*68. Die Pflicht ruft

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Nasuada stand gemeinsam mit Murtagh und ihrer Magd Farica in ihrem Konferenzzimmer in Ilirea. Orik, der König der Zwerge, hatte sie um eine Unterredung durch den magischen Spiegel gebeten.
Normalerweise freute sich die Königin immer auf Gespräche mit dem Monarchen des Beorgebirges. Orik hatte sich in den vergangenen Jahren immer wieder als treuer Verbündeter der Menschen erwiesen und seine direkte, natürliche Art erleichterte den Umgang mit ihm sehr. Keine Unterhaltung, die Nasuada in ihrer Funktion als Königin führte, kam einem ungezwungenen Gespräch so nah wie eine Unterredung mit Orik.
Trotz der herzlichen Art des Zwerges ließe sich Farica nicht nehmen jeden noch so kleinen Makel aus dem Erscheinungsbild ihrer Herrin zu tilgen. Sie hatte die Frisur der Königin überprüft und befreite nun ihr Kleid von jedem noch so kleinen Staubkorn.
"Ich denke es reicht jetzt Farica." sagte Murtagh denn das Verhalten der Magd zum schmunzeln brachte. "Wenn ihr so weiter macht wird der König der Zwerge noch vom strahlenden Bild meiner Gattin geblendet werden. Außerdem wird er wohl eher ein Staubkorn auf ihrem Kleid verzeihen als eine Überbeanspruchung seiner Geduld."
"Ich denke mein Gatte hat recht Farica." bekräftigte Nasuada. "Normalerweise kündigte der Botschafter der Zwerge eine anstehende Unterredung mit seinem König vorher an. Wenn Orik sich so direkt an mich wendet muss es sich um eine wichtige Angelegenheit handeln und ich möchte ihn nicht warten lassen. Du bist sicher das der Botschafter uns keine Benachrichtigung über diese Unterhaltung zukommen hat lassen?"
"Völlig sicher meine Königin." Versicherte die Magd und stellte ihre Reinigungsbemühungen ein. "Noch bevor ich euch aufgesucht habe bin ich noch einmal die Unterlagen durchgegangen. Dieses Gespräch wurde uns im Vorfeld nicht gemeldet."
"Es hätte mich auch gewundert wenn es anders gewesen wäre." sagte Nasuada und schenkte ihrer Magd ein anerkennendes Lächeln. "Ich weiß ja um deine Gründlichkeit."
Dankbarkeit und ehrliche Freude ob des Kompliments standen der Magd ins Gesicht geschrieben als sie einen Knicks vollführte und sich anschließend entfernte.
"Du bist sicher, dass du das Gespräch nicht mit mir gemeinsam führen willst?" erkundigte sich die Königin von Ilirea bei Murtagh als sie vor dem verhüllten Spiegel, über den sie mit Orik kommunizieren würde, Platz nahm. Das Tuch welches die schillernde Oberfläche des Spiegels bedeckte war mit speziellen Zaubern belegt, so dass derjenige, der auf der anderen Seite der schillernden Oberfläche ein Gespräch begehrte nicht hören oder sehen konnte was in Nasuadas Umgebung gesprochen wurde. Dies ermöglichte die Unterhaltung kurz zu unterbrechen um sich mit Beratern oder Dienern abzusprechen ohne dass jedes, möglicherweise unbedacht gewählte Wort, in die Welt hinausgetragen wurde.
Murtagh schüttelte den Kopf.
"Ich weiß, dass sich mein Verhältnis zu den Zwergen sehr gebessert hat in den letzten 12 Jahren aber ich denke, die Unterhaltung wird für dich um einiges angenehmer verlaufen, wenn ich nicht direkt daran teilnehme."
So ungern es Nasuada eingestand, damit hatte ihr Mann vermutlich recht. Zwar setzte sich bei den Zwergen wirklich mehr und mehr die Einsicht durch, dass Galbatorix den Tod ihres Königs verschuldet hatte, dennoch blieb ihr Verhältnis zu Murtagh angespannt.
Der dunkelhaarige Mann platzierte sich also hinter dem Spiegel, so das Orik ihn zwar nicht würde sehen können aber er jedes Wort welches gesprochen wurde mithören konnte.
Nasuada atmete noch einmal tief durch und entfernte dann das Tuch vom Spiegel. Sogleich sah sie sich dem Zwergenkönig gegenüber. Offenbar saß Orik auf seinem Thron in der großen Halle unter den Fundamenten von Tronjheim.
"Ach!" rief der Zwerge freudig aus. "Nasuada, endlich. Ich grüße dich."
"So wie ich dich alter Freund. Wie geht es seiner Gattin? Es müsste doch bald an der Zeit sein für ihre Niederkunft!"
Orik lachte freudig auf.
"Es war bereits gestern soweit. Helzvog hat für uns eine Tochter aus dem Stein des Lebens gehauen. Das dritte Kind, was mir meine Delva (Kosewort der Zwerge) schenkt und endlich auch ein Mädchen."
"Meine aller herzlichsten Glückwünsche lieber Orik. Ich werde mir überlegen welches Ehrengeschenk ich dir zukommen lassen kann und vielleicht ergibt sich bald die Gelegenheit die stolze Mutter und den Nachwuchs bei einem Staatsbesuch zu bewundern."
Immer noch lächelte Orik doch etwas bitteres lag nun in seinen Gesichtszügen.
"Im Moment wäre es nicht ratsam wenn du in den Süden reisen würdest Nasuada. Das ist nämlich auch der eigentliche Grund weswegen ich mich bei dir melde. Es gibt ein Problem."
Auch Nasuada wurde sogleich wieder ernst.
"Um was geht es alter Freund?"
"Eine unser Handelskarawanen ist auf dem Weg nach Norden angegriffen worden. Sie befand sich am nördlichen Rand des Silberwaldes. Einer der mitreisenden Magier konnte uns gerade noch eine Warnung schicken aber die Anstrengung des Zaubers hat ihn getötet. Er hat uns gemeldet, dass es sich bei den Angreifern um Letherblaka und ihre verdammte Brut handelt."
Nasuada lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schloss die Augen. Die Worte des Zwergenkönigs krochen wie Eis durch ihre Knochen. Ein weiterer Überfall der Ra zac. Seit der Niederlage von Shruikan war es immer wieder zu Übergriffen der finsteren Wesen gekommen. Zwar hatten die Drachenreitern um Eragon die Letherblaka und die Priester des Helgrinds erfolgreich aus der alten Heimat der Reiter, Vroengard, vertreiben können, doch das hatte das Problem nicht gelöst. Wie die Scherben eines zerbrochenen Gefäßes hatten sich die Flugrösser und die Halbwahnsinnigen die diese Scheusale für Götter hielten über das ganze Land verteilt. Die Letherblaka und ihre Larven lebten irgendwo in der Wildnis und wurden von den Anhängern des Helgrinds heimlich mit dem notwendigsten versorgt. Die Priester hatten sich unter das normale Volk gemischt. Männer mit Narben und fehlenden Gliedmaßen hatte es nach dem Krieg mehr als reichlich in Alagaesia gegeben. Daher war die dunkle Bruderschaft nicht weiter aufgefallen. Meist waren sie verantwortlich wenn irgendwo in den Straßen Menschen verschwanden und nie wieder gesehen wurden. Entführung und Mord! So versorgten die Jünger ihre Götter.
Gelegentlich vereinten sich jedoch Letherblaka und ihre Brut und gingen auf die Jagd nach größeren Zielen. Handelskarawanen waren dabei sehr beliebt.
"Wenn diese Madenbrut es wagt offen Karawanen anzugreifen kann das nur eins bedeuten. "murmelte die Königin.
Auf der anderen Seite des Spiegels nickte Orik zustimmend.
"Wir denken dasselbe Nasuada. Sie brüten und brauchen mehr Futter. Barzûl! Als bräuchte die Welt noch mehr von dieser Plage! Wie dem auch sei. Wir müssen etwas unternehmen. Da sich die Karawane in deinem Reich befunden hat fällt es in deine Zuständigkeit. Es ist meine Aufgabe als König der Knurlan dich zu bitten zu handeln. Wie ich höre befinden sich auch zurzeit Drachenreiter im Reich. Sie werden dich sicher unterstützen."
"Davon bin ich überzeugt." Nasuada bemühte sich ihrer Stimme einen entschlossenen Klang zu geben. "Ich werde ein Bataillon meiner Nachtfalken aussenden damit sie sich mit dieser Plage befassen. Unter den Männern werden auch Zwerge sein. So erhält auch dein Volk die Gelegenheit zur Vergeltung Grimstnzborith Orik."
"Sehr gut." erklärte der Monarch der Zwerge. "Sagt den ausziehenden Kriegern, die Gedanken des Herrschers der Knurlan sind bei ihnen. Möge Morgothal, der Gott des Feuers, den Stahl ihrer Schwerter härten und Gûntera ihren Marsch segnen."
Mit diesen Worten verschwand Oriks Abbild von der glänzenden Oberfläche des Spiegels. Nasuada massierte sich müde den Nasenrücken. Wieder einmal musste sie junge Männer in den Kampf schicken gegen einen Feind, der kaum tödlicher sein konnte. Neue Kraft schien der Königin zu zufließen als Murtagh hinter sie trat und die Arme um sie legte.
"Ich denke es ist das Beste, wenn Joto und Ishaha die Soldaten begleiten. Sollte es weitere Überfälle geben kannst Du Dorn und mich ausschicken. Als der ältere Drache ist Dorn schneller wenn es darum geht lange Strecken zurückzulegen."
Mit einem stummen Nicken stimmte Nasuada ihrem Gatten zu. Das schien in der Tat die beste Möglichkeit zu sein. Sie griff nach einer kleinen Glocke die neben ihr auf einem Tischchen stand und läutete nach Farica. Sie würde ihre Magd bitten Jörmundur zu rufen. Es mussten Pläne geschmiedet werden.




Ärgerlich fluchend startet Tjurin auf seine mit schwarzer Schuhcreme besudelten Hände. Einmal mehr verfluchte er Maron und seine Dickköpfigkeit. Bisher war sein ehemaliger Stubenkamerad der einzige an diesem verfluchten Ort gewesen, der zu wissen schien was sich gehörte. Er hat Tjurin bisher so niedere Arbeiten abgenommen. Zwar war der Sohn des Herzogs inzwischen vom Kadetten zum vollwertigen Soldaten aufgestiegen und hatte sein eigenes Quartier aber einen Burschen hatte man ihm immer noch nicht zugeteilt.
Maron hatte sich von Tjurin distanziert seit den Vorfällen in Bullridge. Er hatte dem jungen Adligen unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er den Verdacht hätte, dass Tjurin etwas mit den Todesfällen dort zu tun hatte. Der einzige Grund warum Maron ihn nicht einem Vorgesetzten meldete war die Tatsache, dass auch er etwas illegales in Bullridge getan hatte. Er hatte Tjurin Einblick in seine Posttasche gewährt. Daher konnte der Sohn von Herzog Aurast sich sicher sein, dass sein ehemaliger "Freund" ihn nicht verraten würde. Damit endeten aber auch schon die erfreulichen Nachrichten. Tjurin war nun gezwungen Reinigungs-und Ausbesserungsarbeiten an seine Ausrüstung selbst durchzuführen und auch sein Quartier mit eigenen Händen sauber zuhalten.
Quartier! Ein hoch tragendes Wort für eine armselige Kammer mit einem Bett, einem Waschtisch und einem Kleiderschrank. Das einzig positive war, dass Tjurin nun einen Ort besaß an den er sich ungestört mit seinen Eroberungen zurückziehen konnte. Inzwischen hatte er regelmäßigen Verkehr mit einigen jungen Damen der Dienerschaft. Er konnte es sich nun leisten sich mit mehreren der jungen Dinger gleichzeitig die Zeit zu vertreiben. Es war nur noch eine Frage der Organisation. Die Gefahr, dass seine Geliebten erfuhren, dass sie nicht die einzigen Damen in seinem Leben waren stufte Tjurin als recht gering ein. Er hatte jeder seiner Eroberungen eingeschärft, mit niemandem über ihre "Liebe" zu sprechen. Sein "grausamer" Vater würde sonst sehr zornig werden. Ob Aurast wirklich genug Anstand hatte um seinem Sohn zu zürnen weil er sich mit Frauen aus dem Pöbel einließ bezweifelte der junge Adelige allerdings.
Was war nur los mit der Welt? Verstand niemand mehr die einfachen Regeln der Gesellschaft. Eine der Dienerinnen, mit den Tjurin zu verkehren pflegte, kam sogar aus einer wohlhabenden Familie. Ihre Eltern hatten sie für ein Jahr in den Dienst geschickt, damit sie die einfachen Bürger schätzen lernte. Was gab es da bitte zu schätzen? Im Grunde war der Pöbel doch eine verkrüppelte Unterart von Menschen. Keine Bildung! Manche konnten nicht mal lesen und schreiben! Es war doch quasi ein Akt der Gnade, von seiten des Adels, dass man ihnen produktiver Rollen in der Gesellschaft zuwies. Die gewöhnlichen sollten dem Adel danken und nicht umgekehrt! Doch das schien niemand zu begreifen. Tjurin war zwar inzwischen Soldat aber er war ein einfacher Infanterist. Er, der Sohn eines Herzogs war ein einfacher Fußsoldat während man aus Maron einen berittenen Boten gemacht hatte! Ein klarer Schlag ins Gesicht.
Zu allem Überfluss bestand Trianna darauf, noch einige Wochen zu warten, bis sie mit der Bitte an die Königin herantreten wollte, ihre Experimente zur Geisterbeschwörung wieder aufnehmen zu dürfen.
Tjurin war es leid das ihm bekannte Wissen wieder und wieder durchzugehen. Er dürstete nach neuem Wissen nach neuer Macht.
Während Tjurin noch diesen düsteren Gedanken nachhing wurde die Tür zu seinem Quartier energisch aufgestoßen. Der Offizier und Stallmeister Burkott stand im Türrahmen. Der Zwerg funkelte den von ihm wenig geschätzten Soldaten ungnädig an.
"So Junge! Jetzt kannst Du zeigen aus welchem Stein Du wirklich gehauen bist. Pack dein Marschgepäck und melde dich auf dem Hof. Wir rücken aus."
"Wir rücken aus? Tjurin war sofort auf den Beinen. "Gegen wen? Und wohin?"
"Eine Handelskarawane im Süden ist von Letherblaka und Ra zac angegriffen worden. Wir sollen dieser Madenbrut eine Lektion erteilen. Wir rücken gemeinsam mit dem Drachenreiter Ishaha gegen sie aus und werden sie niedermachen wenn wir sie finden. Und denk nicht mal dran dir dein Pferd aus dem Stall holen zu wollen. Du bist Fußsoldat! Wir Nachtfalken sind alle gleich und es wäre ein denkbar schlechtes Beispiel wenn ein Fußsoldat reitet während die anderen marschieren."
Mit diesen Worten schloss der Zwerg die Tür und man hörte ihn im Flur davon stapfen. Tjurins Kopf war wie leergefegt. Er ärgerte sich nicht einmal darüber, dass man ihm sein eigenes Pferd vorenthalten wollte. Es sollte in den Kampf gehen? Gegen die Letherblaka und ihre Brut? Wie konnte man denn bitte so etwas von ihm verlangen?!

1973 Wörter

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt