8. In den Gärten von Gil'ead

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Cale schlenderte mit seinem kleinen Drachen Tailon an der Seite durch den Garten der Stadtfestung von Gil'ead. An dem kunstvoll angelegten Garten merkte man eindeutig, dass Herzog Aurast tatsächlich bemüht war der Stadt ein neues Gesicht zu geben. Mit weißem Split gestreute Wege führte zwischen kunstvoll angelegten Beeten hindurch in denen die schönsten Blumen in voller Blüte standen. Auch Zierteiche und Springbrunnen verliehen dem Ort eine herrliche Lebendigkeit.
Bisher hatte es für den jungen Drachenreiter nicht viel zu tun gegeben. Ein Umstand, an dem er nicht gewöhnt war. Sowohl bei seinem Onkel als auch in der Buchbinderei seines Vaters hatte es immer schon seit dem frühen Morgen etwas zu tun gegeben. Die elfische Lehrmeisterin Narie hatte den beiden Reitern nur zur Aufgabe gemacht möglichst viel Zeit mit Ihrem Schützling zu verbringen. Drache und Reiter sollten ein möglichst inniges Verhältnis entwickeln.
Cale hatte nicht das geringste dagegen einzuwenden, Zeit mit Tailon zu verbringen. Im Gegenteil. Jeder Tag mit seinem kleinen Gefährten brachte etwas Neues. In den zwei Wochen, die seit der Drachenreiterprüfung vergangen waren, hatte der junge Rote sich bereits beeindruckend entwickelt. Seine Schultern reichten Cale bereits fast bis ans Knie und er hatte auch einige Worte sprechen gelernt. Zwar beschränkte sich sein Wortschatz auf "Ja", "Nein" sowie einige Begriffe wie "Hunger" oder "Müde" aber er konnte sich bereits gut mit seinem Reiter verständigen und es kam nur noch selten zu Missverständnissen.
Tailon legte eine große Neugier und einen mindestens so ausgeprägt Unternehmungsgeist an den Tag. Das Wort "Vorsicht" oder gar "Zurückhaltung" schien für ihn überhaupt nicht zu existieren.
Tailons Schwester Anarie war eine etwas ruhigerer Charakter. Ihre ausgeglichene Art bildete ein gutes Gegengewicht zu dem Wirbelsturm, den sie sich als Reiterin ausgesucht hatte.
Bei diesem Gedanken musste Cale schmunzeln. Dieses Urteil über das junge Drachen-Reitergespann stammte nicht von ihm. Ismiras Magd Anna hatte sich so geäußert kurz bevor sie die Rückreise zum Palancartal angetreten hatte.
Die Gedanken des jungen Drachenreiters schweiften zu seiner eigenen Familie. Der Bote, der die Nachricht von seiner Berufung zum Reiter überbracht hatte, war mit einem Brief seiner Mutter und seines Großvaters zurückgekehrt. Beide hatten ihm stolz gratuliert und ihm alle guten Wünsche mit auf den Weg gegeben. Auch sein Onkel hatte ihn grüßen lassen. Als einfacher Bauer hatte er nie schreiben gelernt, daher war Cale nicht böse, dass er keinen Brief beigefügt hatte.
Plötzlich erregten die Gedanken die Tailon ausstrahlte die Aufmerksamkeit seines Reiters. Der kleine Drache stand auf dem gemauerten Rand eines Zierteichs und äugte ins Wasser. Er beobachtete die exotischen bunten Fische, welche knapp unter der Wasseroberfläche Ihre Bahnen zogen. Gierig leckte der kleine Drache sich die Lippen. Deutlich spürte Cale wachsenden Appetit und aufkommendes Jagdfieber.
Eilig schickte er einen mahnenden Gedanken an seinen Gefährten. Cale wusste, dass die Fische in den Zierteichen seltene Exemplare waren, die an der surdanischen Südküste eigens für wohlhabende Familien als Statussymbole gezüchtet wurden. Sie waren selten und teuer. Herzog Aurast würde mit Sicherheit nicht gut darauf reagieren, wenn sie im Bauch eines hungrigen jungen Drachens landen würden.
Die Gedanken, die Cale von Tailon als Reaktion auf sein Verbot hin auffing, drückten das pure Unverständnis aus. Offensichtlich konnte der kleine Rote nicht begreifen, warum sich jemand hübsche bunte Fische in so einem praktischen Becken hielt, wo man sie jederzeit fangen konnte, doch nicht vorhatte sie zu fressen. Um seinen Begleiter zu versöhnen, bot Cale Tailon einen Streifen Trockenfleisch an. Der junge Drache schien nicht sicher zu sein, ob er damit einen guten Tausch machte, doch legte es nicht auf Streit mit seinem Reiter an.
Als die Beiden ein Stück weitergingen entdeckten sie Ismira und Anarie. Die junge Frau saß gemeinsam mit Ihrem Drachenmädchen auf dem Rand eines Springbrunnens und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Anarie lag der länge nach ausgestreckt auf dem, von der Sonne angewärmten, Rand des Sammelbeckens und ließ sich genüsslich Kraulen. Cale fragte sich, ob seine Mitschülerin vielleicht Kummer hatte. Die sonst so lebenslustige junge Adelige war in den letzten Tagen ruhiger geworden. Der junge Drachenreiter versuchte zu entscheiden, ob er sich zu ihr setzen und seine Hilfe anbieten sollte oder ob es besser war sich zurückzuhalten. Immer noch hat er sich nicht daran gewöhnt, jetzt auf demselben gesellschaftlichen Stand zu sein wie Ismira. Für ihn war sie immer noch eine Gräfin.
Noch während Cale versuchte sich zu entscheiden brachte Tailon die Dinge für ihn ins Rollen. Der rote Drache sprintete los, sprang über die Begrenzungsmauer des Springbrunnens und landete mit einem gewaltigen Bauchklatscher im kühlen Nass. Dabei spritzte er sowohl seine Schwester als auch deren Reiterin gründlich nass.
Während Anarie ihren Bruder entsetzt anfauchte, musste Ismira glücklicherweise lachen. Ihr Lachen trieb Cale eine angenehme Gänsehaut über den Rücken. Da er nun sowieso keine Wahl mehr hatte, setzte er sich zu Ismira. Gemeinsam beobachteten sie wie Tailon fröhlich durch das Sammelbecken des Springbrunnens paddelte während seine Schwester ihn vom Rand her nach Leibeskräften ausschimpfte. Ihr wütendes Fauchen und Fiepen ließ ihren Bruder allerdings völlig kalt. Er schwamm glücklich weiter.
Zunächst war Anarie bemüht Tailon vom Rand des Springbrunnens aus zu erwischen, um sich für die unfreiwillige Dusche zu rächen. Der junge Rote sah darin ein hübsches Spiel. Immer wieder schwamm er nahe genug an den Rand, dass seine Schwester in fast erwischen konnte und zog sich jeweils im letzten Moment zurück. Einige Minuten trieben die beiden Geschwister dieses Spiel miteinander, dann reichte es Anarie offenbar. Auch sie sprang ins Wasser. Nach Leibeskräften begannen die beiden Jungdrachen sich gegenseitig mit den Flügeln zu bespritzen, sodass ihre Reiter etwas auf Abstand zu dem Brunnen gehen mussten. Sorgen mussten sich weder Ismira noch Cale um ihre Schützlinge machen. Die beiden Jungdrachen hatten schon längst unter Beweis gestellt, dass sie schwimmen konnten und der Springbrunnen war so flach, dass die beiden nur ihre Beine ausstrecken mussten, um auf den Grund zu kommen.
Als sie sich etwas entfernt hatten, wagte Cale einen Vorstoß.
"Ich möchte Dir nicht zu nahe treten Ismira aber bekümmert sich etwas? Du bist in den letzten Tagen so still geworden?"
Ismira seufzte bevor sie antwortete: "Ich muss einfach an meine Familie denken. Ich vermisse sie. Meine Mutter, mein Vater und sogar meine beiden kleinen Brüder. Das will schon etwas heißen. Ich liebe die beiden aber manchmal..."
"Das kann ich verstehen.", versicherte Cale.
"Geht es Dir genauso?"
Der junge Drachenreiter dachte einen Augenblick über die Frage nach. Schließlich meinte er: "Ich denke schon. Meine Mutter und mein Großvater vermisse ich auf alle Fälle. Ja, und sogar meinen Onkel! Ich glaube, ich vermisse sogar seinen Rübenacker! Vor allem aber vermisse ich es eine Aufgabe zu haben. Wenn ich jetzt zu Hause wäre, wüsste ich genau was ich zu tun habe und wie es weitergeht. Hier liegt die Zukunft irgendwie im Dunkeln."
"Ich weiß, was Du meinst." bestätigte Ismira. "Ich wünschte Meisterin Narie würde in irgendeiner Form mit dem Unterricht beginnen. Im Moment habe ich, glaube ich, einfach zu viel Zeit nachzudenken."
"Nun, wenn das Euer Wunsch ist."
Cale und Ismira sahen sich nach der Quelle der Stimme um. Ihre elfische Lehrmeisterin trat hinter einer Buschgruppe hervor. Schnell verneigten sich die beiden Schüler und grüßen die Elfe nach der Art ihres Volkes.
"Ich habe Euch beide gesucht." fuhr die Drachenreiterin schließlich fort, nachdem die Formalitäten ausgetauscht waren. "Wo sind Eure Drachen?"
Gleichzeitig wiesen Cale und Ismira auf den Springbrunnen. Dort tobt immer noch eine wilde Schlacht, die dazu geführt hatte, dass sich nun mehr Wasser außerhalb des Sammelbeckens befand als im Innern desselben.
Nun musste auch die Elfe Narie lachen und schüttelte gültig den Kopf.
"Eure beiden jungen Sculblaka halten sich wohl für Nidwahle was? Bitte überzeugt sie doch aufs trockene Land zurückzukehren. Ich habe Euch etwas mitzuteilen."
Auf den gedanklichen Ruf ihrer Reiter hin beendet Anarie und Tailon Ihr Bad und eilten an die Seite ihrer Partner.
"Na, war das lustig?" erkundigte sich Cale.
- "Ja!" - Bestätigte Tailon und schüttelte sich das Wasser aus den Schuppen.
Anarie zog es würdevoll vor, sich von ihrer Reiterin mit deren Umhang abtrocknen zu lassen.
"Nun meine jungen Freunde" hob Narie schließlich an. "Wie ich höre, sehnt Ihr Euch nach dem Ernst des Lebens. Dem kann abgeholfen werden. In wenigen Minuten werden Marek und seine Drachendame Laorie eintreffen. In ihrer Begleitung befindet sich noch ein weiterer junger Reiter der die Reise mit den noch verbliebenen Dracheneiern und den Eiwächtern fortsetzen wird. Unter seiner Führung werden sie die Dörfer der Urgals besuchen und schließlich auch die Heimstätten der Zwerge. Den Elfen wurden die Eier, die Ihr gesehen hat schon vorgestellt und die Prüfung für die Menschen hat in diesem Jahr hier in Gil'ead stattgefunden. Wie ich Euch schon angekündigt habe, werden Marek, Kira, Laorie und ich Euch auf den ersten Schritten als Drache und Reiter begleiten und fürs Erste Eure Ausbildung übernehmen. Nun da Eure Lehrer bald vollzählig sind, wird es Zeit zunächst einmal Eure Fähigkeiten zu überprüfen, damit wir wissen, worauf wir aufbauen können."
In diesem Moment erfüllte ein Rauschen die Luft über Cale und Ismira. Atemlos beobachteten die beiden jungen Reiter wie zwei Drachen über sie hinwegflogen. Der Größere von beiden war goldgelb und ebenso groß wie Kira und Hidalgo. Der Kleineren hatte Schuppen, die tatsächlich strahlten, als wären sie aus reinem Gold. Hörner und Rückenzacken dieses Geschöpfes leuchteten in einer Mischung aus Rot und Gold die an einen Sonnenuntergang erinnerte. Beide Drachen trugen Reiter auf ihrem Rücken.
Gerade wollte Cale fragen, um wen es sich bei dem zweiten Reiter handelte als er sah, dass Meisterin Narie die Augen geschlossen hatte und ein sanftes Lächeln im Gesicht trug. Kurze Zeit später öffnete sie die Augen, verdrehte diese leicht und schüttelte den Kopf. Dazu flüsterte sie: "Marek, Du Kindskopf."
Cale zog es vorzuschweigen, wechselte aber einen kurzen Blick mit Ismira. Seine Mitschülerin schien mehr zu wissen, denn ein schelmisches Grinsen lag auf ihrem Gesicht.
"Folgt mir bitte." forderte die Elfe von ihren Schülern.



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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt