29. Im Schatten von Legenden

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Obwohl die Lichtung außerhalb von Emfielion den mächtigen Wesen, die auf ihr gelandet waren gerade so genug Platz bot, fühlte sich Cale so verloren als stünde er allein in einer Wüste.
Vor kurzem noch waren Tailon und seine Schwester Anarie mit ihren Reitern durch den Himmel geschossen. Ein einmaliges und wundervolles Erlebnis für Cale. Die beiden Jungdrachen waren in ein wildes Fangspiel vertieft gewesen und hatten kaum bemerkt, wie sich ihnen eine Gruppe von anderen Drachen näherte. Angeführt wurde dieser Donner von vier Wesen die Cale bisher nur aus Geschichten und Legenden gekannt hatte. Saphira Schimmerschuppe und ihr Reiter Eragon Schattentöter sowie Fírnen Smaragdfeuer und die Elfe Arya, die von den Urgals Sturmklinge genannt wird.
Auf das Drängen von Saphira hin waren alle Drachen auf einer Lichtung außerhalb der Elfensiedlung niedergegangen. Die gewaltige Drachendame, die aus dem Blau des Himmels selbst geboren zu sein schien, hatte darauf bestanden ihre Enkel gründlich unter die Lupe zu nehmen. Ihr waldgrüner Gefährte hatte sie dabei unterstützt.
Jetzt begutachteten die beiden mächtigen Wesen gerade die Sprösslinge ihres Sohns und seine Nistpartnerin. Tailon und Anarie ließen die Musterung geduldig über sich ergehen. Allein ihre zitternden Flanken verrieten ihre Aufregung.
Cale konnte das mehr als gut nachempfinden. Vor ihm standen schließlich die beiden ältesten Drachen, die er je gesehen hatte. Die Größe und Kraft die die beiden ausstrahlenden war unbeschreiblich. Selbst in diesem friedlichen Moment erfüllte ihr reiner Anblick jeden mit Ehrfurcht. Cale dachte an die Wut zurück, die Saphiras Sohn Hidalgo gegenüber Herzog Tjurin an den Tag gelegt hatte. Die Vorstellung Saphira oder Fírnen einmal so erzürnt zu erleben malte ein Bild im Kopf des jungen Buchbindersohns, dass selbst die erfahrensten Krieger in Panik versetzt hätte.
Auch wenn Cale Tailon die Zuwendung seiner Großeltern von ganzem Herzen gönnte, wünschte er sich doch im Moment den roten Drachen an seiner Seite. Schließlich stand er hier im Schatten von lebenden Legenden.
Ein Teil des jungen Reiters wünschte sich so unbedarft mit den beiden ältesten Reitern des Ordens umgehen zu können wie Ismira es gerade tat. Kaum hatten die beiden Schattentöter die Rücken ihrer Drachen verlassen und sicheren Boden unter den Füßen, als Ismira sie schon, mit einer stürmischen Umarmung, fast zu Boden riss. Eine herzliche Begrüßung folgte und im Anschluss demonstrierte die junge Adelige aus dem Palancartal eine außergewöhnliche Begabung. Es handelte sich um die Fähigkeit ohne Punkt und Komma auf ihr gegenüber einzureden, dabei eine beachtliche Geschwindigkeit an den Tag zu legen und nicht einmal Luft holen zu müssen.
Geduldig ließen Onkel und Tante den Redeschwall ihrer Nichte über sich ergehen. Im Augenblick machten sie den Versuch selbst einmal zu Wort zu kommen, indem sie für eine Ablenkung sorgten. Arya hatte Ismira ihre Cousine in die Arme gelegt. Für einige Sekunden hatte die junge Frau die kleine Marlena tatsächlich wortlos bestaunt. Dann war allerdings wieder eine Flut von Worten aus ihr herausgebrochen, mit denen sie zum Ausdruck brachte, dass es wohl kein niedlicheres Kind auf der Welt geben konnte. Im Augenblick rieb Ismira ihre Nase an die von Marlena was das kleine Mädchen zu einem vergnügten Quietschen veranlasste.
Cale fühlte sich hin- und hergerissen. Ein Teil von ihm wollte nichts lieber als einfach im Boden versinken. Es schien der einzige Ausweg zu sein. Allein im Schatten von lebenden Legenden? Das war einfach zu viel.
Der junge Reiter kannte keinen der Anwesenden gut genug, um einfach ein Gespräch zu beginnen oder sich an einem solchen zu beteiligen. Natürlich hätte er nichts lieber getan als eine Unterhaltung mit dem Schattentöter und Königsmörder zu beginnen aber es erschien ihm einfach unangemessen auf einen so berühmten Mann zuzugehen und ihm eine Unterhaltung aufzuzwingen. Bei Ismira war das etwas anderes. Sie war schließlich Eragons Nichte. Nachdem was Cale über gutes Benehmen gelernt hatte, wartete jemand wie er bis eine höher gestellte Person ihn ansprach und nicht umgekehrt. Leider schien es so als hätten alle Anwesenden ihn völlig vergessen.
Während Cale noch überlegte, was er tun sollte spürte er plötzlich, dass er doch jemandes Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein junger Elf, offenbar der Reiter des silbernen Drachens, musterte ihn interessiert.
Cale erinnerte sich an das was der Drachenreiter Ishaha und sein Begleiter, der goldene Joto, über die anderen Mitglieder des Ordens erzählt hatte. Demnach musste es sich bei den Elfen und Kalain handeln, den Reiter von Drugatie.
Ishaha hatte diesen Elfen nicht eben einen angenehmen Charakter bescheinigt. Auf dem fein geschnittenen Gesicht des elfischen Reiters zeichnete sich aber nach Cales Meinung keine Missbilligung oder gar Verachtung ab. Schlichte, neutrale Neugier schien Kalain zu bewegen.
Cale wusste, dass dieses Ordensmitglied selbst noch nicht lange ein Reiter war. Daher fühlte er sich gegenüber den jungen Elfen nicht so in die Enge gedrängt. Er beschloss in die Offensive zu gehen. Er machte einige Schritte auf Kalain zu und begann das elfische Begrüßungsritual. Sein gegenüber erwiderte die höfliche Geste und sagte dann: "Entschuldige, wenn ich Dich angestarrt habe. Das war sicher unhöflich. Ich habe noch nie ein Mischwesen wie Dich gesehen."
Kaum hatte dieser Satz die Lippen des Elfen verlassen als er schon die Augen verdreht.
"Ich denke, ich muss mich schon wieder entschuldigen. Bei Dir Cale-Finiarel, bei Arya Sivit Konas Tochter und bei Eragon Schattentöter selbst. Schließlich war einzig auch in ihnen das Blut verschiedener Völker. Meine größte Schwäche: Mein Mund ist schneller als mein Verstand."
"Bei mir musst Du Dich nicht entschuldigen." beschwichtigte Cale und kämpfte seine Nervosität nieder. "Außerdem stimmt es doch eigentlich was Du gesagt hast. Ein Mischwesen wie mich hast Du noch nie gesehen. Schließlich war es einer meiner entfernten Vorfahren, dessen Gefährte ein Elf war. Bei Eragon war es Magie und seine Tochter ist direkt ein Kind verschiedener Völker. Es stimmt also: So etwas wie mich hast Du noch nie gesehen."
Einen Augenblick schien der junge Elf darüber nachzudenken, ob es sich bei Cales Bemerkung um einen Scherz handelte oder ob er einen Fehler beging, wenn er sich über den Ausspruch amüsierte. Schließlich entschloss er sich jedoch für ein befreites Lachen.
"Danke für Dein Verständnis Cale-Finiarel. Mein Name ist übrigens Kalain und der Silberne dort ist mein Drache Drugatie. Ich nehme an, der junge rote Drache hat Dich zu seinem Reiter erwählt. Darf ich seinen Namen erfahren?"
"Mein Drache hat für sich den Namen Tailon akzeptiert. Es ist die Bezeichnung der Gelehrten meines Volkes für das Sternenbild des Himmelskriegers. Der Drachenreiter Ishaha hat bereits von Dir und Deinen Drachen erzähl Kalain-Finiarel."
Verstimmt verzog Kalain den Mund. Allerdings schien er nicht verärgert zu sein. Vielmehr schien er etwas peinlich berührt, denn er begann sich nachdenklich am Hinterkopf zu kratzen.
"Ich nehme an er und sein Drache Joto haben nicht viel Gutes an uns gelassen, oder?"
Cale wog seine Antwort sorgfältig ab. Bisher hatte der fremde Reiter nichts getan was man als Beleidigung oder herablassendes Verhalten ansehen konnte. Sicher, Ishaha hatte Kalain als überheblich beschrieben aber das war ja schließlich auch nur eine Meinung. In jedem Fall erschien es Cale wenig sinnvoll ein Mitglied des Ordens, zu dem er ja nun auch gehörte, weiter in Verlegenheit zu bringen, indem er einfach das nachplapperte, was ihm ein anderer vorgesagt hatte.
"Er hat erwähnt, dass es eine gewisse Konkurrenz zwischen Euren Drachen gibt."
Kalain musterte Cale mit einem schiefen Grinsen.
"Du bist sehr höflich Cale-Finiarel. Ich denke Ishaha noch einiges mehr gesagt. Was Drugatie und Joto betrifft: Ja, es gibt eine gewisse Konkurrenz. Drugatie ist eigentlich kein schlechter Kerl. Die meisten verstehen seine Art einfach nur nicht. Ich habe versprochen nicht darüber zu reden aber es gibt etwas in seiner Vergangenheit, das bei ihm den Eindruck erweckt er müsse ständig beweisen, wozu er fähig ist. Leider habe ich ihm das bisher nicht abgewöhnen können. Ich muss auch gestehen, dass ich es auch nicht versucht habe. Ich war etwas zu sehr mit meiner eigenen Überlegenheit beschäftigt."
"Das klingt als hätte sich bei Dir ein Wandel vollzogen Kalain-Finiarel?"
"Leider bist Du der erste der das bemerkt.", brummte der andere Reiter und starrte düster in die Ferne. "Ich denke, ich bin selbst schuld. Am Anfang habe ich mich wirklich benommen als wäre ich aufgrund einer elfischen Abstammung etwas Besseres. Ich habe danach gestrebt es jedem zu beweisen und habe einige Leute damit vor den Kopf gestoßen. Ich habe auf die falschen Leute gehört. Die Reden von Fürst Däthedr beispielsweise. Als ich zum Reiter erwählt wurde, hat der Fürst mich persönlich beglückwünscht. Er hat mich zu einer seiner öffentlichen Veranstaltungen eingeladen, als Ehrengast! Ich habe mich natürlich geschmeichelt gefühlt. Ein Mann von seinem Stand, Alter und Einfluss interessiert sich für einen Jungspund wie mich? Außerdem hat er ein Talent Reden zu halten. Das kann man einfach nicht bestreiten. Selbst in der Ostmark habe ich über die Traumsicht noch seinen Veranstaltungen gelauscht. Mehr und mehr hat mein Unterricht aber das, was Däthedr da predigte als Irrtum entlarvt. Wenn ich dann den Fürsten Fragen gestellt habe über seine Thesen waren die Antworten in den seltensten Fällen befriedigend."
"Ich habe schon von Fürst Däthedr gehört.", murmelte Cale nachdenklich. "Ich will Dich nicht beleidigen Kalain-Finiarel aber ist der jeder Gedanke gekommen, dass der Fürst..."
"...Nur deshalb Interesse an mir hat, weil ein Drachenreiter auf seiner Seite seiner Bewegung mehr Glaubwürdigkeit verleihen würde. Ja dieser Gedanke ist mir gekommen. Vor kurzem habe ich auch Unterricht von Meister Tar erhalten. Dem ersten Urgal der je als Reiter erwählt wurde. Ich war einfach nur überrascht. Wie viel selbst ich noch über die Natur von ihm lernen konnte."
Wieder schwieg Kalain einen Augenblick nachdenklich. Zwar unterschied sich das Wesen der Elfen von dem der Menschen, dennoch war Cale der Meinung, dass das, was da aus Kalain herausbrach lange in den jungen Mann gegärt hatte.
"Ich habe es Meisterin Arya und Meister Eragon nicht leicht gemacht. Ich versuche zwar mich zu ändern aber ich glaube nicht, dass es noch jemanden interessiert. Ich denke ich habe es mir einfach mit allen verscherzt und nun ist es zu spät."
"Es ist nie zu spät."
Eine gültige Stimme unterbrach die beiden jungen Reiter. Zu Cales Entsetzen bemerkte er nun, dass die Unterhaltung, die er mit Kalain geführt hatte, offenbar ins Zentrum des allgemeinen Interesses gerückt war, ohne dass er oder der Elf etwas davon bemerkt hatten.
Es war Eragon Schattentöter der nun auf sie zutrat.
Es überraschte Cale wie einfach der Anführer des Ordens gekleidet war. Auch er trug ein Wams in der Farbe seines Drachens, schwarze Hosen und Stiefel aus weichem schwarzen Leder. Das einzige Schmuckstück war an seinem dunklen Reiseumhang befestigt. Es war das Abzeichen des Ordens.
"Es braucht viel Mut seine eigenen Fehler einzugestehen und den Versuch zu machen sich zu ändern Kalain-Finiarel. Wenn ich oder meine Gefährtin das bisher nicht angemessen gewürdigt haben entschuldige ich mich. Wie wir Menschen zu sagen pflegen: Beginnen wir noch einmal von vorn."
Aufmunternd klopfte der berühmte Reiter seinem Schüler auf die Schulter. Dieser brachte nur ein geflüstertes "Danke" zustande.
Einmal mehr hatte Cale den Wunsch in der Erde zu versinken als der Blick des Königsmörders sich auf ihn richtete.
"Ich muss mich wohl auch bei Dir entschuldigen Cale. Wir haben Dir, als neuen Schüler des Ordens, bisher nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Es freut mich Dich kennenzulernen. Ich bin Eragon Bromssohn."
Es war wohl der Umstand, dass der berühmte Drachenreiter diesen einfachen, menschlichen Titel "Bromssohn" verwendete, der Cale den Mut aufbringen ließ die Hand, die das Oberhaupt des Drachenreiterordens ihm anbot zu ergreifen und zu schütteln.
Zwar war die Vorstellung im Boden zu versinken noch immer einladend, doch die Gelegenheit lebende Legenden nun persönlich kennenzulernen begann auf den jungen Drachenreiter attraktiver zu wirken.



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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt