17. Lehrer und Schüler (1/2)

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Als Tjurin den Palast erreichte hatte er seine Gefühle bereits wieder völlig unter Kontrolle. Auf dem Weg zu Nasuadas Residenz waren ihm natürlich einige Fragen durch den Kopf geschossen. Ihm war beispielsweise aufgefallen, dass er nicht mal den Namen des Mannes kannte, den er getötet hatte. Doch spielte das überhaupt eine Rolle? Schließlich war es ja nicht so, als wäre der Greis jemand von Bedeutung gewesen. Viel entscheidender war natürlich die Frage, ob man ihn mit dem Mord in Verbindung bringen konnte. Dies jedoch erschien dem Sohn des Herzogs sehr unwahrscheinlich. Vielleicht war der alte Mann nicht einmal aus Ilirea gewesen. Wenn das stimmte würde ihn in der Stadt wohl auch niemand vermissen. Vielleicht hatte er überhaupt keine Angehörigen. Warum sollte er sonst versuchen mit derartigen Geschäften Geld aufzutreiben? Es kam Tjurin immer wahrscheinlicher vor, dass niemand sein Opfer vermissen würde. Dieser Umstand trug dazu bei, dass sich auch die letzten Schuldgefühle des jungen Mannes in nichts auflösten. Existierte ein Mann, auf dessen Leben oder Sterben niemand etwas gab, überhaupt? Wohl eher nicht.
Vermutlich würden Wochen vergehen bis man die Leiche in den Abwasserkanälen entdeckte. Zu diesem Zeitpunkt dürfte die natürliche Verwesung sowie Ratten und andere Schädlinge sie bereits bis zur Unkenntlichkeit entstellt haben.
Den Königspalast im Zentrum der Stadt zu betreten war für Tjurin kein Problem. Ein weiterer Vorzug der Uniform der Nachtfalken. Die Studienräume der Magier lagen im Kellergewölbe der königlichen Residenz. Einige von ihnen waren ehemalige Kerkerzellen oder Folterkammern. Für beides gab es unter Nasuadas Herrschaft weit weniger Verwendung. Bei einem vorbeieilenden Dienstboten erkundigte sich Tjurin nach dem Weg zu Triannas Unterkünften.
"Den Gang hinunter, und dann die vorletzte Tür auf der rechten Seite." gab der Bedienstete Auskunft. "Ich würde Euch aber raten die Magierin nicht zu stören. Sie haben sehr schlechte Laune."
Tjurin bedachte diesen guten Ratschlag lediglich mit einem müden Lächeln. Er konnte sich gut vorstellen, warum das Mitglied der Magiergilde verstimmt war. Das kleine lederne Buch, welches er unter seinen Umhang geschoben hatte, würde sicher dazu beitragen Triannas Stimmung zu heben.
Tjurin schritt den Gang hinunter und blieb vor der Tür der Magierin stehen. Noch einmal atmete er tief durch. Nun galt es die Trümpfe, die er besaß richtig auszuspielen. Respektvoll klopfte er an.
"Ich habe gesagt, dass ich nicht gestört werden will!" fauchte eine Stimme aus dem Innern des Zimmers.
"Es ist von großer Wichtigkeit.", erwiderte Tjurin schlicht.
Der junge Adelige konnte hören wie wütende Schritte sich der Tür näherten. Nur Augenblicke später wurde die schwere Holztür aufgerissen und die Magierin Trianna funkelte ihn wütend an. Ihre Augen überflogen Tjurin.
"Ein Nachtfalke?! Soll ich mich etwa wieder ein Gaul einschläfern?! Ich habe besseres mit meiner Zeit anzufangen!"
"Etwa wie das Studium von dem hier?" Tjurin gab sich ungerührt vom Zorn der Magierin und gewährte ihr einen Blick auf das Buch, welches er bisher verborgen gehalten hatte.
Triannas Augen weiteten sich vor Überraschung und einem Impuls folgend griff sie nach dem Buch. Tjurin machte einen Schritt zurück und verstaute die Kostbarkeit wieder unter seinen Umhang.
"Ich bin hier um Euch ein Geschäft vorzuschlagen Trianna. Es geht dabei um dieses Buch."
Ein hochmütiger Gesichtsausdruck legte sich auf die feingeschnittenen Züge der Magierin.
"Ich bin ein Mitglied der Magiergilde. Solche Werke zu besitzen ist verboten in unserem Reich. Händige es mir sofort aus!"
Tjurin lachte.
"Ich gebe es ganz gewiss nicht einfach so aus der Hand. Ihr habt es nicht mit einem Dummkopf zu tun, Trianna. Und versucht nicht mehr mich mit dem Gesetz einzuschüchtern! Ihr habt Euch auch schuldig gemacht, als ihr versucht habt dieses Buch heimlich zu erwerben. Was würde wohl die Königin davon halten? Und behauptet jetzt nicht Ihr hättet keinen Betrug im Sinn gehabt. Wenn es Euch nur darum gegangen wäre das Gesetz zu schützen hättet Ihr nicht versucht das Buch von diesem verlausten Greis zu kaufen. Ihr hättet ihn einfach festnehmen lassen. Aber dann hättet ihr das Buch nicht für Euch behalten können. Ihr seid genauso wenig daran interessiert, dass die Königin oder Eure Vorgesetzten von diesem Werk erfahren wie ich es bin. Also, werdet Ihr Euch meine Bitte anhören? Was ich von Euch verlangen wird Euch weit weniger kosten als die 15 Goldstücke die Durzas ehemaliger Kammerdiener von Euch wollte."
"Du Jungspund hast mir nachspioniert!", flüsterte Trianna mit gefährlich ruhiger Stimme.
"Das stimmt. Ihr solltet froh sein das ich es war, der Euch beobachtet hat. So mancher meiner Kameraden hätte Euch vermutlich sofort angezeigt."
Noch immer musterte die Magierin in feindselig, doch trat sie ein Stück beiseite und lies Tjurin eintreten.
Der junge Adelige vermutete, als er seinen Blick durch den Raum wandern ließ, dass es sich bei diesen Zimmern um das Labor von Trianna handelte. In einer Ecke stand eine Werkbank auf der sich verschiedene Kräuter und Glaskolben stapelten während in der Mitte des Raums ein Schreibtisch aus schwarzem, polierten Ebenholz stand auf dem sich verschiedene Papiere türmten. Hinter dem Schreibtisch war unterhalb der Decke ein Fenster in massiver Steinwand eingelassen. Es war mehr ein Schacht durch den man, wenn man nach oben blickte, ein Stück Himmel sehen konnte. Links vom Schreibtisch und gegenüber der Werkbank standen mehrere Regale mit dicken Büchern darin.
Trianna rauschte am Tjurin vorbei und nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz. Mit säuerlicher Miene wies sie auf einen Stuhl, der Ihr gegenüber stand. Tjurin kam der Aufforderung nach und setzte sich.
"Also was willst Du? Geld?"
Der junge Adelige musterte die Magierin mit derselben Sorgfalt, die er beim Studium seiner Mitspieler bei einem Kartenspiel an den Tag legte. Der erste Schritt war geschafft. Trianna hörte ihm zu. Nun aber galt es die Magierin für sich einzunehmen. Sie würde ihn kaum unterrichten, solange sie ihn als Feind betrachtete. Er musste in ihren Augen ein Verbündeter werden.
"Werte Trianna, wir beide wissen doch, dass derartige Aufzeichnungen nicht mit Geld zu bezahlen sind. Unserer Königin fehlt es gelegentlich an dem Respekt und der Wertschätzung, die die Magie verdient. Ich versichere Euch mir fehlt sie nicht. Deshalb will ich auch keinen Gewinn aus meinem Besitz schlagen."
Nun war es Tjurin der von Trianna gemustert wurde. Zum ersten Mal zeigte sich nicht nur Zorn, sondern auch ein gewisses Interesse auf den Zügen der Magierin.
"Wenn Du also kein Geld willst, was willst Du dann? Wohl kaum das Wohlwollen Deiner Vorgesetzten. Wenn es Dir darum ginge, wärst Du nicht zu mir gekommen. Du hättest das Buch, was Du bei Dir trägst, zu General Jörmundur gebracht und zugesehen wie man mich in Ketten legt."
"Ich bezweifle, dass Euch diese Art von Schmuck stehen würde. Eure Schönheit wäre in einer Kerkerzelle vergeudet."
Trianna lachte bei Tjurins Schmeichelei und bedachte den jungen Mann mit einem spöttischen Blick. Im Stillen haderte Tjurin mit sich selbst. Er hatte gehofft durch ein Kompliment einen Schritt weiterzukommen. Doch offenbar ließ sich Trianna nicht durch ein paar Honigworte gewinnen.
"Wie großzügig von Dir mein Junge." lachte die Magierin und wurde dann schlagartig wieder ernst. "Also noch einmal: Was willst Du?"
"Wie ich schon sagte, bin ich nicht an Geld interessiert. Ich denke vielmehr, dass wir etwas gemeinsam haben. Ihr versteht Euch auf die Geisterbeschwörung und wollte sie weiter erforschen. Ich möchte sie lernen. Ich habe etwas, dass Ihr wollt und Ihr habt etwas das ich will."
"Und auf dieser Basis möchtest Du mit mir handelseinig werden? Du weißt gar nicht was Du da forderst. Nicht nur könnte es uns beide an den Galgen bringen, die Geisterbeschwörung ist eine gefährliche Angelegenheit. Ich stimme unserer Königin nicht in allen Punkten zu aber sie hat recht, wenn sie sagt, dass es die gefährlichste Form der Magieanwendung ist."
"Redet nicht mit mir wie mit einem Kind!" Tjurin war nun der Auffassung, dass er sich kämpferisch geben musste. "Ich weiß worum ich bitte. Die Geisterbeschwörung mag gefährlich sein aber keine Form der Magie kann einem Menschen mehr Macht verleihen als diese Art ihrer Anwendung. Deshalb interessiert Ihr Euch doch auch dafür. Deshalb wollt Ihr Durzas Aufzeichnungen. Dieses kleine Buch hat das Potenzial Euch mächtiger zu machen als Ihr es jemals zuvor gewesen seid."
"Und für Dich hat es überhaupt keinen Wert." schoss Trianna zurück. "Ohne mein Wissen wirst Du nie verstehen was in diesem Buch geschrieben steht. Und wenn Du es ohne die richtigen Kenntnisse anwendest, dürfte Dein Schicksal bald besiegelt sein. Du wirst ein Schatten werden."
"Daran habe ich in der Tat kein Interesse." räumte Tjurin ein. "Womit wir wieder am Anfang wären. Ihr habt etwas das ich will und umgekehrt ist es genauso."
Wieder musterte der junge Adelige das Gesicht der Magierin. Sie war noch nicht völlig überzeugt. Er musste sich für sie von Wert erweisen. Er musste belegen können, dass sie mehr zu gewinnen hatte als nur das Buch, wenn sie seiner Bitte nachkam. Tjurin hatte das vorausgesehen und entschloss sich nun seine letzte Trumpfkarte auszuspielen.
"Es gibt noch einen weiteren Grund der für meine Bitte spricht edle Trianna."
"Und der wäre?"
"Ich habe Eure Unterhaltung wie Ihr richtig erkannt habt verfolgt. Offenbar stehen Euch nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Die Königin könnt Ihr auch nicht einfach um Geld bitten sollte ein Gegenstand Euer Interesse finden. Ihr müsstet dann erklären, wofür Ihr das Geld braucht. 15 Goldstücke sind keine kleine Summe. Mit mir als Verbündetem dürften auch weitere Anschaffungen nicht mehr unerreichbar sein."
Mit diesen Worten zog Tjurin den prallen Geldbeutel unter seinem Umhang hervor und entleerte ihn auf den Tisch der Magierin. Triannas Augen weiteten sich als sie die Summe von fast 300 Goldstücken vor sich auf dem Tisch glänzen sah.
"Das ist nur ein Teil der finanziellen Mittel die mir zur Verfügung stehen." erklärte Tjurin während er das Geld wieder in den Beutel verschwinden ließ. "Wenn Ihr mich unterrichtet wäre es doch nur in meinem Interesse Euch zu unterstützen, wenn es darum geht Dinge zu erwerben, die Eure Fähigkeiten mehren. Außerdem könnt Ihr mich mit Verhandlungen und Botengängen betrauen. Was wäre wohl gewesen, wenn einer meiner Kameraden und beobachtet hätte? Jemand der den Geheimnissen der Magie nicht so aufgeschlossen entgegentritt wie ich? Ich kann unter meinen Kameraden für Euch auch die Ohren offen halten Trianna. Ich kann euch darüber informieren, wenn in den Kreisen der Soldaten Gerüchte kursieren, die Euch interessieren könnten oder sich für Euch zum Nachteil entwickeln könnten. Ihr seht: Meiner Bitte zu entsprechen hat durchaus Vorteile!"
Während Tjurin sprach, hatte die Magierin die Ellenbogen auf dem Schreibtisch abgelegt und die Finger miteinander verflochten. Lediglich die Zeigefinger ihrer beiden Hände hatte sie aneinander gelegt und dachte nun scharf nach.
"Ich sehe eine Möglichkeit wie wir uns einig werden können. Aber ich stelle zwei Bedingungen. Und über diese verhandle ich nicht!"
"Nennt Sie mir."
"Erstens: Niemand erfährt von unserer Abmachung."
"Darauf habt Ihr selbstverständlich mein Wort!", versicherte Tjurin beinahe verärgert. "Ich sage es Euch nochmal: Ihr habt es nicht mit einem dummen Jungen zu tun. Der Galgen ist keine hübsche Aussicht. Ihr könnt Euch also darauf verlassen, dass ich meine Zunge hüten werde."
"Gut. Ich sehe Du begreifst mit welch gefährlichen Dingen wir uns hier beschäftigen. Bleibt also nur die zweite Bedingung: Wenn ich Dich unterrichte, bin ich die Meisterin und Du der Schüler. Ich erwarte also Respekt und Gehorsams und nur hier, in meinem Labor, darfst Du zunächst die Fähigkeiten, die Du erwerben wirst, anwenden. Was die Geisterbeschwörung so gefährlich macht ist die Tatsache, dass man nicht nur einfach Energie beschwört. Geister sind intelligente und trickreiche Wesen. Sie werden Dich in ein falsches Gefühl der Sicherheit einwickeln. Sie werden Dir Wohlwollen vortäuschen damit Du unvorsichtig wirst und sie sich in Deine Seele schleichen können. Dort übernehmen sie Deinen Körper und ein Schatten wird geboren. Glaube mir es gibt keine schlimmere Hölle, als gefangen zu sein in seinem eigenen Körper. Du musst also lernen Deinen Geist zu verteidigen und Dich zu schützen. Beschwörst Du einen Geist bevor Du darin Meisterschaft erlangt hast, bist Du verloren. Akzeptierst Du diese Einschränkung?"
"Ich akzeptiere, Meisterin.", sagte Tjurin und bot der Magierin seine ausgestreckte Hand an. Trianna ergriff die dargebotene Hand und besiegelte damit den Pakt.
"Gelegentlich teilt man uns Magierin Kadetten der Nachtfalken zu damit sie uns bei unseren Experimenten zur Hand gehen." erklärte die Magierin mit einer Stimme, die fast beiläufig klang. "Ich werde mit General Jörmundur sprechen und zusehen, dass man Dich mir zuteilt."
Tjurin lächelte zufrieden und übergab der Magierin das Buch.



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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt