27. Flugstunde (2/3)

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Cale unterdrückte mühsam ein schmerzerfülltes Aufstöhnen. Bereits zum vierten Mal hatte er sich mit der Nadel in den Finger gestochen. Glücklicherweise schloss er gerade die letzten Nähte an dem Sattel, den er für Tailon hergestellt hatte.
- "Ihr Zweibeiner seid schon manchmal niedlich." - kicherte Tailon der den Kopf neben seinem Reiter abgelegt hatte.
- "Was meinst Du damit?" - fauchte Cale zurück und betrachtete seinen malträtierten Zeigefinger.
- "Du stichst Dich nur andauernd, weil du die ganze Zeit Ismira bewunderst." -
- "Ich weiß gar nicht, wovon Du redest." - gab Cale eine Spur zu hastig zurück. Seine Äußerung entlockte Tailon ein weiteres heiseres Kichern.
- "Oh doch das weißt Du." -
Cale schwieg und hoffte, dass sein Drache das Thema nicht weiter verfolgen würde. Leider erwies sich diese Hoffnung als unbegründet.
- "Die Reiterin meiner Schwester gefällt dir, oder?" -
Cale zog eine weitere Naht zu bevor er antwortete: – "Seit wir wissen, das wir noch heute mit Euch fliegen werden, hat sie wieder diesen Glanz in den Augen. Ich weiß, dass das dumm ist von mir." -
- "Allerdings, Du tust Dir ständig weh." - gab Tailon trocken zurück.
- "Das meine ich nicht. Ich meine, sie ist eine Gräfin. Auch wenn sie diesen Titel aufgegeben hat, ihre Familie ist von Adel." -
- "Auf diesen Unsinn antworte ich Dir nicht. Das verstehe ich bei Euch Zweibeinern sowieso nicht. Warum müsst Ihr diese Unterschiede machen? Wenn wir Drachen zu einem Artgenossen aufblicken, dann weil dieser uns an Kraft oder Weisheit etwas voraus hat. Ihr stellt irgendein komisches Wort wie Graf oder Herzog vor Euren Namen und schon ist der eine mehr als der andere. Ich werde Dir jetzt etwas verraten Cale: Du hast keinen Grund Dich so kleinzumachen. Ihr beide habt vor Euren Namen nur noch das Wort Drachenreiter stehen. Und was kümmern Dich ihre Eltern? Wenn Du sie als Nistpartnerin haben willst und sie Dich auch mag, was hat das dann mit Euren Eltern zu tun?" -
Cale seufzte. Im Grunde hatte Tailon ja recht, doch er wusste auch genau, dass die Welt der Zweibeiner eben nicht so einfach gestrickt war.
- "Ich habe mich eben geirrt." - knurrte Tailon der Gedankengänge seines Reiters verfolgt hatte. - "Ihr Zweibeiner seid nicht niedlich, sondern einfach nur ein bisschen dumm." -
Diese Bemerkung seines jungen Drachens heiterten Cale beträchtlich auf und schnell beendete er nun seine Arbeit an seinem Sattel.
Stolz präsentierte er seine Arbeit daraufhin seinen Lehrern. Marek und Narie begannen sofort den Sattel zu untersuchen und auf Schwachstellen zu prüfen. Die Sicherheit ihrer Schüler hatte gerade bei der ersten Flugstunde hohe Priorität.
Während der junge Drachenreiter seine Lehrer beim Studium seines Erzeugnisses beobachtete hörte er hinter sich Ismira seufzen. Fragend blickte er die junge Frau an.
"Ich wünschte, ich wäre so gut mit der Nadel wie Du Cale. "Erklärte Ismira.
Tatsächlich erkannte Cale, dass seine Mitschülerin mindestens noch eine Viertelstunde Arbeit vor sich hatte. Noch einige Teilstücke ihres Sattels mussten sorgfältig vernäht werden.
"Ich bin der Sohn eines Buchbinders. Ich schätze der Umgang mit Nadel und Faden liegt mir im Blut. Auch wenn man für Bücher natürlich wesentlich feinere Fäden und Nadeln verwendet."
Ismira schnitt eine Grimasse als sie die noch vor Ihr liegende Arbeit sah.
"Ich hätte auf Anna hören und mehr Handarbeit betreiben sollten.", murmelte sie, schien dann aber eine Idee zu haben.
"Du würdest mir nicht helfen oder Cale?", fragte die junge Adelige und blinzelte ihre Mitschüler kokett an.
-"Du würdest nicht für mich von einer Klippe springen oder Cale?" - säuselte Tailon in die Gedanken seines Reiters und klimperte ebenfalls mit den Augenlidern.
Cale dankte allen ihm bekannten Göttern, dass Ismira offenbar weder das Augenklimpern seines Drachens gesehen, noch seine Worte gehört hatte.
Ohne auf Tailons Spott einzugehen, setzte sich der Buchbindersohn zu seiner Mitschülerin und begann sie, bei ihren letzten Handgriffen, zu unterstützen.

"Aha, wie ich sehe, hast Du Dir kompetente Hilfe gesichert Ismira-Finiarel."
Naries amüsiert klingende Stimme ließ die beiden Schüler schließlich von ihrer Arbeit aufblicken.
"Cale weiß wie man sich gegenüber einer Dame benimmt.", antwortete Ismira ihrer Lehrerin und obwohl Cale bemerkte, dass es in erster Linie ein Scherz war, freute ihn das Kompliment.
Dank der Hilfe ihres Mitschülers konnte Ismira nun auch ihren Sattel zur Begutachtung vorlegen. Wie schon Cales Handwerk fand auch dieser die Zustimmung der beiden Lehrmeister.
"Gut." entschied schließlich Marek. "Ich denke Ihr könnt Euren ersten Flug wagen. Sattelt jetzt bitte Eure Drachen, dann geben Narie und ich Euch einige letzte Anweisungen. An dieser Stelle weichen wir im übrigen etwas vom Vorbild unserer Lehrmeister Eragon und Arya ab. Weder meine Methode Laorie das erste Mal zu satteln noch Naries Bemühungen eignen sich zur Nachahmung. Eines Tages werden wir Euch vielleicht erzählen wie wir uns angestellt haben aber mit Sicherheit nicht solange wir von euch Respekt einfordern müssen, um Eure Ausbildung sicherzustellen. Die beste Methode und Euren Drachen zu satteln ist die folgende: zunächst bitte Ihr Euren Gefährten sich niederzulegen, damit Ihr die Sitzfläche des Sattels richtig auf seinem Rücken positionieren könnt. Achtet dabei darauf, dass die Halteriemen schon an den richtigen Positionen sind. Rechts und links an den Flanken und zwischen den Vorderbeinen. Wenn Ihr Euren Drachen dann bittet sich zu erheben fallen die Gurte fast wie von selbst in die richtige Position. Ihr müsst sie dann nur noch schließen und angemessen sichern. Denkt daran: Drachen sind nicht aus Porzellan. Zieht die Gurte also dementsprechend fest an. Als Faustregel hierzu könnt Ihr Euch merken: Wenn Euer Drache tief einatmet muss er einen leichten Zug an den Flanken spüren, der von den Haltegurten her rührt. Ansonsten sollte er den Sattel fast gar nicht spüren. Wenn das der Fall ist, sitzt Euer Handwerk richtig. Euch Tailon und Anarie gebe ich folgendes mit auf den Weg. Ich weiß, dass Ihr darauf brennt Euch mit Euren Partnern in den Himmel zu erheben aber viele junge Drachen sind so ungeduldig, dass sie entweder nicht richtig stillhalten oder vorschnell behaupten, dass der Sattel richtig sitzt. Zappeln bringt Euch Eurem ersten Flug kein bisschen näher. Im Gegenteil! Wenn Ihr nicht still steht, dauert es meiner Erfahrung nach wesentlich länger bis der Sattel richtig sitzt. Und ob er richtig sitzt werden wir überprüfen bevor Ihr mit Euren Reitern abhebt. Ich habe es schon erlebt, dass Jungdrachen steif und fest behauptet haben, dass der Sattel richtig sitzt, obwohl er eigentlich viel zu locker oder zu fest geschnürt war. Beides kann gefährlich für Drache und Reiter werden. Das werden wir nicht zulassen und Ihr untergrabt mit solchen frommen Lügen nur das Vertrauen, dass Eure Reiter in Euch haben. Habt Ihr alle verstanden?"
Wie die anderen Schüler beschädigte Cale dies und begann dann auf Weisung seines Lehrers hin Tailon den Sattel anzulegen.
Die Worte des Lehrers schienen in der Tat gefruchtet zu haben. Der rote Drache hielt überraschend still als der Buchbindersohn ihm die Sitzfläche auf den Rücken legte und eine dafür vorgesehene Schlaufe um eine der schwarzen Rückenzacken legte.
Eilig überprüfte Cale daraufhin, ob alle Gurte an der richtigen Stelle hingen sich nichts verdreht oder verheddert hatte.
"-In Ordnung, Tailon. Ich denke, Du kannst aufstehen." -
Mit einem Satz war der junge Drache auf den Beinen. Leider sorgte der stürmische Sprung dafür, dass der Sattel im hohen Bogen von seiner Position schnellte und als höchst unvorteilhafte Kopfbedeckung in den dunklen Hörnern des Roten landete.
Cales Kopf nahm fast die Farbe von Tailons Schuppen an, als Anarie und Ismira zu kichern begannen.
- "Hol das Ding von meinem Kopf bevor meine Schwester jede Achtung vor mir verliert." - forderte Tailon ungehalten.
- "Bin ich vielleicht aufgesprungen als hätte mich etwas in den Schwanz gebissen?" - giftete Cale zurück, dem die Angelegenheit mindestens genauso peinlich war wie seinem Drachen.
Eilig wiederholten die beiden die Prozedur des Sattelauflegens und diesmal erhob sich Tailon mit der gebotenen Vorsicht. Tatsächlich rutschten die Gurte nun in eine sehr vorteilhafte Position und Cale hatte keine große Mühe sie zu schließen.
- "Ich denke, dass das jetzt so richtig ist. Atme doch mal tief ein Tailon." -
Der Rote tat wie ihm geheißen und schnaubte anschließend zustimmend.
Als Cale daraufhin nach seinem Lehrer Marek rief, damit dieser den Sitz des Sattels überprüfen konnte, sah er, dass Ismira bereits auf dem Rücken ihrer Drachendame saß und die Haltegurte an ihren Beinen befestigte während die Elfe Narie Ihr letzte Anweisungen gab.
Die Überprüfung durch den Reiter der Drachendame Laorie dauerte jedoch nicht lange. Zufrieden stellte Marek fest, dass Cale spontan die richtige Spannung für den Sattelgurt gefunden hatte.
Der ältere Reiter erklärte Cale, wie er am besten den Rücken seines geschuppten Gefährten erreichen konnte. Bei einem Drachen von Tailons Alter ähnelte das aufsitzen noch sehr dem Aufstieg auf einem Pferderücken. Der rote Drache musste sich lediglich noch einmal niederlegen, damit seine Reiter es etwas leichter hatte.
"Gut Cale, achte auf folgendes:", erklärte Marek während sein Schüler bereits die Beinriemen festzog. "Bleibt mit Tailon immer im Geist verbunden. So erkennst Du welche Manöver er fliegen will und kannst auch Bitten äußern, wohin er fliegen soll. Habt Vertrauen in Deinen Drachen. Seine Eltern und Laorie haben ihn gut ausgebildet und er weiß, was er tut. Du Tailon fördere bitte das Vertrauen Deines Reiters, indem Du es nicht zu wild treibst. Denke immer daran: Menschen sind am Himmel nicht so heimisch wie Ihr Drachen. Es dauert eine Zeit, bis sich Cale wirklich daran gewöhnt hat. Mache es ihm leicht, indem Du die Manöver wirklich vorher angekündigst. Das ist auch für Eure spätere Zusammenarbeit wichtig. Ganz besonders, wenn er in eine Kampfsituation kommt, müsst Ihr Euch schnell und präzise über Euer Vorgehen austauschen können. Narie und ich haben hier in Emfielion noch etwas zu erledigen aber Hidalgo, Kira und Laorie werden Euch auf Eurem Flug begleiten. Sollte etwas geschehen wissen Sie was zu tun ist."
Nach diesen Ratschlägen trat Cales Lehrer einige Schritte zurück und tauschte einen Blick mit Narie aus. Die Elfe nickte, wünschte Ismira und Anarie viel Glück und trat dann ebenfalls einige Schritte von der violetten Drachendame zurück.
Cale war sich sicher, dass er weder das Chaos der Gefühle noch die überwältigende Empfindung, die sich in ihm ausbreitete, als er spürte wie sich Tailons Muskeln anspannten, je würde beschreiben können. Er wusste nur, dass er zum ersten Mal wirklich Begriff, dass er ein Drachenreiter war, als ein roter Gefährte mit einem Satz in die Luft schnellte und seine mächtigen Schwingen entfaltete.



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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt