*64. Erkundung (3/4)

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Mit gemischten Gefühlen verließen die beiden jungen Drachenreiter den Laden der Kräuterfrau Angela. Als Cale gerade die Tür hinter sich zu ziehen wollte hörte er noch einmal die Stimme der seltsamen Frau: "Und hütet euch vor vor Hirnflöhen! Die sind wie normale Flöhe aber sie klettern durch das Ohr und nisten sich im Gehirn ein. Das juckt dann furchtbar beim Nachdenken und am Hirn kann man sich nicht kratzen."
"Danke, das werden wir." Rief Ismira noch schnell durch den Türspalt bevor Cale sie endgültig schloss.
Die beiden jungen Reiter seien sich an.
"Hirnflöhe?!" fragte Cale völlig verunsichert.
Ein heftiger Lachanfall begann Ismira zu schütteln und steckt es schließlich auch Cale an.
"Ich glaube ich habe mir schon den einen oder anderen Hirnfloh eingefangen." keuchte Ismira nach dem sich etwas beruhigt hatte. "Wenn ich drandenke wie es mich bei manchen Lektionen meiner Magd Anna am Gehirn gejuckt hat muss das wohl so sein."
"Und was sehen wir uns jetzt an?" wollte Cale wissen, nachdem auch er sich wieder unter Kontrolle gebracht hatte.
"Ich schlage vor, wir befolgen den Rat von Angela und sehen uns die Bibliothek an. Erstens Burod hat gesagt, dass sie für unsere Ausbildung wichtig wird und unsere neue Bekannte meinte ein Freund meines Onkels würden sie leiten. Es würde mich interessieren wen sie meint."
Cale nickte zustimmend und gemeinsam machten sich die Gefährten auf dem Weg zu einem Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes. Das Haus war zweistöckig, und aus dem selben Sandfarbenen Stein errichtet wie die Festung der Drachenreiter. Über dem Eingang war das Wappen des Ordens befestigt und Schriftzüge in allen Sprachen der Völker wiesen das Haus eindeutig als die Bibliothek von Esterni aus. Der zweite Stock schien Wohnräume zu beinhalten, während der ersten Stock offenbar als Lagerstätte für die verschiedensten Schriften diente. Hohe, bis zum Boden reichenden Fenster ließen ausreichend Licht in den Raum damit Besucher sich ihren Studien widmen konnten.
Einlass gewährte eine hohe Flügeltür die mit kunstvollen Schnitzereien versehen war. Durch diese betraten nun Cale und Ismira die Bibliothek von Esterni.
Eine andächtige Stille herrschte in dem ausgedehnten Raum, der groß genug war um dem Adel als Festsaal dienen zu können. Fast zwei Drittel des Raums waren Regalen vorbehalten in denen sich Schriftrollen und Bücher stapelten. Der übrige Freiraum wurde von Schreibtischen und Sitzgruppen in Anspruch genommen. Dort konnten Besucher der Bibliothek die Texte, welche sie interessierten lesen, für sich Abschriften anfertigen oder in gedämpftem Tonfall über die literarischen Werke diskutieren.
Direkt gegenüber der Eingangstür stand ein Schreibtisch an dem ein alter Mann in der dunklen Robe eines Schreibers saß und an einigen Listen arbeitete. Als Cale und Ismira nähertraten erkannten sie, dass der Mann auch einen breiten Ledergürtel trug an dem ein ungewöhnlich dünnes Schwert baumelte. Aus einem Buch über Waffen, das Cale in Emfielion gelesen hatte wusste der junge Reiter, dass es sich bei dieser Waffe um ein Florett handelte. Eine Klinge welche sich vor allem durch Schnelligkeit und Präzision auszeichnete. In Kreisen von Gelehrten war sie sehr beliebt wenn sie sich auch nie wirklich großflächig durchgesetzt hatte.
Als die beiden jungen Reiter schließlich direkt vor dem Schreibtisch standen hob der ältere Mann den Kopf und blickte seine Besucher an. Graue Haare und Falten zeigten deutlich, dass die Blüte der Jahre hinter dem Unbekannten lag aber sein Blick war wach und strahlte Kraft und Respekt aus.
"Oh zwei neue Gesichter." stellte der Gelehrte freundlich fest. "Mein Name ist Jeod, Chronist des Ordens der Reiter. Mit wem habe ich die Ehre? Besucht ihr die Ostmark nur oder wollt ihr euch hier ein Leben aufbauen?"
"Wir sind in der Tat neu an diesem Ort." erklärte Ismira sofort während Cale noch nach den richtigen Worten suchte. "Mein Name ist Ismira Katrinatochter und das ist Cale Burkatsohn. Wir sind bei der letzten Prüfung von Drachen auserwählt worden und sind die jüngsten Schüler des Reiterordens. Eine etwas merkwürdige Frau die den Kräuterladen gegenüber betreibt gesagt dass ihr meinen Onkel Eragon Schattentöter kennt."
Die Augen des Mannes namens Jeod weitet sich vor freudiger Überraschung. Sofort trat er hinter seinem Schreibtisch hervor und schüttelte herzlich die Hände seiner Gäste.
"Es ist mir eine Ehre. Allerdings kenne ich dein Onkel Ismira. Ich bin stolz in einen Freund zu nennen. Es ist mir eine Freude die jüngsten Schüler des Ordens zu begrüßen. Ich werde euch gern mehr über meine Bekanntschaft Eragon erzählen und hätte auch ein paar Fragen an euch, denn wie schon gesagt bin ich der Chronist des Ordens. Aber das sollten wir nicht hier im stehen besprechen machen wir es uns doch in meiner Wohnstube etwas bequem."
Mit einer einladenden Geste bedeutete Jeod den beiden jungen Reitern ihm zu folgen. Gern kamen Cale und Ismira dieser Aufforderung nach und Tailons Reiter kam nicht umhin den Gelehrten als etwas sympathischer einzustufen als die Kräuterfrau. Zumindest begruben er sie nicht direkt unter einem halben Wald oder warnte sie vor geheimnisvollen Flöhen die sich im Gehirn einnisteten. Als der junge Buchbindersohn über den Namen Jeod nachdachte fiel ihm allerdings etwas ein.
"Ihr sagt, euer Name sei Jeod. Habt ihr da nicht einmal vor einigen Jahren im Namen der Königin zu einer Sammlung von Schriften und Texten aufgerufen die Galbatorix als verboten eingestuft hat?"
Der Gastgeber der beiden jungen Reiter blieb auf der Treppe, die sie inzwischen hinauf stiegen, stehen und sah seine Besucher mit großer Trauer im Blick an.
"Ja, zu dieser Sammlung habe ich in der Tat aufgerufen. Ich wünschte ich hätte es nicht getan. Es ist ein schreckliches Fiasko geworden."
"Ich weiß," sagte Cale ernst. "Mein Vater ist damals dem Ruf gefolgt und kam bei dem Angriff von Galbatorix ehemaligen Getreuen zu Tode. Ich hoffe man macht euch keine Vorwürfe ob dessen was damals passiert ist. Ich tue es ganz gewiss nicht."
Jeod stieg einige Stufen wieder hinunter und legte Cale die Hand auf die Schulter.
"Ich bin dir sehr dankbar für das was Du gerade gesagt hast Cale Vurkatsohn. Burkat war also dein Vater. Ich erinnere mich gut an ihn und hätte ihn gern besser kennen gelernt. Was deine Familie da über die Jahre an Schriften gesammelt hat war einmalig. Meiner Meinung nach wird den Leuten die auf diese Weise Widerstand geleistet haben viel zu wenig Respekt gezollt."
Cale war gerührt, dass dieser Mann seinen Vater so viel Anerkennung entgegenbrachte und bedankte sich herzlich. Im Anschluss setzte die Gruppe ihren Weg über die Treppe in Jeod Wohnung fort.
Als sie die großzügigen Räumlichkeiten betraten führte der alte Gelehrte sie in eine gemütlich eingerichtete Wohnstube und bedeutete seinen Gästen in einigen Sesseln Platz zu nehmen die um einen kleinen runden Tisch standen.
Auch der Gelehrte ließ sich nieder und wollte gerade wohl zu einer Frage ansetzen als eine Frauenstimme von der Tür herüber wehte.
"Jeod bist du das?"
"Ja Helene! Wir haben übrigens Gäste."
"Wehe du hast wieder Urgals in mein Haus eingeladen." drohte die Frau die nun im Türrahmen erschien. Wie ihr Mann war auch sie bereits fortgeschrittenen Alters doch wirkte sie noch sehr rüstig und flößte jedem durch ihr auftreten sofort Respekt ein. Sie trug ein dunkles Kleid mit einem hohen weißen Spitzenkragen und als einziges Schmuckstück einen silbernen Ring der von einer kleinen Goldkugeln geschmückt wurde. Kritisch musterte sie die Gäste ihres Mannes.
"Nein nein, keine Urgal und auch keine Zwerge oder Werkatzen." wehrte dieser sogleich ab. "Dies sind Cale und Ismira die jüngsten Drachenreiter des Ordens. Ismira ist übrigens die Nichte von Eragon."
Deutlich hellte sich die Miene von Helene auf. Mit einem warmen Lächeln auf dem Gesicht, welches sie weit weniger einschüchternd wirken ließ, trat sie an den Tisch heran und reichte jedem der jungen Drachenreiter die Hand.
"Es freut mich euch beide kennen zu lernen. Besonders eine junge Gräfin bei uns begrüßen zu dürfen ist keine alltägliche Gelegenheit."
"Das ist sehr freundlich von euch Helene." erwiderte Ismira das Kompliment. "Auch wenn ich natürlich keinen Adelstitel mehr führe seit ich zur Reiterin berufen bin."
"Natürlich." lächelte die Gastgeberin. "Nun da mein Mann euch in seinen Fängen hat sollte ihr euch darauf einstellen gründlich ausgefragt zu werden. Ich werde euch etwas Tee zubereiten damit die Zeit schneller vergeht."
Mit diesen Worten verließ die Hausherrin das Wohnzimmer wieder.
Jeod blickte ihr noch einen Moment nach.
"Wir haben es zu einem beträchtlichen Maß deinem Onkel zu verdanken Ismira, dass meine Gattin und ich hier einen so friedlichen Lebensabend verbringen können. Ihr müsst wissen, dass dein Onkel mich das erste Mal besucht hat als er noch mit seinem Vater, meinem alten Freund Brom, durch das Land reiste und die Ra zac verfolgte. Ich möchte deinen Oheim natürlich nicht beleidigen Ismira aber damals als er als Bauernjunge in abgewetzten Kleidern vor mir stand hätte ich nie vermutet das er zu einem der größten Helden in der Geschichte Alagaesias werden würde. Er hatte mir bereits als er das erste Mal in den Osten aufbrach angeboten ihn zu begleiten aber zu diesem Zeitpunkt musste ich das Angebot ausschlagen. Der Krieg hat gerade meine Helene sehr viel gekostet. Weil ich als Spion für die Varden gearbeitet habe, hat sie das Geschäft ihrer Familie in Teirm verloren und wir mussten uns mit deinem Vater, Roran Hammerfaust, auf eine abenteuerliche Flucht nach Surda machen. Dort schenkte ihr dein Onkel damals eine kleine Goldkugel. Der Ring den meine Helene trägt erinnert bis heute an diese Schenkung. Mit diesem kleinen Kapital hat sie ein neues Geschäft aufgebaut und ist in unserer Zeit die wir in Ilirea verbracht haben zu einem der erfolgreichsten Händler in ganz Alagaesia geworden. Ich gestehe es ohne Beschämung ein: Ich mag etwas von alten Texten und Schriften verstehen aber was das Handeltreiben angeht kann ich meiner Gemahlin nicht mal im Ansatz das Wasser reichen."
"Gut dass Du das einsiehst." unterbrach die Hausherrin als sie mit einem Tablett, auf dem Gebäck und eine Kanne Tee, standen wieder den Raum betrat. Es war jedoch für einen geübten Beobachter nicht zu übersehen, dass sie die Worte ihres Gatten freuten. "Ja, ich habe etwas geschaffen mit dem was dein Onkel mir geschenkt hat Ismira. Und ich rechne es meinem Jeod hoch an, dass er sich nicht in ein neues Abenteuer gestürzt hat als er die Gelegenheit hatte sondern zu mir gestanden ist. Wir haben sehr glückliche Jahre in Ilirea verbracht. Dort hat er im Namen der Königin verlorenes Wissen des Menschenvolkes gesammelt. Leider gab es dann diesen Zwischenfall mit den ehemaligen Soldaten des Königs."
"Bei diesen Zwischenfall ist Cales Vater umgekommen." erklärte Jeod seiner Gattin als sie sich zu der Gruppe an den Tisch setzte. Helene warf daraufhin dem jungen Mann einen etwas unsicheren Blick zu.
"Er hat mir aber bereits versichert, dass er mir keine Vorhaltungen deswegen macht." beschwichtigte der Gelehrte als er die Verunsicherung seiner Frau erkannte. Diese lächelte daraufhin und nickte dem jungen Buchbindersohn dankbar zu.
"Da bin ich in der Tat erleichtert. Jeod hat sich damals schreckliche Vorwürfe gemacht und stand kurz davor sein Streben nach vergangenem Wissen aufzugeben. Aber einmal mehr hat uns dein Onkel Ismira eine neue Perspektive geboten. Der Orden der Reiter war inzwischen gewachsen und er hat Jeod bei einem Besuch in Ilirea den Posten angeboten den er jetzt inne hat. Den des Chronisten."
"Eine Tätigkeit die ich in vollen Zügen genießen." bestätigte der ältere Mann. "Ich verwalte hier Schriften die von allen Völkern Alagaesias zusammengetragen wurden. Ich bringe Legenden der Urgals zu Papier die nur mündlich weitergegeben wurden und fasse die gesammelten Texte zu Nachschlagewerken zusammen die den Unterricht der neuen Drachenreiter dienen. Auch berichte ich in einer Chronik über die Geschichte des neuen Ordens der Reiter und über seine neuen Mitglieder. Auch euch werde ich wohl einige Seiten widmen."
"Jetzt wisst ihr warum euch mein Gatte wohl demnächst Löcher in den Bauch fragen wird." scherzte Helene wärend Cale und Ismira leicht erröteten. Teil einer Chronik zu werden, die vielleicht noch in Generationen gelesen wurde war eine große Ehre.
"Als Jeod dieser Posten angeboten wurde war mir klar, dass er ihm praktisch auf den Leib geschneidert war." vollendete Helene und reichte ihren beiden Gästen nun jeweils eine Tasse Tee.
"Aber was ist mit eurem Geschäft in Ilirea? War es nicht ein großes Opfer von euch es aufzugeben."
"Es ist sehr freundlich von euch nachzufragen Ismira." schmunzelte die Gastgeberin. "Aber aus zwei Gründen ist es mir nicht besonders schwer gefallen. Zum einen hatte ich genug verdient, dass mein Gatte und ich uns ein ruhiger Lebensabend leisten konnten. Welchen Sinn hat es ständig dem Geld hinterher zu jagen wenn man nicht irgendwann an einem Punkt kommt, wo man den erarbeiteten Wohlstand auch genießt? Wir hatten diesen Punkt erreicht, und auch mir hat Eragon Schattentöter eine Position angeboten die ich dankbar und gerne Ausfülle. Dies ist nicht nur ein einzigartiger Ort der Magie müsste wissen. Durch das Zusammenleben der Völker entstehen hier einzigartige Produkte. Stoffe der Elfen, Feldfrüchte einzigartige Qualität und Kunstwerke des Handwerks der Zwerge. Ich verwalte den Überschuss dem die einzelnen Völker der Stadt Esterni produzieren und schickte ihn auf Schiffen nach Alagaesia. Ich erwirtschafte damit einiges an Profiten die das Kapital des Ordens bilden. Die Drachenreiter helfen in Notsituationen auf verschiedenste Weise. Mit Gütern wie Getreide, Nahrungsvorräte, Holz und Ähnliches aber auch natürlich mit Magie oder mit dem Schwert. Manchmal ist es allerdings auch recht nützlich harte Devisen zur Verfügung zu haben um notleidenden zu helfen."
"Also liegt euer geschäftliches Talent hier nicht brach." vermutete Cale.
"Keineswegs." Erklärte Jeod und ein nicht unwesentlicher Stolz auf seine Gattin schwang in den Worten mit.
"Wenn ihr der Chronist des Ordens seit, dann könnte uns doch sicherlich auch einiges über Esterni erzählen. Und auch über den Orden, wie hier alles funktioniert und organisiert ist?
Jeod bedachter Ismiras neugierige Frage mit einem wohlwollenden Lächeln.
"In der Tat, da kann ich euch einiges berichten. Und wenn ihr auch bereits seit mir einige Fragen oder euch zu beantworten steht uns mit Sicherheit ein angenehmer Nachmittag bevor."

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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt