36. Schwierige Familienverhältnisse

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Eine drückende Stille hatte sich in Eragons Quartier ausgebreitet. Der Elfenfürst Däthedr war auf seinem Stuhl zusammengesunken. Von der Würde und Kraft, die er bis vor kurzem noch ausgestrahlt hatte, war nicht viel geblieben.
Nach einigen Minuten des Schweigens jedoch strafte sich seine Erscheinung wieder und er fragte mit müder Stimme: "Die Wahrheit ist nun bekannt. Darf ich fragen Schattentöter was Ihr nun gedenkt mit dieser Information anzufangen?"
"Ihr fragt den falschen, Fürst.", erwiderte Eragon im selben ruhigen und sachlichen Tonfall den er während des ganzen Gesprächs angeschlagen hatte. "Ich habe Euch mein Wort im Namen der Reiter gegeben, dass wir dies vertraulich behandeln werden. Dieses Wort gilt weiterhin. Die einzigen, die entscheiden können wie mit dieser Information zu verfahren ist seit Ihr und natürlich Cale. Ihn betrifft die Sache im gleichen Maß."
Unwillkürlich rückte der junge Drachenreiter ins Zentrum der Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Eine Rolle in der sich der junge Mann sich ganz offensichtlich nicht wohlfühlte. Eragon konnte dies mehr als verstehen. Nur zu gut erinnerte er sich an seine erste Ankunft in Tronjheim. Praktisch ein ganzes Volk hatte ihn mit seinen Blicken durchbohrt. Er war sich unendlich klein vorgekommen. Zwar hielt sich der junge Anführer der Reiter nun nicht für bedeutender oder größer als er es in jenen Tagen gewesen war, doch er war in seiner Aufgabe hineingewachsen und fühlte sich nicht mehr ganz so unzulänglich.
"Ihr sagt, dass es Euch großen Schaden zufügen würde, wenn unsere Verwandtschaft bekannt wird Däthedr-Elda, habe ich das richtig verstanden?" erkundigte sich Cale schließlich.
Der Elfenfürst nickte einfach nur. Eragon versuchte zu ergründen was gegenwärtig in Fürst Däthedr vorging. Wut schien nicht mehr das Gefühl zu sein welches ihn beherrschte. Auch entging es Saphiras Reiter keineswegs, dass der Elf seinen entfernten Verwandten mit einem Gesichtsausdruck anblickte, den man durchaus als neugierig bezeichnen konnte. Suchte Däthedr etwa nach äußerlichen Ähnlichkeiten mit seinem lange verstorbenen Bruder?
- "Du erwartest hoffentlich nicht, dass der Fürst Cale einfach so akzeptieren wird oder Kleiner?" -
-" Natürlich nicht." - antwortete Eragon auf die Frage seiner Drachendame. - "Aber ich finde es bemerkenswert, dass Ablehnung offenbar nicht zu den Gefühlen zählt, die Däthedr zurzeit bewegen. Sie ihn Dir durch meine Augen an meine Schöne: Was siehst Du?" -
- "Einen Zweibeiner mit spitzen Ohren." - erwiderte Saphira trocken. - "Du weißt, dass Ihr für mich alle gleich ausseht. Was siehst Du?" -
- "Nicht mehr denselben Mann wie noch vor wenigen Minuten." - murmelte der Anführer des Ordens. - "Ob das was wir jetzt haben besser oder schlechter ist als der Mann, dem wir uns vorher gegenüber sahen, wird sich noch zeigen. Ich bin aber der Meinung, dass es gar nicht nötig ist, die Information über die Verwandtschaft der beiden zu veröffentlichen. Verändert haben wir bereits etwas."
Bevor Saphira antworten konnte dies Cale sich wieder vernehmen: "Da es Euer Wunsch ist, dass diese Angelegenheit geheim bleibt werde ich das respektieren. Ich dränge mich niemandem auf."
"Das würdest Du tun?"
Fürst Däthedr schien ehrlich überrascht. Es entging Eragon nicht, dass er gegenüber Cale bereits einen vertraulicheren Ton anschlug. Ganz offensichtlich war bei dem Elfenfürsten ein gewisser Wandel im Gange. In welche Richtung sich dieser letztendlich entwickeln würde ließ sich noch nicht sagen.
Cales Antwort auf die Frage des Fürsten war ein schlichtes: "Ja."
"Warum?" erkundigte sich Däthedr. "Ich habe Dich beleidigt und versucht Dir alles vorzuenthalten, was Dir zusteht, als Nachkomme meines Bruders. Dir ist auch bekannt, dass ich politische Ansichten vertrete die der Orden der Reiter ablehnend. Du könntest mich zerstören. Ein Wort von Dir würde genügen und alle meine Freunde und Bekannten würden leugne mich auch nur zu kennen."
"Das mag alles so sein." gab Cale zurück. "Beleidigt habt Ihr mich sicher. Aber wenn ich Euch so zerstören würde, wie Ihr es befürchtet, dann wäre ich doch wohl genau die Bedrohung, vor der Ihr Euch so sehr fürchtet. Dann wäre ich ein zerstörerischer Einfluss auf das Volk der Elfen. Ich habe Meisterin Narie nicht darum gebeten Nachforschungen über meine Herkunft anzustellen, weil ich mir davon Titel oder Einfluss verspreche. Tailon hat mich aus seinem Ei heraus erwählt und damit steht der einzige Titel, den ich fühlen werde sowieso fest. Es hätte mich einfach interessiert etwas über meine Herkunft und meine Vorfahren zu lernen. Ich wollte niemals jemandem Schaden. Nur eins will ich Euch sagen Onkel oder Urgroßonkel oder wie auch immer man unsere Verwandtschaft bezeichnen will: Wenn Deine Freunde und Bekannten so leicht zu verscheuchen sind, dann kann ich Dich wirklich nur bedauern. Was ist das eigentlich für eine wundervolle Welt, die Du da so entschlossen verteidigst? Eine Welt, in der es nichts zu bedeuten hat, wer man ist, sondern nur was man ist? Vielleicht will ich auch deshalb gar nicht das öffentlich bekannt wird, dass wir zu selben Familie gehören. In so einer bedrückenden, engen Welt will ich gar nicht leben. Ich überlasse es also Euch, zu entscheiden, was wir mit dieser Information anfangen. Von mir wird niemand etwas erfahren."
Einige Sekunden lang blickten Cale und Fürst Däthedr sich einfach nur an. Dann wanderte der Blick des Elfen ins Leere.
"Ich brauche Zeit und über all das nachzudenken.", flüsterte der Elfenfürst schließlich. "Ich weiß nicht, wie ich zu all dem stehen soll. Ich... brauche einfach Zeit."
"Ich denke, die brauche ich auch.", gestand Cale ein. "Wenn Ihr, Meister Eragon oder meine anderen Lehrer nichts dagegen haben würde ich gerne etwas mit Tailon fliegen. Ich denke, das würde mir jetzt helfen."
Eragon lächelte. Zeit mit seinem Drachen in den Lüften zu verbringen war wohl für jeden Reiter eine ideale Möglichkeit seine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Daher erhielt Cale selbstverständlich die Erlaubnis.
"Dürfen Anarie und ich Dich begleiten?" erkundigte sich Ismira als Cale sich bereits zum Gehen wandte. Eragon fragte sich, ob er einen besonderen Glanz in den Augen seiner Nichte bemerkte. In jedem Fall schien sie sich sehr um ihren Mitschüler zu sorgen und sich ehrlich zu freuen als dieser bekundete nichts gegen ihre Gesellschaft zu haben.
Ismira übergab ihre Cousine Marlena in die Arme ihrer Mutter und die beiden jungen Drachenreiter verließen das Quartier und gingen zu ihren, vor der Einflugöffnung wartenden, Seelenpartnern.
Auch Fürst Däthedr machte Anstalten den Raum zu verlassen doch Arya hielt ihn noch einen Moment auf.
"Was ich mit Euch noch besprechen wollte Arya Shurtugal hat sich erledigt." wehrte der Elf ab." Es würde keinen Sinn mehr machen mein Anliegen vorzutragen außerdem habe ich wohl gar nicht mehr das Recht dazu."
"Vielleicht bestand sogar nie eine Notwendigkeit.", entgegnete Arya in einem neutralen Tonfall.
"Vielleicht.", erwiderte Däthedr so leise, dass selbst ein leichter Windhauch genügt hätte, um seine Worte zu übertönen.
"Trotzdem gibt es noch einen Punkt der geklärt werden muss Däthedr-Elda. ", fuhr Arya fort. "Wie Ihr wisst, ist ein Unbekannter in das Quartier unseres Schülers Cale eingedrungen und hat dort einigen Schaden angerichtet. Wir werden in Zukunft mit einigen Schutzwälle dafür sorgen, dass unsere Schüler nicht mehr so belästigt werden können. Wir werden diese Zauber in etwa zwei Stunden über den betreffenden Räumlichkeiten sprechen. Sollte sich Cales Quartier dann immer noch in einem desolaten Zustand befinden müssten wir Fürstin Neferta eine Meldung machen und um die Reparatur der Räumlichkeiten bitten. Das würde allerdings viele Fragen aufwerfen. Vermeiden ließe sich das, nur wenn das Quartier bereits wieder in einen bewohnbaren Zustand wäre so bald wie beginnen die Schutzzauber zu wirken."
"Ich begreife, was Ihr mir sagen wollt Argetlam.", erwiderte Däthedr und um seine Mundwinkel zuckte sogar der Anflug eines Lächelns. "Ich wünsche Euch eine gute Reise nach Ellesméra. Ich bezweifle, dass wir uns vor Eurem Abflug noch einmal begegnen werden."
Mit diesen Worten verließ der Elfenfürst endgültig das Zimmer.
Unter den zurückbleibenden Drachenreitern entspannte sich merklich die Situation.
"Da haben wir wirklich Glück gehabt." stellte Narie fest. "Cale hat die Sache wohl besser verkraftet als es ihm zugetraut hätten. Wir haben ihn wohl wirklich etwas unterschätzt. Das Ganze hätte wesentlich schlimmer ausgehen können."
Arya und Eragon pflichteten der jüngeren Elfe bei. Allein Ihr Gefährte Marek wirkte etwas unzufrieden.
"Es hätte aber auch besser für uns laufen können.", brummte er schließlich.
"Was meinst Du damit Marek?" erkundigte sich Eragon bei seinem ehemaligen Schüler.
"Nun, Däthedr ist wie ich finde zu billig davongekommen." Erläuterte der Bergnomade seinen Standpunkt. "Wir sind jetzt zur Geheimhaltung verpflichtet und er kann weiter seine Hassreden halten. Wir hätten dieser ganzen politischen Bewegung einen schweren Schlag versetzen können."
- "Vielleicht habt ihr das." - Laories sanfte Stimme hallte durch die Gedanken aller Reiter. - "Manchmal erzielt man eine größere Wirkung, wenn man etwas nicht tut. Wenn Ihr Däthedr bloßgestellt hätte, dann wäre seine politische Bewegung vielleicht vorübergehend in Chaos versunken aber was wäre auf die Dauer geschehen? Letztlich hätten sich doch all die, die sich vor fremden Einflüssen fürchten, in ihrer Meinung bestätigt gesehen. Einer aus ihren Reihen wurde vernichtet, weil sich fremdes Blut in seine Familie geschlichen hat. Ein Umstand, der auch Fürst Däthedr nicht entgangen sein dürfte." -
Die gelbe Drachendame erntete von allen Seiten Zustimmung für ihre Worte. Marek kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.
"So betrachtet war Cales Entscheidung vielleicht wesentlich weiser als es ihm bewusst war.", murmelte der Bergnomade schließlich.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt