*65. Erkundung (4/4)

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In der Tat verbrachten Cale und Ismira eine angenehme Zeit mit Jeod. Seine Frau Helene hatte sich nachdem der Höflichkeit Genüge getan war verabschiedet mit der Begründung sie hätte noch einige Pflichten zu erfüllen.
Ihr Gatte dagegen hatte die Gelegenheit genutzt und die neuesten Schüler des Drachenreiterordens genau ausgefragt. Bereitwillig hatten Ismira und Cale dem netten Chronisten über ihr bisheriges Leben und ihren bisherigen Werdegang als Reiter Auskunft gegeben. Brennend hatte den Gelehrten natürlich der Umstand interessiert, das Cale elfischer Blut in den Adern hatte. Wer seine Verwandten im schönen Volk waren hatte Cale aus Rücksicht auf den Bruder seines Vaters zwar verschwiegen aber der junge Reiter sah keinen Grund die Tatsache selbst zu verbergen.
Im Gegenzug hatte er von Jeod erfahren, dass es zu Zeiten des alten Ordens sehr wohl Gerüchte über Abkömmlinge von menschlichen Reitern und Elfen gegeben hatte. Es war allerdings unmöglich einen dieser Fälle tatsächlich nachzuweisen. Eine Mauer des Schweigens war stets im Weg gewesen.
Mit der Gründlichkeit eines Gelehrten hatte Jeod alles zu Papier gebracht was seine Gäste ihm erzählt hatten und ordnete nun seine Notizen. Diesen Augenblick nutzte Ismira um selbst eine Frage zu stellen: "Was mich interessieren würde, wie ist Esterni eigentlich entstanden. Soweit ich weiß werden doch erst einmal nur erwählten Reiter in die Ostmark gebracht. Woher kommen all diese Wesen aus den unterschiedlichen Völkern? Sie können doch nicht alle Verwandte der gegenwärtigen Drachenreiter sein. Dafür erscheint mir die Stadt zu groß. Zu viele Wesen leben hier als dass alle einer Familie angehören könnten."
"Da hast du durchaus recht Ismira." erklärte ihr Gastgeber bereitwillig. "Natürlich sind einige der Stadtbewohner mit Drachenreitern direkt verwandt aber zur Gründung von Esterni ist das aus anderen Umständen gekommen. Zwei Faktoren haben eine wesentliche Rolle gespielt. Kurz nach dem Kampf gegen Shruikan haben die Drachenreiter damit begonnen enger mit den Herrschern in Alagaesia zusammenzuarbeiten. Man wollte vermeiden dass sich Vorfälle wie die mit König Orrin wiederholen. Ein Eckpfeiler dieser Zusammenarbeit war und ist die Ausbildung von Magiebegabten. In erster Linie geht es da natürlich um Menschen, Zwerge und Urgals. Diesen lernwilligen Schülern eine angemessene, ihrem Volk entsprechende Unterkunft zu bereiten wurden von den Elfen, die Eragon Schattentöter eins den Krieg beschützten und ihn auf seiner Reise in den Osten begleiteten, erste Unterkünfte errichtet wie sie Zwerge, Menschen und Urgals bevorzugen. Auch diese Bibliothek hier und ein Gebäude welches ausschließlich der Ausbildung von Magiebegabten gewidmet ist. Sie waren gewissermaßen die Gründungsväter von Esterni. Zu der Zeit als die ersten Magiebegabten hier unterwiesen wurden fasste dein Onkel, Ismira, einen Entschluss: er wollte aus allen Völkern Alagaesias eine Truppe zusammenstellen, die die Reiter auf ihren Missionen unterstützen sollte. Ich vermute, dass ihm diese Idee durch die Flutkatastrophe gekommen ist bei der der Orden der Reiter Hilfe geleistet hat. Es ist eine traurige Tatsache meine jungen Freunde, dass Katastrophen manche Wesen dazu veranlassen eng zusammenzuarbeiten andere aber zum Inbegriff des Egoismus werden. Es kommt zu Plünderungen, Überfällen und ähnlichem. Auch einige Versorgungsgüter wieder Orden der Reiter in das gebeutelte Gebiet geschickt hatte wurden gestohlen. Eragon sah sich also gezwungen immer wenigstens einen Reiter mit der Überwachung der Lagerstätten, wo die Versorgungsgüter untergebracht waren, zu beauftragen. Er hat mir erzählt, dass er dies für eine sehr schmerzhafte und überflüssige Verschwendung hielt. Die Kräfte von Drache und Reiter wären andernortes sehr viel besser eingesetzt gewesen. Deshalb beschloss er eine Organisation aufzubauen die den Reitern im Kampf aber auch bei Hilfeleistung im Katastrophenfall unter die Arme greifen kann. Außerdem sollten die Rekruten dieser Truppe auch die Funktion der Eiwächter ausfüllen. Der Reiter, der eine Prüfung überwacht soll sich in erster Linie um geschlüpfte Küken und ihren neu erwählten Reiter kümmern. Der Schutz der noch ungeschlüpften Drachen obliegt den Eiwächtern. Er besprach diesen Vorschlag mit den Herrschern der einzelnen Völker und die standen diesen Vorschlag durchaus positiv gegenüber. Einige von ihnen haben es ohnehin nicht gern gesehen, dass lediglich das Volk der Elfen Eragon in der Ostmark unterstützte."
"Mein Vater hat mir einmal davon erzählt." warf Ismira ein. "Nach dem Krieg hatte sich meine Tante Arya entschieden Königin über ihr Volk zu werden obwohl sie bereits zur Reiterin erwählt worden war. Das hat hohe Wellen geschlagen nicht wahr?"
"Unglücklicherweise ja." bestätigte Jeod. "Deine Tante Arya hat meinen höchsten Respekt Ismira aber mit dieser Entscheidung hat sie den Völkern in der Tat keinen großen Dienst erwiesen. Noch heute betrachtet man diese Entscheidung sehr kritisch und sie hat dazu geführt, dass man dem Volk von Du Weldenvarden einen gewissen Hang zur Macht nachsagt. Nun, darum müssen wir uns hier glücklicherweise nicht kümmern. In den einzelnen Völkern gab es natürlich viele Freiwillige die sich in den Dienst des Ordens stellen wollten. Eragon stellte hohe Anforderungen an mögliche Rekruten. Es genügte ihm nicht einfach talentierte Söldner in seinen Dienst zu nehmen. Besonders was die Moral betrifft war er sehr kritisch. Jemand der den Orden der Reiter dienen will der verschreibt sich damit einem höheren Ziel. Nämlich dem Frieden und der Verständigung zwischen allen Völkern. Respekt und Toleranz sind wichtige Charaktereigenschaften. Da die Rekruten eine Verpflichtung auf Lebenszeit eingingen wurde ihnen natürlich erlaubt ihre Familien und Freunde mitzubringen. So ist schließlich Esterni entstanden. Am Anfang hat es natürlich Probleme gegeben das so unterschiedliche Völker so dicht zusammen leben."
"Welche Art von Problemen?" wunderte sich Cale.
"Nun, die Völker haben sehr unterschiedliche Lebensgewohnheiten." erklärte der Chronist des Ordens. "Zum Beispiel wisst ihr, dass die Elfen kein Fleisch essen. Die Urgals, Zwerge und Menschen sind aber nicht bereit auf den Genuss von Fleischgerichten zu verzichten. Die Menschen halten sich auch Nutzvieh, dass zum Beispiel bei der Feldarbeit hilft aber auch geschlachtet wird. Hauptsächlich sind es Kaninchen, Kühe, Schafe oder Hühner. Auch das gefällt den Elfen nicht besonders. Sie boten an die Felder der Menschen durch Magie zu bestellen und so die Haltung von Nutzvieh unnötig zu machen. Auch das Jagen und das Schlachten wollten sie nicht in einer Stadt die auch sie bewohnen akzeptieren. Und da sie den Wald zwischen der ehemaligen Schlüpflingswiese und dem See der wilden Drachen als ihre Heimat ansehen waren sie auch nicht einverstanden, dass die Urgals dort auf die Jagd gehen. Die Gehörnten dachten aber nicht daran, sich das jagen verbieten zu lassen und die Menschen wollten nicht von der Magie der Elfen abhängig sein. Das gleiche gilt natürlich auch für die Zwerge. Eragon Schattentöter hat schließlich zu den einzelnen Parteien vermittelt. Damit Blut und Tod der Schlachttiere die Elfen nicht belästigen hat man die Metzgereien in die Siedlung der Zwerge verlegt und zwar in ausgedehnte Höhlensysteme unter der Erde. Dicke Gesteinsschichten und einige Zauber verhindern das die feinen Sinne der Elfen durch die Fleischer, die ihrem Handwerk nachgehen, gereizt werden. Was die Urgals betrifft, so hat man sich darauf geeinigt, dass es nur bestimmte Jagdgebiete gibt in denen sie auf die Pirsch gehen während in anderen Teilen des Waldes der Wildbestand geschont wird. Die Elfen überwachen das und die Tötung von Jungtieren sowie trächtige Muttertieren ist generell verboten. Das war für die Gehörnten zwar etwas gewöhnungsbedürftig aber sie haben sich mit der Situation arrangiert. Ähnlich hat man die Haltung von Nutzvieh gewissen Regeln unterworfen. Die Stallungen und Gehege in denen die Tiere gehalten werden müssen gewissen Anforderungen genügen damit sich die Tiere wohl fühlen und wenn beispielsweise ein Pferd oder ein Ochse zu alt wird um zu arbeiten schlachtet man das Tier nicht mehr sondern es wird zu den Elfen gebracht die sich dann um das Tier kümmern bis es eines natürlichen Todes verstirbt. Hier bekommt das Nutzvieh also ein geruhsames Altenteil."
"Das finde ich eine sehr gute Regelung." lobte Ismira und Cale stimmte ihr zu.
"Dein Onkel ist auch recht stolz darauf junge Dame. Meiner Meinung nach kann er das auch sein." stimmte Jeod seinen Gästen zu.
"Was mich noch interessieren würde" hob Cale an. "Dieser Truppe von der ihr gesprochen habt, die, die die Drachenreiter unterstützen soll. Wie groß ist sie? Und wie ist sie organisiert?"
mit offensichtlicher Freude über die Neugier seiner Gäste stimmte Jeod zu einer weiteren Erklärung an:
"Nun, die Gruppe von Eragon aufgebaut wurde trägt den Namen "Fyrnae Du Skulblaka". Das sind Worte aus der alten Sprache und sie bedeuten "Krieger der Drachen". Natürlich sind es nicht nur Soldaten. Die Organisation umfasst auch Magier, speziell ausgebildete Heiler und Handwerker die man darauf vorbereitet hat besonders in Katastrophengebieten tätig zu werden. Jedes der vier Völker stellt 300 Rekruten. Insgesamt sind die Fyrnae Du Skulblaka also 1200 Mann stark. Das ist eine Streitmacht die man nicht unterschätzen sollte meine jungen Freunde. Schließlich gehören auch Elfenkrieger und Kull zu ihnen. Unterstellt ist die Truppe dem Ältestenrat der Drachenreiter. Nur der Rat kann den Kriegern befehlen. Ein Mitglied des Rates, soweit ich weiß ist das der Gehörnte Tar, ist mit der Überwachung der Krieger der Drachen beauftragt. Es ist seine Aufgabe dafür zu sorgen, dass Ausbildungs- und Ausrüstung stand der Truppe stets zufriedenstellend ist.
Den direkten Befehl über die Krieger hat ein Elfenmagier mit dem dein Onkel, Ismira, schon im großen Krieg gekämpft hat: der Wolfkatzenelf Blodgram. Ein talentierter Magier und guter Anführer. Früher lebten er und seine Krieger in dem kleinen Wald, außerhalb der Ostmark. Ihr habt ihn vielleicht eure Ankunft gesehen. Er liegt etwas nördlich von den Drachenstatuen die den Eingang zur Ostmark bewachen."
Im Verlauf der letzten Sätze hatte sich Jeod Stimme deutlich verändert. Sie war ruhiger geworden und Klang in gewisser Weise besorgt. Gedankenverloren war der alte Gelehrte in Schweigen verfallen und starte nun in seine Teetasse.
"Ist an diesem Wald den etwas ungewöhnliches?" erkundigte sich Cale.
Jeod schreckte auf als er die Stimme des jungen Reiters hörte. Für einen Moment schien der Chronist des Ordens seine Gäste völlig vergessen zu haben.
"Das könnte man so sagen mein Junge." murmelte der alte Mann. "Doch ich bin mir nicht sicher ob ich euch davon erzählen sollte."
"Wieso nicht?" deutlich konnte man heraus hören, dass die Neugier in Ismira erwacht war. Auch Jeod entging das wohl nicht.
"Ich habe wohl keine andere Wahl als euch die Geschichte zu erzählen. Sonst kommt ihr am Ende noch auf dumme Gedanken. Aber ich will euer Wort, das ihr euch von diesem Wald fernhalten werdet. Ich meine das ernst! Ich werde mit deinem Onkel reden Ismira und ihm sagen, das ich euch davon erzählt habe. Ich bin nicht sicher ob du ihn schon einmal wütend erlebt hast aber solltest du dich dort hin schleichen wird er mit Sicherheit wütend werden junge Reiterin. Es ist gefährlich also bleibt weg da."
"Wir versprechen es." versicherte Ismira.
"Und ich werde dafür sorgen, dass sie sich an das Versprechen hält." fügte Cale hinzu.
Dieser Ausspruch veranlasste Ismira einmal mehr dazu ihren Gefährten hingebungsvoll die Zunge heraus zu strecken.
Jeod schien durch diese Worte allerdings beruhigt zu sein.
"Man nennt diesen Wald, den verlorenen Wald. Ich weiß nicht was dort passiert ist aber es muss etwas furchtbares gewesen sein. Die Bäume, die Tiere ja selbst die Naturgesetze funktionieren dort nicht mehr richtig. Wenn man durch den Wald geht hört man keinen Laut. Kein Vogel singt, kein Rascheln im Unterholz, nichts. Manche Veränderungen an den Pflanzen und den Tieren in diesem Wald sind geradezu grotesk. Es ist aber nicht nur das was man sieht, hört oder riecht wenn man dort ist. Es liegt etwas in der Luft, dass die Sinne nicht wirklich begreifen können. Es ist wie ein stummer Schrei voller Wut und Verzweiflung der die ganze Welt aus den Fugen gehoben hat. Ich war nur einmal dort und möchte nie wieder dorthin gehen. Nach einer Weile ist es so als ob das Gefühl für alles Gute und Schöne in der Welt regelrecht aus einem heraus gesaugt wird. Es ist ein böser Ort und ihr solltet ihn meiden. Ich habe Eragon Schattentöter einmal gefragt was es mit diesem Wald auf sich hat. Er hat geantwortet, dass dieser Ort die Narbe ist, die Galbatorix Grausamkeit der Welt geschlagen hat. Er sagte, dass die Elfen die ihn auf seiner ersten Reise begleitet haben dort Wesen betreut hätten deren Verstand unter Galbatorix gelitten hat. Heute seien diese Wesens zwar geheilt und ihr Denken wieder klar aber ein Jahrhundert des Schmerzes hätte Spuren hinterlassen. Die Verzweiflung, Angst und der Schmerz dieser Wesen sei auf magische Weise in den Wald eingedrungen und hätte alles veränder. Mehr konnte oder wollte Eragon mir nicht sagen aber auch mir hat der Schattentöter geraten mich von diesem Ort fernzuhalten und ich rate es euch nochmal: Bleibt weg da!"
Cale nickte nur zustimmend und fasste den festen Entschluss sich von diesem Wald in der Tat so fern wie möglich zu halten. Als er zu Ismira blickte konnte er allerdings nicht anders als sich Sorgen zu machen. Noch immer funkelte in ihren Augen Neugier.

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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt