*61. Die Festung

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Ein ehrfürchtig Schauer lief Cale über den Rücken als Tailon sich, gemeinsam mit den beiden anderen Drachen und ihren Reitern, der gewaltigen Festung Mor'raner näherte. Die Anlage war größer als jede Burg die der junge Reiter bisher in seinem Leben gesehen hatte. Die gesamte Anlage war annähernd quadratisch und umgeben von einer 4 m hohen steinernen Befestigungsmauer. Wie das Hauptgebäude der Festung war auch die Mauer in einem hellen Sandton gehalten. Im Licht der Sonne wirkte die Anlage fast golden.
Bei näherem hinsehen wurde Cale sofort klar, dass bei der Errichtung dieses Bauwerks die handwerklichen Fähigkeiten der verschiedenen Völker zusammengeflossen waren. Die einzelnen Steine der Befestigungsanlage waren so perfekt gearbeitet, dass sie sich fast lückenlos aneinander reihten und jeder Außenwand das Aussehen verliehen als sei die gesamte Anlage aus einem Guss entstanden.
Ein Graben, welcher aus dem See an dem die Anlage erbaut waren gespeist wurde zog sich um die äußere Mauer und ein gewaltiges Tor, gesichert durch Metallgitter und Zugbrücke bildete den einzigen Zugang in die Festung selbst. Wachtürme waren an allen vier Ecken in die äußere Befestigung eingelassen.
Als die Gruppe sich der Festung nährte erkannte Cale, dass sie bereits erwartet wurden. Eragon, seine Gefährtin Arya und ihre Drachen erwarteten sie vor der Zugbrücke. Bei den beiden ältesten Sculblakas des Ordens waren noch fünf weitere Drachen. Aus der Tatsache, dass keine weiteren Reiter bei dem Donner standen schloss Cale, dass es sich um wilde Exemplare handeln musste. Einen der wartenden Drachen kannte er bereits. Maranies schneeweiße Schuppen stachen deutlich hervor.
Doch auch die übrigen Wilden mussten sich nicht verstecken. Es handelte sich um zwei kupferfarbenen Drachen die sich ähnelten wie ein sprichwörtliches Ei dem anderen und zwei Exemplare die in ein etwas helleres zu grün gekleidet waren als Aryas Begleiter Fírnen.
- "Dort wartet unser Empfangskomitee. "- Burod ließ sich über die geistige Verbindung vernehmen. - "Bevor wir uns zu ihnen gesellen dreht ihr mit mir aber noch eine Runde um die Festung. Ich will euch ein wenig von der Anlage zeigen." -
Während Ismira dem sofort was überschwänglich zustimmte, war Cale etwas unsicher. War es nicht unhöflich die ältesten Reiter und ihre Drachen warten zu lassen?
- "Du denkst zu viel." - tadelte Tailon spielerisch und folgte seiner Schwester und Beoram. In einer sanften Kurve begann die drei Drachen die Festung zu umkreisen. Von ihrem einzigartigen Blickwinkel aus konnten die jungen Reiter in den unterteilten Innenhof Einsicht nehmen.
- "Wie Ihr seht hat man den Hof in vier verschiedene Segmente unterteilt." - erklärte Burod. - "Das hat einmal natürlich verteidigungstechnische Gründe. Selbst wenn ein Gegner durch das Haupttor dringen könnte wäre er keinen Schritt weiter. Er wäre nun eingekreist und Bogenschützen könnten ihn von drei Seiten mit Pfeilen belegen. Die einzelnen Innenhöfe sind natürlich durch die Tore, die ihr dort in den Mauern seht miteinander verbunden. Jeder dieser Innenhöfe hat aber auch eine ganz eigene Funktion. In dem vorderen Hof direkt hinter dem Haupttor sind verschiedene Werkstätten untergebracht. Bei einer eventuellen Belagerung wäre es natürlich wichtig, dass man die notwendigen handwerklichen Arbeiten weiterhin kompetent durchführen kann. Der Innenhof an der linken Flanke der Festung enthält Lagerräume. Sie enthalten Vorräte und Rohstoffe. Wir sammeln diese Reserven aber nicht nur für den Fall, dass wir angegriffen werden. Sollte es irgendwo in Alagaesia eine Naturkatastrophe geben oder zum Beispiel eine Hungersnot haben wir hier genug Vorräte um die Betroffenen mit allem nötigen zu versorgen. Mithilfe der Magie können wir die benötigten Güter innerhalb kürzester Zeit quer durchs Land schicken. An der rechten Flanke der Festung seht ihr unseren Garten. Die Spitzohren haben angelegt. Offenbar fühlen die sich einfach nicht wohl wenn nicht irgendwo Blumen sprießen. Es ist aber eine gute Möglichkeit sich mal zurückzuziehen und seine Ruhe zu haben. Das muss man ihnen lassen." -
Die Reiter setzten ihren Flug fort und erhielten schließlich Einblick in den letzten Innenhof im Rücken der Festung. Dort waren drei Drachen und ihre Reiter versammelt.
- "Dieser letzte Innenhof ist für euch von besonderer Bedeutung." - ließ der Zwerg sich erneut vernehmen. - "Es ist der Ort an dem der Großteil eurer Ausbildung stattfinden wird. Besonders Schwertkampf und Bogenschießen wird dort geübt. Wie Ihr seht findet gerade Unterricht statt. Meister Tar und sein Drache Aroc scheinen gerade eine Stunde abzuhalten. Tar war der erste Urgal der hin zum Reiter berufen wurde. Sein Drache Aroc ist der braune dort mit dem geschwungenen Hörnern. Seine Schüler sind die Elfe Sylara und ihre weiße Drachendame Lilah, sowie die erste weibliche gehörnte Reiterin Togra und ihre Seelengefährtin Arugna. Bei den letzten beiden ist es allerdings schwer festzustellen wer die Wildere ist. Die Reiterin oder die schwarze Drachendame." -
Inzwischen hatten die drei Reiter auf dem Seelengefährtin die Festung umrundet und setzten nun vor der heruntergelassenen Zugbrücke zur Landung an. Dort erwartete sie bereits ihr Empfangskomitee.
Während Cale und Ismira ihre Beinriemen lösten und von den Rücken ihrer Gefährten glitten blieb Burod auf seinem Drachen.
"So Meister Eragon!" rief der Zwerg seinen ehemaligen Lehrmeister zu der sich nun den Neuankömmlingen näherte. "Da habe ich euch die Frischlinge abgeliefert. Wenn ihr nichts dagegen habt möchte ich jetzt wieder an meine Arbeit gehen. Sonst werden die Statuen nie fertig."
Eragon lachte und nickte. Daraufhin winkte der Zwerg Cale und Ismira noch einmal freundschaftlich zu und erhob sich dann auf dem Rücken seines braunen Drachen wieder in den Himmel. Gemeinsam strebten sie wieder dem Ausgang des Tals zu.
"So meine jungen Freunde" hob Eragon schließlich an als Burod und Beoram zu einem kleinen Punkt am Himmel zusammengeschrumpft waren. "Ich hoffe Burod war nicht zu ruppig zu euch."
"Ganz und gar nicht." sprudelte Ismira los bevor Cale auch nur daran denken konnte den Mund zu öffnen. "Es ist nur schade, das er schon wieder aufgebrochen ist. Ich hätte gern noch mehr über ihn erfahren."
"Keine sorge liebe Nichte. Dazu werde der heute noch Gelegenheit haben. Euer Unterricht beginnt erst morgen heute wollen wir euch nur noch einquartieren und dann könnt ihr die Ostmark auf eigene Faust erkunden. Seht euch die Festung und die Stadt ruhig genau an. Dies ist nun euer zuhause. Ihr könnt auch gerne einen Abstechern ins Revier der wilden Drachen machen aber eine Einschränkung gibt es: Auf der Ratsinsel im Herzen des Sees habt Ihr noch nichts verloren. Nur vollwertigen Reitern ist der Zutritt gestattet und magische Schutzwälle würden euch zu große Neugier sehr verübeln. Von mir ganz zu schweigen. Habe ich nicht deutlich ausgedrückt?"
Cale entging nicht, dass Eragon Schattentöter besonders seine Nichte mit einem strengen Blick durchbohrte. Beide Reiter und ihre jungen Drachen bestätigten, dass sie die Anweisung ihres Lehrmeisters verstanden hatten.
Eragon nickte zufrieden.
"Bevor wir euch nun aber ins Innere der Festung bitten will Saphira euch, Tailon und Anarie, noch weitere Mitglieder auf Familie vorstellen."
Cale ließ zu, dass Eragon ihn und Ismira ein Stück von ihrem Drachen fortführte, so dass die jungen wilden Drachen ihrer Artgenossen begrüßen konnten. Auch Saphira und Fírnen traten zu der Gruppe die bereits ausgiebig damit beschäftigt er sich zu beschnüffeln.
"Sind diese Drachen Abgesandte der Wilden die hier leben?" erkundigte sich Ismira neugierig.
"Oh sie sind weit mehr als das." erklärte Arya die nun, gemeinsam mit ihrer Tochter, zu ihrem Gefährten getreten war. "Das sind Miemel, Ophelia, Aridor und Valaska. Saphiras Kinder und die Geschwister von Hidalgo. Nach menschlichen Maßstäben sind sie also die Onkel und Tanten eurer Drachen. So genau unterscheiden die Sculblaka in der Regel allerdings nicht. Sie begrüßen eure Drachen nur als neue Mitglieder ihrer Brutgruppe deren Oberhäupter Saphira und Fírnen sind. Eigentlich gehört auch noch die Drachendame Vervarda dazu, aber die befindet sich zurzeit auf der Jagd. Ich bin aber sicher, dass ihr sie auch noch kennen lernen werdet."
Cale fühlte sich von all den neuen Eindrücken inzwischen viel zu erschlagen um noch antworten zu können. Mit Mühe gelang ihm ein Nicken. Das Rauschen von Drachenschwingen ließ den jungen Mann schließlich herumwirbeln. Gemeinsam mit seinen Verwandten erhob sich Tailon in den Himmel und flog auf die Festung zu.
- "Heh! Wo geht ihr hin?" -
- "Wir gehen nicht, wir fliegen." - antwortete Tailon frech.
- "Du weißt genau was ich meine!" -
- "Siehst du die Öffnungen in der großen Kuppel?" -
In der Tat waren die Öffnungen von denen sein Drache sprach Cale bereits aufgefallen. Der zentrale Bau der Festung war zunächst ein ebenfalls quadratischer Sockel auf dem eine gewaltige Kuppel thronte. Bereits der Sockel überragte die äußeren Verteidigungsmauern um wenigstens zehn Meter. Die Kuppel hatte noch einmal die vierfache Höhe. Die Öffnungen in der Struktur der Kuppel hatte Cale bisher für Verzierungen gehalten. Nun erklärte Tailon ihm, dass es sich dabei um die eigentlichen Quartiere von Drache und Reiter handelte. Es waren in den Stein eingelassene künstliche Höhlen. Am Fuß der Kuppel lagen die bei weitem größten Höhlen während sie zur Spitze hin kleiner wurden. Auf diese Weise wollten die Reiter wohl Drachen unterschiedlichen Alters angemessene Unterkunft bieten können.
- "Die Höhlen haben zwei Ein- und Ausgänge." - erklärte Tailon. - "Der eine führt hier nach draußen und der andere ins Innere der Festung. Meine Familie hilft Anarie und mir eine passende Höhle für uns zu finden. Wir treffen uns drinnen." -
Mit diesen Worten trennte der rote Drache die geistige Verbindung und begann gemeinsam mit seinen Artgenossen die Kuppel zu umkreisen um einen für sich passenden Unterschlupf zu finden.
"Cale-Finiarel, kommst du?"
Peinlich berührt stellte der junge Drachenreiter fest, dass er so in die Unterhaltung mit seinem Seelengefährtin vertieft gewesen war, dass er nicht bemerkt hatte, dass seine Lehrmeister und Ismira bereits auf die Festung zu schritten. Es war die Elfe Arya gewesen, die sein Fehlen als erste bemerkt hatte.
Eilig schloss er zur Gruppe auf und Ismira begrüßte ihn mit einem sanften Rippenstoß. Schelmisch funkelten die Augen der jungen Frau.
Glücklicherweise schien Eragon Cale seine Verspätung nicht übel zunehmen.
"Keine Sorge." beschwichtigte der Anführer der Reiter. "Die meisten neuen Schüler sind ein wenig überwältigt wenn sie das erste Mal die Ostmark sehen. Aber ihr werdet euch schnell ein gewöhnen."
Wieder brachte Cale nur ein nicken zu Stande und folgte seinem Lehrmeister über den Innenhof zum Haupteingang der eigentlichen Festung.
Zunächst schritten die Reiter durch einen Gang der eindeutig nur für Zweibeiner erbaut war. Magische Laternen erhellten den Durchgang und Bilder, die auf dieselbe beeindruckende Weise hergestellt waren wie die Kunstwerke im Tunnel der ersten Lehre schmückten die Wände. Im vorbeigehen erläuterte Eragon jeweils wer oder was auf den Bildern dargestellt war.
Die Bilder zeigt beispielsweise Eragons und Saphiras ersten Lehrmeister Oromis mit seinem gewaltigen goldenen Drachen Glaedr. Der junge Anführer der Reiter erklärte seinen Schützlingen, dass dieses Bild seiner eigenen Erinnerung entstammte. So hatte er den alten Reiter und seinen weisen Drachen zum ersten Mal erblickt als er vor vielen Jahren die Hauptstadt der Elfen besuchte um seine Ausbildung zum Reiter abzuschließen. Auch Brom, Eragons Vater und seine Drachendame die ebenfalls den Namen Saphira getragen hatte waren zu sehen.
Nicht jedes Bild stellte jedoch einen Drachenreiter da. Auch Ajihad, der Vater von Königin Nasuada und der im Kampf gefallene Zwergenkönig Hrothgar hatten Aufnahme in diese Galerie gefunden. Ebenso Aryas Mutter, Königin Islanzadi und ihr Vater König Evander.
Schließlich hatte die Gruppe den Tunnel durchquert und trat in eine Halle hinaus, die größer war als alles was Cale je gesehen hatte. Noch beeindruckender als die schiere Größe war jedoch das, was im Zentrum des riesigen Gewölbes stand. Dort reckte sich ein riesiger Baum in die Höhe, der ganz und gar aus einem einzigen lupenreinen Diamanten zu bestehen schien.
"Diesen Baum haben wir mit Magie gefertigt." Erklärte Eragon, der den Blicken seiner Schüler gefolgt war. "Zum einen ist er die zentrale Stütze der Kuppel und der großen Halle und er dient uns Reitern auch als Speicher von Magie. Diese gespeicherte Kraft können wir im Falle eines Angriffs gegen Feinde nutzen."
Vorsichtig und all seinen Mut zusammen nehmend, reckte Cale seine geistigen Fühler und er schauderte als er die gewaltige Macht spürte die im Inneren des Baumes pulsierte.
"Ist es euch nur gelungen so viel Kraft zu speichern Meister?" hauchte der junge Buchbindersohn.
"Nun, jeder Reiter und jeder Drache spendet dem Kristall jeden Tag etwas Kraft. Auch die wilden Folgen dieser Tradition. Es gibt noch eine weitere Quelle aber es ist noch zu früh um dir diese mitzuteilen. Im Moment gibt dich mit dem zufrieden was ich gerade gesagt habe. Wie ich sehe haben eure Drachen bereits eine Unterkunft gefunden."
Mit einem verschmitzten Lächeln deutete Eragon nach oben. Tatsächlich schoben Anarie und Tailon ihre Köpfe aus zwei nebeneinanderliegenden Höhlen und blickten zu ihrem Reitern hinunter. Schließlich schnellten sie aus ihrer neuen Behausungen, entfaltet ihre Flügel und segelten in sanften Kreisen um den Stamm des diamantenen Baumes zu ihren Seelenpartnern hinunter. Die feinen kristallenen Zweige des magischen Kunstwerkes behinderten die beiden Drachen nicht. Sie waren so eng am Stamm gehalten, dass die beiden jungen Drachen genug Platz für ihre Flügel hatten. Einmal mehr bewunderte Cale die Größe der Festung als ihm bewusst wurde, dass selbst weit ältere Drachen in diesem Gebäude noch im Stande waren zu fliegen.
Mit mit flatternden Flügelschlägen setzten Anarie und Tailon schließlich neben ihrem Reitern auf dem glatten Marmorboden auf.
"Gut," sagte Eragon. "Ich denke ihr wollt zunächst einmal eure Unterkünfte inspizieren. Den Rest des Tages habt ihr frei um die Ostmark zu erkunden. Noch einmal sage ich euch: Willkommen in eurem neuen zuhause und wir sehen uns morgen beim Unterricht."

2172 Wörter

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt