13. Pläne

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Eragon ließ seinen Blick über die ausgedehnte Lichtung gleiten. Das offene Stück Wiese, in dem Waldgebiet jenseits des Sees in dem die Felseninsel und die Ratskammer lag, war der Ort, an den er sich mit seiner Familie zurückzog, wenn es die Zeit erlaubt. Er genoss es, dass es solche friedlichen Momente in den zurückliegenden Monaten immer häufiger gab. Seine ehemaligen Schüler Narie, Marek und Tar sowie seit kurzem auch der Zwerg Burod entlasteten den Anführer der Drachenreiter und seine Gefährtin doch merklich. Auch in Alagaesia waren die Dinge derzeit so friedvoll, dass die beiden ältesten Reiter sich voll und ganz in ihre kleine Tochter kümmern konnten.
Marlena lag neben ihrer Mutter und ihrem Vater auf einer warmen Decke. Arya ließ vor ihr ausgefallene Drachenschuppen, die sie gesammelt hatte, auf und ab schweben. Magie ließ die bunt schillernden Objekte vor dem Gesicht ihrer Tochter herumtanzen. Diese tastete mit ihren winzigen Ärmchen danach und quietschte vor Vergnügen als sie versuchte die farbigen Punkte vor ihr zu erhaschen.
Bei dem jungen Elternpaar lagen natürlich ihre Seelenpartner Saphira und Fírnen. Die beiden Ältesten unter den Reiterdrachen waren inzwischen zu einer Größe herangewachsen, die jedem Ehrfurcht abnötigte. In der Ostmark kam nur Voratan ihnen noch an Majestätik nahe.
Bei den beiden ehrwürdigen Drachen lag auch die wilde Drachendame Maranie. Saphira hatte sich stets besonders liebevoll und das Küken ihrer Namensschwester gekümmert und war dafür mit bedingungsloser Zuneigung vonseiten ihrer Adoptivtochter belohnt worden. In den zurückliegenden Jahren war aus dem weißen Küken eine elegante, junge Drachendame herangewachsen. Ihre Schuppen strahlten schneeweiß und ihr Hornwerk war von einem leichten Blauton durchzogen. Dies gemeinsam mit ihren unergründlichen azurblauen Augen machte sie zu einer begehrten Partie unter allen geschlechtsreifen Drachenmännchen. Bisher war Maranie allerdings noch nicht auf das Werben eines Artgenossen eingegangen.
Ein besonders fröhliches Glucksen seiner Tochter ließ Eragons Aufmerksamkeit wieder zu seiner Gefährtin zurückkehren. Die kleine Marlena hatte tatsächlich eine der Drachenschuppen erwischt und kaute nun ausgelassen daran herum. Wie jedes Kleinkind schob sie sich fremde Objekte zu aller erst in den Mund. Eragon dankte im stillen den Göttern für Aryas Weitsicht, mit der sie die Kanten der Drachenschuppe abgefeilt hatte. Nun waren sie ungefährlich, da ihre scharfen Kanten abgestumpft waren.
- "Du wirst Dein Küken doch wohl hoffentlich nicht auf den Geschmack bringen wollen." - brummte Fírnen und beobachtete skeptisch, dass Marlena gerade eine grüne Drachenschuppe ablutschte.
- "Keine Sorge Großer. Ich würde nie zulassen, dass mein kleiner Sonnenschein Dich frisst." - lachte Arya.
Während der grüne Drache sich, unter dem Kichern von Maranie und Saphira, dazu entschlossen hatte etwas zu schmollen, richtete Eragon das Wort an seine Gefährtin.
"Bist Du sicher, dass unsere Kleine die weite Reise übersteht, die Du für sie planst?"
"Wäre ich nicht sicher würden wir die Reise nicht machen." erklärte Arya sanft aber doch entschieden. "Ich bin mir sicher, dass König Maranus unserer Kleinen seinen Segen nicht verwehren wird. Es ist ein Ritual, das mir einfach wichtig ist."
Eragon legte den Arm um die Elfe und zog sie etwas an sich.
"Das verstehe ich sehr gut. Bei uns Menschen gibt es schließlich auch Feste und Bräuche, wenn ein neues Leben die Welt betritt. Ich hoffe Du verzeihst einem übereifrigen Vater."
Arya legte zufrieden ihren Kopf auf Eragon Schulter und für einige Minuten genossen die beiden Reiter einfach die Gesellschaft des anderen. Schließlich war es die Elfe, die wieder das Wort ergriff:
"Wenn wir nach Ellesméra Reisen müssten eigentlich auch Ismira und Cale bereit sein den Weg zur Ostmark anzutreten. Was hältst Du davon, wenn wir vor unserer Rückkehr einen Umweg über das Palancartal machen?"
"Meinst Du das ernst?" Eragon blickte seine Gefährtin ungläubig an. Er hatte durchaus mit dem Gedanken gespielt. Arya lachte glockenhell auf.
"Jetzt sehe ich gerade wieder den kleinen Bauernjungen in Deinen Augen aufblitzen."
"Stört Dich das etwa?", fragte Eragon schelmisch.
Als Antwort auf diese Frage hauchte ihm Arya einen Kuss auf die Lippen und ging dann wieder auf ihren ursprünglichen Vorschlag ein: "Um Deine Frage zu beantworten: Ja ich meine es ernst. Zum einen möchte ich natürlich Marlena Roran und Katrina vorstellen. Es ist schon eine Weile her, dass wir die beiden besucht haben. Sie würden sich sicherlich freuen unsere Tochter kennenzulernen. Außerdem könnte Ismira uns noch einmal in ihre alte Heimat begleiten. Auch darüber würde sich Katrina bestimmt besonders freuen. Sobald ihre Ausbildung hier in der Ostmark beginnt, könnten Jahre vergehen bevor sie wieder zu einem Besuch ins Palancartal aufbrechen kann.
"Nun schenkte Eragon seine Gefährtin einen sanften Kuss und kitzelt dann der kleinen Marlena den Bauch.
"Dein Vater ist ein Glückspilz, weißt Du das eigentlich?", flüsterte er dem Säugling zu. Das kleine Mädchen schien ihn daraufhin anzulächeln.
- "Wir bekommen Besuch." - seufzte mit einem Mal Maranie in die andächtige Stille.
Nach kurzem Suchen entdeckte auch Eragon den silbern glitzernden Punkt am Himmel. Er vermutete, dass es sich um Drugatie handelte. Zwar gab es ein oder zwei silberne Drachen unter den Wilden, doch dieser trug ganz offensichtlich ein Reiter.
Auch Eragon konnte einen leisen Seufzer nicht unterdrücken. Drugatie und sein Reiter Kalain waren im Augenblick die Sorgenkinder des Ordens. Nicht etwa, weil es ihnen an Fertigkeiten mangelte, sondern vielmehr an charakterliche Reife. Eines hatte Eragon in seiner Zeit als Lehrer einer neuen Generation von Drachenreitern bereits gelernt: Makel im Charakter eines Schülers waren wesentlich schwieriger auszumerzen als Rückstände an Kraft oder Beweglichkeit.
Inzwischen war der silberne Drachen gelandet und hatte sein Reiter absteigen lassen. Kaum hatte sich Kalain etwas von ihm entfernt brachte sich Drugatie in eine Position und Körperhaltung die ihm offenbar würdevoll und majestätisch vorkam. Mit hocherhobenem Kopf und leicht abgespreizten Flügeln ging er auf Maranie zu. Offenbar hatte er vor sich zu Ihr zu legen.
Drugatie zählte zu den hartnäckigsten Verehrern der jungen Drachendame. Als diese seine Annäherung einmal mehr mit einem wütenden Knurren bedachte schüttelte der Silberne verwirrt den Kopf und stolzierte gekränkt davon. Offenbar konnte er nicht begreifen, wieso jemand keinen Wert auf seine Gegenwart legte.
Eragon fing von Maranie einige Worte auf. Es klang verdächtig nach: "Eitler Gockel!"
Im Grunde konnte Eragon der Adoptivtochter seiner Drachendame mit diesem Urteil nur zustimmen. Der Schwerpunkt bei Drugaties Bemühungen lag eindeutig im Herausstellen seiner Vorzüge. Der junge Anführer der Reiter glaubte inzwischen genug über Frauen zu wissen um sagen zu können, dass diese Einstellung meist auf wenig Gegenliebe bei einer Angebeteten stieß.
"Was gibt es Kalain?" Erkundigte sich Arya. Sie hatte ihre Tochter inzwischen von der Decke gehoben und wiegte sie in den Armen.
Der junge Elf verneigte sich vor den beiden älteren Reitern und erklärte: "Meister Eragon, Meisterin Arya, es wünscht Euch jemand zu sprechen. Tar der Reiter von Meister Aroc hat sich über den Spiegel gemeldet und möchte Euch einen Bericht über seine Mission bei den wilden Drachen in der nördlichsten Kolonie geben."
"Gut" kommentierte Eragon. "Ich erledige das."
Mit diesen Worten erhob sich der junge Anführer der Reiter und ging zu Saphira hinüber. Neben der blauen Drachendame lag Ihr Sattel und aus einer der ledernen Taschen entnahm Eragon einen kleinen Handspiegel. Während er den Zauber vorbereitete hörte, er wie seine Gefährtin Kalain ansprach: "Kalain-Vodr, Du hast Dich gerade etwas im Ton vergriffen. Du sagtest Tar, Reiter von Meister Aroc. Du weißt, das Tar und sein Drache beide Mitglieder des Ältestenrates sind. Daher solltest Du auch Tar mit Meister ansprechen."
"Ein bedauerlicher Fehler, Meisterin, ich entschuldige mich."
"Seltsam, dass Dir dieser Fehler immer nur bei Tar unterläuft. Ein zynisches Individuum könnte auf den Gedanken kommen, dass Du ein Problem damit hast, einen Urgal als Deinen Lehrer zu betrachten."
"Ihr habt mir schon oft erklärt, Meisterin, dass ein solches Verhalten unangebracht wäre.", erwiderte Kalain mit betont neutraler Stimme.
"In der Tat, das haben wir. Aber da Du es offensichtlich immer noch nicht begriffen hast wird es wohl Zeit, dass Du mehr über die Kultur der Gehörnten lernst. Sobald Meister Tar zurück ist, wird er Deine Ausbildung in diesem Punkt übernehmen. Ich hoffe mir werden keine Klagen zu Ohren kommen."
Mit diesen Worten trat Arya, mit Marlena auf dem Arm, neben ihren Gefährten. Eragon warf seiner Liebsten einen anerkennenden Blick zu. Kalain indes starrte, sichtlich um Fassung bemüht, ins Dunkel des nahe gelegenen Waldes.
Eragon beschwor nun seine Magie und schon bald zeigte sich Tars Gesicht auf der glänzenden Oberfläche des kleinen Spiegels.
"Ich grüße Euch Feuerschwert und Sturmklinge."
"Wir Dich ebenso Tar.", erwiderte Eragon. "Was gibt es?"
"Gute Nachrichten!", sagte der Urgal. "Die nördliche Kolonie hat sich prächtig entwickelt. Die Drachen sind bei bester Gesundheit und inzwischen recht zahlreich. Was aber noch entscheidender ist: Sie haben mir ein Ei für die Reiter anvertraut."
Freudig überrascht blickten Arya und Eragon sich an. Für gewöhnlich behielten die Mütter unter den wilden Drachen ihre Gelege für sich. Zwar war ihre Anzahl in den letzten 12 Jahren wieder auf ein stabiles Niveau gewachsen doch der Umstand, dass sie nah am Aussterben gewesen waren ging vielen Drachen noch nach. Die nördliche Kolonie war neben der Ostmark die Älteste und es war das erste Mal, dass von dort ein Ei den Reitern übergeben wurde.
"Bitte richte Rahner, dem Oberhaupt dieser Kolonie, meinen persönlichen Dank aus Tar.", bat Eragon. Noch gut erinnerte er sich wie unter der Führung des schwarzen Drachens die erste Gruppe von Wilden das Tal verlassen hatte, in dem das Drachenvolk wiedergeboren worden war.
"Das werde ich Feuerschwert. Aroc und ich werden uns morgen auf dem Weg zurück machen. Auf bald."
Mit diesen Worten verschwand das Bild des gehörnten Drachenreiters von der Oberfläche des Spiegels.
Als die beiden Lehrmeister des Ordens sich nach dem Gespräch umsahen erkannten sie, dass Kalain immer noch auf der Wiese stand und offenbar etwas fragen wollte.
"Gibt es noch etwas?" erkundigte sich daher Eragon.
"In der Tat Meister. Ich hätte eine Bitte. Wie ich hörte, plant er und Meisterin Arya einer Reise nach Ellesméra. Ich würde Euch gern begleiten zusammen mit Drugatie." erwiderte der junge Elf.
- "Bloß nicht!" -
Maranies Reaktion war zwar heftig, doch sie hatte sich so weit im Griff, dass sie nur Eragon und Arya ihre Befürchtungen mitteilte.
- "Dieser selbstverliebte Pfau Drugatie hat bestimmt gehört, dass ich Euch als Abgesandte der wilden Drachen begleiten will. Bestimmt will er nur um mich herumschwänzeln."-
"Es wäre sehr unüblich für einen Schüler auf Deine Ausbildungsstufe eine solche Reise anzutreten." stellte Eragon neutral fest. "Darf ich den Grund für Deine Bitte erfahren?"
Kalain legte mit einem Mal ein Verhalten an den Tag, welches im Gegensatz zu seinem üblichen arroganten Auftreten stand.
"Es geht um meinen Großvater Meister. Er leidet seit einiger Zeit an einer der wenigen Krankheiten, die auch unser Volk nicht heilen kann. Es gibt zwar Möglichkeiten seiner Leiden zu lindern, doch die Heiler sind der Meinung, dass seine Zeit nun langsam abläuft. Er war immer sehr gut zu mir und ich würde ihn gern noch einmal besuchen bevor er ins Nichts tritt."
Eragon und Arya tauschten kurz einen Blick aus. Es war merkwürdig den jungen Elfen so ruhig und in sich gekehrt zu sehen. Auch wenn der Anlass ein Trauriger war, offenbarte sich doch, dass Kalain im Grunde seines Herzens kein schlechter Kerl war.
"Vor diesem Hintergrund ist Deine Bitte natürlich verständlich." hob Arya an. "Wir planen unsere Reise aber erst in einem Monat. Ist das denn ausreichend für Dich?"
"Völlig Meisterin!"
Eine Spur von Aufregung schlich sich in die Stimme des jungen Reiters. Es freute ihn offenbar, dass seine Lehrer seine Bitte in Erwägung zogen.
"Wie erwähnt gibt es Therapien, die die Leiden meines Großvaters lindern. Diese umfassen lange Phasen der Meditation. Man versetzt sich in einer Art Trancezustand. Im Moment befindet sich mein Großvater in einem solchen Zyklus damit er seine letzten Monate frei von Schmerzen verbringen kann. Es würde also gar keinen Sinn machen, wenn ich früher zu ihm reisen würde."
Noch einmal tauschten sich Eragon und Arya gedanklich aus und holte auch den Rat ihrer Drachen ein.
"Also gut Kalain. Du und Drugatie werdet uns begleiten." bestimmte Eragon schließlich.
Mit großer Dankbarkeit verabschiedete sich der junge Elf von seinen Lehrern und bestieg seinen Drachen, der daraufhin in den Himmel stieg.
- "Ich hoffe, Du bist mir nicht böse Maranie." - erkundigte sich Eragon. - "Die Umstände ließen uns hier keine andere Wahl." -
- "Das verstehe ich schon." - erklärte junge Drachendame. - "Ich hätte in diesem Fall auch nicht anders entschieden und sollte Drugatie mir zu sehr auf die Nerven gehen beiße ich ihm einfach was ab." -
- "Das ist mein Mädchen." - summte Saphira stolz.



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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt