21. Schatten der Vergangenheit

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Cale lag neben Tailon auf dem gepolsterten Podest welches dem jungen Drachen als Schlafplatz diente. Gedankenverloren kraulte er den Hals des roten Drachen.
Der junge Reiter hatte eine unruhige Nacht hinter sich und war lange bevor die elfische Weckkugel, mit dem Geräusch einer wütenden Hornisse, den Beginn des neuen Unterrichtstages ankündigen würde, zu seinem Drachen auf das Podest gekrochen. Schlafen konnte er trotzdem nicht finden.
Noch immer spukten die Erinnerungen, welche er unter dem Baum, den Meisterin Narie ihnen gezeigt hatte, betrachtet hatte, durch seinen Kopf. Es waren einfache aber sehr persönliche Dinge gewesen, die die Überlebenden von Osilon der Nachwelt hinterlassen hatten. Doch gerade das berührte den jungen Reiter so. In den Lichtpunkt der Elfen waren keine großen Heldentaten festgehalten. Keine Großtaten im Bereich der Wissenschaften, keine umwälzenden Entdeckungen im Bereich der Magie oder einzigartige künstlerische Leistungen. Es waren ganz einfache Dinge. Erinnerungen an ein Gespräch unter Freunden als eines der Opfer zum ersten Mal Liebe für jemand anderen empfand oder ein Gespräch zwischen Schüler und Lehrer welches sich mit der Notwendigkeit befasste Geduld zu erlernen. Einfache Dinge eben die ihre Bedeutung dadurch erhielten, dass sie dem Wesen wichtig waren die sie an diesem besonderen Ort der Nachwelt hinterlassen hatten. Es waren Ereignisse, die so normal waren, das Cale in seinem Leben durchaus schon vergleichbare Erfahrungen gemacht hatte. Gerade dieser Umstand war es aber, der den jungen Drachenreiter so tief berührte. Es wäre leichter zu ertragen gewesen, wenn die Opfer des Massakers von Osilon unerreichbare Heldengestalten gewesen wären. Doch die einfache, alltägliche Natur der Dinge die diese Wesen für ihre Freunde und Hinterbliebenen so einzigartig gemacht hatten, rückte den Schrecken, unter dem sie diese Welt verlassen hatten in greifbare Nähe.
Mehr und mehr wurde Cale bewusst, dass sich sein gesamter Blickwinkel verändert hatte. Wenn er jetzt zum Beispiel an den großen Krieg gegen Galbatorix dachte erschienen ihm die Heldensagen in einem völlig neuen Licht. Sätze der Barden und Geschichtenerzähler wie: "Es war eine große Schlacht, die die brennenden Steppen in jenen Tagen sahen und zahlreich waren die Opfer" kamen ihm nun geradezu wie eine Beleidigung eben dieser Opfer vor. Jedes der Wesen, das an diesem Kampf teilgenommen hatte, war einzigartig gewesen und hatte das höchste Opfer gebracht. Wie dankte man es Ihnen? Man erwähnte sie kurz in einem Nebensatz.
- "Was wäre denn Deiner Meinung nach eine angemessene Erwähnung ihrer Opfer?" - brummte Tailon mit einem Mal in die Gedanken seines Reiters.
Cale drehte den Kopf zur Seite und erkannte, dass ihn das rubinfarbene Auge seines Drachen aufmerksam musterte.
- "Ich weiß es offen gesagt nicht Tailon. Vielleicht gibt es keine Art diesen Wesen angemessen zu danken. Es scheint mir nur falsch dies auf eine so geringe Art und Weise zu tun. Außerdem verstehe ich nicht, wie man überhaupt Kriege führen kann. Ist den Leuten nicht bewusst was sie damit anrichten? Verstehen sie nicht wie viel die Welt dadurch verliert?" -
- "Natürlich verstehen Sie das. Was glaubst Du, weswegen sie solche Heldenmythen in die Welt setzen? Anders könnten sie vermutlich die Erinnerung an den Schrecken gar nicht ertragen. -"
- "Also ist es noch schlimmer!" - ereiferte sich Cale. - "Man dankt den Leuten nicht nur auf eine lausige Weise, sondern degradiert sie zu einem Element der Unterhaltung." -
- "Jetzt bist Du ungerecht." - widersprach der junge Drache. - "Ich sagte, dass sie die Erinnerung an den Krieg nur auf diese verklärte Weise ertragen können, nicht, dass er zu einem erstrebenswerten Schauspiel wird. Und soll ich dir sagen wie man den Opfern des großen Krieges dankt? Sieh mich doch zum Beispiel an. Vor dem großen Krieg stand mein Volk vor dem Aussterben. Die Völker lebten in Angst und die Ungerechtigkeit hatte mehr Gesichter als man zählen kann. Heute ist dies anders. Ja es gibt noch Misstrauen und Missverständnisse zwischen den Völkern aber es ist um einiges besser geworden als es vorher war. Du suchst nach einem angemessenen Denkmal für die, die Ihr Leben gegeben haben. Ich sage Dir Cale: Jeder neue Drache der geboren wird, jedes Lachen und wo vorher geweint wurde und jedes Wesen, das jetzt eine Chance erhält, die vorher nicht bestanden hat, ist ein Denkmal für die Wesen, die sich geopfert haben für den Frieden den wir jetzt genießen. Wir alle haben dieses Denkmal erschaffen und errichten es an jedem Tag ein Stückchen mehr. Wenn Du also denen danken willst die sich geopfert haben, dann lieg nicht herum und grübele, sondern hilft beim Bau mit." -
Lächelnd strich Cale seinem Seelenpartner über die Schuppen.
- "Du hast recht. Seit wann bist Du eigentlich so weise?" -
- "Wir Drachen kommen so zur Welt. Wir tun nur am Anfang so als wären wir ein bisschen dumm, damit Ihr Euch nicht so schlecht fühlt." - bei diesen Worten zwinkerte Tailon seinem jungen Reiter schelmisch zu.
Cale gönnte sich ein kurzes Lachen, wurde dann aber wieder ernst.
- "Ich frage mich nur wie Galbatorix und seine Gefolgsleute tun konnten was sie getan haben. Der König selbst mag wahnsinnig gewesen sein. Außerdem hat er sich so von dem Volk isoliert, über das er herrschte, dass es wohl ein Leichtes war sein Leid zu übersehen aber was ist mit Deinen Dienern? Sie alle waren Drachenreiter und müssen doch durch ähnliche Lektionen gegangen sein wie wir jetzt. Wenigstens zwei von ihnen waren sogar Elfen. Kailandi und Formona. Wie konnten sie dem Leben so gleichgültig gegenüberstehen?" -
Tailon brummte und streckte sich auf dem Podest so, dass seine Gelenke knacken. Schließlich schmiegte er sich wieder an seinen Reiter und antwortete: – "Hier kommen denke ich verschiedene Punkte zusammen. Zum einen hat Galbatorix ja immer behauptet, etwas Gutes und Wundervolles erreichen zu wollen. Ich denke den meisten seiner Anhänger ist zu spät aufgefallen, dass er nicht die Weisheit besaß, um seine Ziele wirklich zu erreichen. Dazu kommt dann, dass Mutter mir erzählt hat, dass er magische Mittel eingesetzt hat, um seine Diener unter Kontrolle zu halten. Vergiss nicht einige der Verräter haben Selbstmord begangen. Vielleicht haben sie das aus Reue getan. Gefolgt sind sie Galbatorix wohl ursprünglich, weil sie arrogant waren. Sie hielten es wohl einfach nicht für möglich, dass soviel Leid aus ihren Handlungen entstehen konnte und als gestern sahen war es zu spät." -
"Erst das Problem durchdenken, dann erst Deine Schritte lenken." murmelte Cale mehr zu sich selbst.
- "Genau das meine ich." - bestätigte Tailon.
- "Die Weisheit ist nicht von mir, sondern von meinem Onkel. Seltsam. Wir haben uns nie wirklich gut verstanden aber jetzt sind es seine Worte, die mir weiterhelfen." -
- "Und ich werde Dich immer an diese Worte erinnern, wenn Du vorhast Hals über Kopf etwas Dummes zu tun. Denk dran: Wir Drachen sind sehr weise!" -
- "Da bin ich aber erleichtert." - Lachte der Sohn des Buchbinders.
Das Wüten klingende Summen der Weckkugel verriet Kehl, dass es nun auch Zeit war sich auf den neuen Tag vorzubereiten. Während Tailon sich noch genüsslich auf seinem Podest räkelte, zog sich sein Reiter in die Waschkammer zurück und kleidete sich anschließend an.
Nachdem er vollständig angezogen war, griff er sich die Mappe, die er für seinen theoretischen Unterricht erhalten hatte, und schnallte sich sein Schwert um. Seufzend ergriff er auch seinen Köcher und den Bogen.
- "Mit der Stockschleuder wirst Du wohl nie gut Freund werden was?" - kicherte Tailon der inzwischen von seinem Schlafplatz heruntergeklettert war und noch einmal die wichtigsten Muskeln streckte.
- "Nicht wirklich." - brummte Cale unwirsch.
Gemeinsam betraten die beiden Seelengefährten das Plateau vor der weißen Zitadelle. In den ausgedehnten Parkanlagen wurden sie bereits von ihrem Lehrmeister Marek, seiner Drachendame Laorie, Tailons Mutter Kira sowie Ismira und Anarie erwartet.
"Kommen wir etwa zu spät?" erkundigte sich Cale beunruhigt.
"Nein Nein" winkte Marek ab. "Ismira hat mich heute Morgen aufgesucht, um Ihr einen Erfolg zu zeigen, den sie für sich verbuchen kann."
Auf den fragenden Blick ihres Mitschülers hin demonstrierte die junge Frau was Ihr Lehrer meinte. Sie hatte es geschafft auf ihre Magie zuzugreifen und den Kieselstein, den sie von ihren Lehrern erhalten hatte einige Zentimeter über ihre Handfläche schweben zu lassen. Zwar zitterte der Stein noch und plumpste bereits nach einigen Sekunden wieder in die Handfläche, doch der Anfang war gemacht.
"Ich gratuliere Dir." freute sich Cale für seine Mitschülerin.
Ismira bedankte sich mit einem warmen Lächeln.
"So, nun wollen wir aber auch mit dem Unterricht beginnen." ergriff Marek wieder das Wort. "Den Vormittag über werde ich Euch unterrichten. Narie hat einige Gespräche zu führen und wird sich erst später dem Unterricht anschließen. Tailon und Anarie, wir begleitet Eure Mutter und Laorie. Flugübungen stehen für Euch auf den Plan."
- "Na dann kommt mal meine beiden Schätze." - Summte die rote Drachendame zärtlich.
- "Bis später Cale. "-
Mit diesen fröhlichen Worten verabschiedete sich Tailon von seinem Reiter und schwang sich gemeinsam mit seiner Schwester in den Himmel. Die Geschwister folgten ihrer Mutter und der gelben Drachendame als diese zunächst über die Stadt, und dann in Richtung Wald davon flogen.
"Nun zu Euch beiden." erklärte Marek. "Normalerweise sollte Euer Unterricht immer mit dem Remgar beginnen aber ich halte von diesen Verrenkungen nicht so viel. Wir werden lieber Eurer Ausbildung mit dem Schwert etwas vorantreiben. Anschließend ist der Bogen an der Reihe und nachdem er Euch über Mittag etwas erholen konntet steht der theoretische Teil oder Ausbildung an. Das bedeutet Völkerkunde, Geschichte und selbstverständlich die alte Sprache. Mit magischen Übungen werden wir erst später ernsthaft beginnen. Nämlich, wenn Ihr die alte Sprache fließend beherrscht. Die richtige Aussprache und Grammatik sind bei Zaubern sehr wichtig. Bevor wir beginnen noch eine Kleinigkeit."
Marek zog den Dolch hervor, den Cale von seinem Großvater erhalten hatte und überreichte ihm den Jungen.
"Runön den Dolch bereits zurückgeschickt. Narie lässt Dir ausrichten, dass sie nun in der Tat einige Anhaltspunkte hat, was Deine Abstammung betrifft aber noch einige Nachforschungen anstellen will. Du bist noch etwas Geduld haben müssen. In der Zwischenzeit kannst den Dolch aber zurückhaben."
Cale nickte dankbar und befestigte das Erbstück an seinem Gürtel. Es machte ihm im Grunde nichts aus noch länger zu warten. Was er zu Ismira gesagt hatte waren keine leeren Worte gewesen. Er empfand es zwar als nicht uninteressant zu erfahren, wer seine Vorfahren gewesen waren aber es spielt auch nicht wirklich eine Rolle für ihn. Er hatte bereits gemerkt, dass sein elfischer Erbe ihm keine besonderen Kräfte verlieh oder den Unterricht in irgend einer Form leichter gestaltete. Höchstens, dass er von Geburt an ein magisches Talent besessen hatte, war vermutlich auf sein Mischblut zurückzuführen. Was immer seine Lehrer auch in Erfahrung bringen würden war vielleicht interessant aber konnte für ihn in der Gegenwart nur eine unbedeutende Rolle spielen.



Es war Abend geworden und Narie starrte immer noch gedankenverloren in den Spiegel, der sie bis vor wenigen Augenblicken mit ihrer Cousine Arya verbunden hatte. Auch die ältere Elfe billigte Ihr Vorgehen. Auf lange Sicht würden sich zwar Probleme nicht vermeiden lassen aber es war besser diesen gemeinsam zu begegnen.
Ein leises Räuspern erregte die Aufmerksamkeit der Elfe. Ihr Gefährte Marek betrat Ihr Quartier, welches im Grunde genauso eingerichtet war wie das ihrer Schüler. Der Bergnomade grüßte kurz Kira und nahm dann auf der Bettkante, gegenüber dem Stuhl auf dem Narie saß Platz.
Seine gelbe Drachendame Laorie legte sich indes so vor den Eingang zum Quartier, dass kein anderer mehr es betreten konnte oder auch nur einen Blick hineinwerfen konnte. Freundschaftlich zwinkerte sie ihre Artgenossin zu, die auf ihrem Schlafpodest thronte.
"Wir haben sich unsere Schüler geschlagen?" erkundigte sich Narie.
"Ich bin ganz zufrieden." erklärte Marek. "Von der Meisterschaft im Schwertkampf sind unsere Schüler zwar immer noch weit entfernt aber sie haben einige Fortschritte erzielt. Das gleiche gilt auch für Cale, wenn es um den Bogen geht. Er hat es immerhin geschafft neun von 12 Pfeilen ins Ziel zu bringen. Damit meine ich er hat mit neun von 12 Pfeilen die Zielscheibe getroffen. Kein Meisterschütze aber eine Verbesserung."
Die beiden Drachenreiter schwieg einen Augenblick.
"Also?" ergriff Marek schließlich wieder die Initiative.
"Also was?"
"Narie bitte!" Marek klang leicht beleidigt. "Die kennen uns nun schon sehr lange und sind auch schon eine geraume Zeit Gefährten. Glaubst Du ich merke nicht, wenn Du etwas von mir verbirgst? Du hast mehr über Cales Abstammung herausgefunden als Du mir gesagt hast. Warum machst Du ein Geheimnis daraus?"
Narie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, erhob sich und setzte sich schließlich auf Mareks Schoß. Ihre Arme schlang sie um seinen Hals.
"Du musst mir versprechen, dass es zunächst diesen Raum nicht verlässt. Es ist kritisch genug, dass so früh bekannt geworden ist das Cale ein Mischblut ist. Ich möchte nicht, dass Ereignisse in Gang gesetzt werden die sich sehr zum Nachteil unserer jungen Schüler entwickeln können."
"Ich verspreche es Dir." erklärte Marek und verbannte jede Verspieltheit aus seiner Stimme.
"Runön ist sich sicher, dass sie weiß welche Drachenreiterin und welcher elfische Schmied Cales Vorfahren sind. Zwar sind beide inzwischen tot aber es gibt noch einen lebenden Verwandten. Den Bruder des Schmieds. Ich habe schon mit Eragon und Arya darüber gesprochen. Sie sind auch der Meinung, dass es noch zu früh ist das Cale von diesen Verwandten erfährt. Sie haben sich sogar bereit erklärt früher zu uns zu stoßen um im Ernstfall, also wenn die Sache verfrüht bekannt werden würde, Unterstützung gewähren zu können. Sie werden in etwa einer Woche hier eintreffen und dann werden wir mit Cale reden."
"Du machst mir regelrecht Angst.", gestand Marek. "Ist einer von Cales Vorfahren etwa ein Wyrdfell?"
"Nein, nein." wehrte Narie entschieden ab. "Seine menschlicher Vorfahrin war eine Reiterin die an Vraels Seite gekämpft hat. Man dachte immer sie sei gefallen, aber das galt wohl nur für ihren Drachen. Und sein Vorfahr unter den Elfen war kein Drachenreiter, also kann er auch kein Abtrünniger gewesen sein."
"Wo liegt dann das Problem?"
"Das Problem ist der überlebende Verwandte. Der Bruder von Cales Vorfahr." erklärte Narie.
"Ich kann's mir schon denken." vermutete Marek. "Er ist ein Anhänger der Gruppe um Fürst Däthedr. Ein Verfechter der Reinhaltung des Elfenvolkes."
"Schlimmer Marek, viel schlimmer. Fürst Däthedr ist der Bruder von Cales Vorfahr."



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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt