selbst zusammenzuhalten. Giftgrüne Lichtreflexe, ähnlich zuckenden Blitzen, züngelten über seine Haut die mehr und mehr jegliche Farbe verlor. In Bruchteilen von Sekunden war Narie klar was vor sich ging. Robar hatte dem Geist befohlen ihn vor dem Feuer zu schützen. Das jedoch hatte offenbar mehr Kraft erfordert als er dem Geist als Gegenleistung anbieten konnte. Nun nahm sich das Wesen aus reiner Energie stattdessen eine andere Art von Lohn. Es begann damit sich im Körper des Einsiedlers einzunisten. Ein Schatten war im Begriff geboren zu werden.
Noch bevor die junge Elfe jedoch entscheiden konnte was jetzt zu tun war richtete Robor seinen Oberkörper gerade auf, warf den Kopf in den Nacken und stieß einem markerschütternden Schrei aus.
Es war als würde die gesamte Schöpfung protestieren gegen das, was nun auf Ihr wandeln würde. Eine gewaltige Druckwelle, wesentlich stärker als alles, was der Einsiedler bisher beschworen hatte traf sowohl Drachen als auch Reiter und schleuderte sie rückwärts. Naries Welt verlor sich in einem zusammenhanglosen Wirbel. Es gab kein oben, kein unten auch keine rechts oder links. Dann war es vorbei! Die junge Elfe schlug einmal mehr hart auf den Boden auf. Benommen blickte sie sich um. Selbst die Drachen hatte die Druckwelle einige Meter von dem Plateau fortgeschleudert. Glücklicherweise schien sie sich nicht weitere oder ernstere Verletzungen zugezogen zu haben. Doch die Besucher diese bereits erlitten hatten, machten es den beiden Wesen schwer wieder auf die Beine zu kommen. Marek lag einige Meter links von Narie auf der Seite und rührte sich nicht. War er bewusstlos oder gar Schlimmeres? Die Elfe glaubte den süßlichen Geruch von Blut in der Luft wahrnehmen zu können.
Ihr erster Impuls war es sofort zu ihrem Gefährten zu eilen und innere Verletzungen zu untersuchen. Doch bevor sie sich aufrappeln konnte schloss sich eine Hand wie ein Schraubstock um Naries Kehle und riss die Elfe vom Boden hoch. Die Füße der jungen Drachenreiterin konnten keinen Boden mehr unter Ihr ertasten. Scheinbar mühelos hielt das Wesen, welches nun vor Ihr stand, sie mit einer Hand in der Luft. Unnatürlich grüne Augen blickten sie hasserfüllt an. Robors Haut hatte jegliche Farbe des Lebens verloren. Sein bleiches Antlitz stand in scharfem Kontrast zu seinem Haar, welches nun blutrot verfärbt war. Als er zu sprechen begann, konnte Narie erkennen, dass seine Zähne nun spitzt, zuliefen.
"Du bist ein Kind der Spitzohren!" zischte der Schatten. "Ihr habt uns betrogen! Fallen gelassen habt Ihr uns und vergessen! Dafür werden wir uns rächen. Ich werde Dir Dein Herz aus der Brust reißen!"
Die junge Drachenreiterin konnte kein Wort herausbringen und keinen klaren Gedanken fassen. Der unerbittliche Griff um ihren Hals drückte Ihr die Luft ab. Hilflos sah sie zu wie der Schatten die freie Hand hob. "Hand" war mittlerweile das falsche Wort. Das, was da vor Ihr schwebte und sich auf sie zu bewegte um Robors Versprechen, Ihr das Herz aus der Brust reißen, wahr zumachen, ähnelte mehr der krallenbesetzten Klaue eines Raubtieres.
Gerade als der Schatten seine Drohung endgültig wahrmachen wollte gefror jedoch das teuflische Grinsen auf seinem Gesicht. Er blickte an sich hinunter. Eine sonnengelbe Schwertspitze ragte aus seiner Brust direkt an der Stelle wo sein Herz war.
Der Schatten heulte auf und sein eiserner Griff um Naries Kehle löste sich. Hustend und nach Luft ringend landete die Elfe auf dem Boden und kroch von Selbsterhaltung getrieben von dem Schatten fort. Dieser verging mehr und mehr. Seine Haut löste sich, wie altes Papier, Stück für Stück auf und schließlich zerriss ein blendender giftgrüner Lichtblitz die menschenähnliche Gestalt völlig.
Naries Augen brauchten einige Sekunden um sich von dem gleißenden Licht zu erholen. Dann jedoch erkannte sie Marek der, sein Schwert immer noch in der Hand, auf sie zukam. Das Gesicht des jungen Bergnomaden war blutverschmiert. Eine Kopfplatzwunde war dafür verantwortlich. Ohne sich jedoch um seine Verletzungen zu kümmern, half er seiner Gefährtin auf die Beine.
"Geht es Dir gut?" erkundigte er sich besorgt.
Narie hustete noch immer und brachte nur ein Nicken zustande. Erleichtert erkannte sie, dass Laorie und Kira sich wieder auf die Beine gekämpft hatten und auf ihrer Reiter zu humpelten.
"Nun, jetzt kannst Du wohl auch mich Schattentöter nennen.", murmelte Marek erschöpft als erkannte, das es seiner Gefährtin und seiner Drachendame einigermaßen gut ging.
Naries Stimme war immer noch rau und ihre gekrächzten Worte wurden von einem erneuten Hustenanfall begleitet aber dennoch brachte sie ein "Du Kindskopf!" zu stande.


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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt