50. Das Fest

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Ismira saß in ihrem Zimmer vor ihrem Spiegel und starrte auf die kleine Holzfigur, die Cale ihr geschenkt hatte. Ihre Freundin Hope war bei ihr und damit beschäftigt die langen, kupferfarbenen Haare ihrer Freundin zu einem Zopf zu flechten.
Ismiras Mutter Katrina hatte die Jugendfreundin ihrer Tochter darum gebeten ihr beim Ankleiden zu helfen. Die Gräfin befürchtete offenbar, dass ein Zusammentreffen mit der Magd Anna eine neue Runde im ewig währenden Kampf der beiden Frauen einleiten würde. Heute war ein Festtag und da sollte es friedlich zugehen.
"Deine kleine Cousine Marlena ist wirklich süß.", sagte Hope und bemühte sich so ein Gespräch in Gang zu bringen. "Deine Elfen-Tante hat mir schon ein paar gute Ratschläge geben, wenn mein Kind irgendwann Zähne bekommt."
Ismiras ausführliche Antwort bestand aus einem: "MmhMmh."
"Ich hoffe ja auf ein Mädchen. Mein Mann allerdings wünscht sich natürlich ein Sohn."
"MmhMmh."
Wäre Ismira etwas aufmerksamer gewesen hätte sie bemerkt, dass sich ein verschwörerisches Grinsen auf dem Gesicht ihrer Freundin ausbreitete.
"Natürlich könnte es auch sein das ich eine kleine Eidechse zur Welt bringen."
"MmhMmh" war einmal mehr die Antwort.
"Habe ich die eigentlich schon erzählt, dass meine Nase in Flammen steht?"
"MmhMmh"
Hope legte jetzt ihrem Mund direkt neben Ismiras Ohr. Dem Zopf ihrer Freundin hatte sie längst fertig geflochten
"Du bist wohl völlig verliebt in Deinen Mitschüler, oder?"
"MmhMm......WAS!"
Erst jetzt schien Ismira aus ihrer Trance zu erwachen.
Hope begann schallend zu lachen und stimmte einen Singsang an: "Ismira ist verliebt. Ismira ist verliebt. Dass ich das noch erleben darf."
"Hör auf, hör auf, hör auf!", flehte die junge Drachenreiterin und wusste sich nicht anders zu helfen als ihre Freundin den Mund zuzuhalten. Leider wusste diese sich zu wehren und begann mit der Zungenspitze Ismiras Handfläche abzulecken.
"Igitt! Lass das!" forderte Katrinas Tochter und wischte sich die Handfläche ab während Hope nun ein Gesicht zog, das unwillkürlich das Bild einer hochzufriedenen Katze heraufbeschwor, die gerade eine Maus verspeist hatte.
"Gib es zu Mirie! Ich hab Dich erwischt. Seit ich hier bin, starrst Du diese Holzfigur an. Du bist verliebt!"
Ismira seufzte und biss sich verlegen auf die Unterlippe.
"Leugnen wäre wohl zwecklos, oder?"
"Völlig zwecklos. Jetzt habe ich Dich in der Hand."
Bedeutungsvoll schwenkte Hope geschlossene Faust.
"Du bist gemein. Ich hätte Dich nie mit so was unter Druck gesetzt."
Wieder musste die Tochter von Elain und Horst lachen.
"Ich höre wohl nicht recht. Wer hat mich denn bitte jedes Mal zappeln lassen, wenn ein Liebesbrief von meinem Alberich kam?"
"Ich war es, die Dir Lesen beigebracht hat." konterte Ismira.
"Ja, und bis ich sie selbst schreiben und lesen konnte hast Du Dich über jeden meiner Briefe lustig gemacht, die Du für mich ein Alberich geschrieben hast. Und wer hat denn bitte einmal statt "deine Hope" am Ende des Briefes "mit Tausend Küssen Deine Hope" geschrieben. War das nicht vielleicht Ismira Katrinatochter? Und jetzt soll ich Dich so einfach aus der Falle lassen?"
"Was willst Du denn?", fragte Ismira und gab sich damit geschlagen.
"Einzelheiten! Erzähl mir alles." forderte Hope und legte den Arm um ihre Freundin.
"Es gibt keine Einzelheiten Hope. Ich hab einfach so ein warmes Gefühl jedes Mal, wenn ich in seiner Nähe bin. Ich habe heute schon mit meiner Mutter darüber gesprochen. Sie hat mir zwar weitergeholfen aber eine Frage kann ich mir immer noch nicht beantworten. Was soll ich jetzt tun? Ich meine, ich weiß, dass ich ihn mag aber wie denkt er über mich?"
"Ach Mirie." schmunzelte Hope und drückte ihre Freundin an sich. "Da gibt es leider nur einen Weg. Du musst ihn fragen, was er fühlt."
"Das kann ich doch nicht machen! Was, wenn er nicht so fühlt? Dann..."
Hope gab endgültig die Rolle der Erpresserin auf und sah ihre Freundin verständnisvoll an.
"Du hast Angst verletzt zu werden oder Mirie?"
"Ich habe so etwas einfach noch nie gefühlt. Ich fühle mich dabei so verletzlich. Ich weiß wirklich nicht was ich machen soll."
"Vielleicht kann ich Dir helfen."
Eine dritte Stimme erregte die Aufmerksamkeit der beiden Freundinnen. Arya betrat das Zimmer und verschloss die Tür sorgfältig.
"Schläft Marlena?" erkundigte sich Hope.
"Tief und fest." Bestätigte die Elfe. Sie trug bereits ein edles Kleid aus türkiesfabenes Seide. "Eure Magd Anna hat sich bereit erklärt sie zu hüten während ich beim Fest bin. Ich hoffe deine Eltern werden nicht zu beleidigt sein, wenn ich mich trotzdem relativ früh verabschiede Ismira. Ich bin es wohl einfach noch nicht gewöhnt Marlena alleine zu lassen oder besser gesagt in der Obhut eines anderen."
"Wie ich Mutter kenne, wird sie dafür bestimmt Verständnis haben.", versicherte Ismira ihrer Tante.
Inzwischen war Arya zu den beiden jungen Frauen getreten und setzte sich neben die Nichte ihres Gefährten. Die Elfe saß nun rechts von Ismira während Hope links von ihrer Freundin auf der kleinen Bank saß, die vor ihrem Schminkspiegel stand. Arya hatte die Handflächen in ihrem Schoß zusammengelegt und starrte sie einfach nur an. Ismira kannte ihre Tante inzwischen gut genug um zu wissen, dass Elfen manchmal derartige Pausen benötigten um ihre Gedanken zu ordnen.
Geduldig wartete sie ab bis Arya schließlich zu sprechen begann: "Was ich Dir jetzt sag Ismira ist keine große, geheime Weisheit der Elfen. Es ist aber eine persönliche Erfahrung, die ich gemacht habe und vielleicht wird sie Dir weiterhelfen. Du hast mich nicht kennengelernt bevor Eragon mein Gefährte wurde. Pflichtbewusstsein und das Zurückstellen meiner persönlichen Gefühle waren wohl meine herausragen Charaktereigenschaften. Ich hatte einige Freunde und auch einen im Besonderen dem ich mich nah fühlte. Doch keiner von ihnen hat je die Grenze überschritten, die nötig ist damit man von inniger, gegenseitiger Liebe sprechen kann. Ich habe das einfach gar nicht zugelassen. Natürlich gab es sachliche Gründe dafür. Der Krieg und die Anforderungen, die er an uns alle stellte aber meine Entscheidung in dieser Richtung hatte auch eine sehr persönliche Komponente. Ich wollte es schlichtweg nicht riskieren die Verletzungen zu erleiden, die ich bei meiner Mutter beobachtet habe als sie meinen Vater verloren hat. Ein Teil von ihr ist mit ihm gestorben. Ein wertvoller Teil. Dann habe ich Eragon kennengelernt. Obwohl er einer anderen Rasse angehörte und sehr jung war, bestand eine Verbindung zwischen uns beiden. Dieser Umstand hat mich beunruhigt. Denn was ich für ihn fühlte, entzog sich völlig meiner Kontrolle. Natürlich habe ich versucht meine Gefühle beiseite zu schieben und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren aber anders als vorher haben sich diese Gefühle nicht einfach ignorieren lassen. Immer wieder drängten sie an die Oberfläche. Für jemanden wie mich, der großen Wert darauf legt, die Kontrolle über sich selbst zu haben war das eine beunruhigende Situation. Schließlich war der Krieg vorbei und es kam der Punkt wo Eragon mich bat ihn zu begleiten bei der Suche nach einem neuen Heim für die Drachen. Ich hatte damals den Titel der Königin meines Volkes angenommen. Es beschämt mich etwas das zu sagen aber der Umstand, dass meine neue Position unvermeidlich einen gewissen Abstand zwischen mir und Eragon schaffen würde empfand ich zumindest, als einen nützlichen Nebeneffekt meiner Entscheidung die Krone zu akzeptieren. Dann aber enthüllte Eragon seine Pläne Alagaësia zu verlassen und äußerten die Sorge, dass er vielleicht nie zurückkehren würde. Das war eindeutig mehr Abstand als ich wollte. Ein Teil von mir wollte seiner Bitte entsprechen und ihn begleiten aber meine Angst vor den Gefühlen, die ich nur schwer kontrollieren konnte, war zu groß und ich versteckte mich hinter meiner Pflicht. Es verging fast ein halbes Jahr bis Eragon und ich uns wieder sahen. Genug Zeit für mich meine Entscheidung zu bereuen. Ich bemühte mich natürlich meine Sehnsucht zu ignorieren und nicht auf meine Pflichten zu konzentrieren. Ich verschwendete viel Kraft darauf meine Gefühle zu unterdrücken und musste letztlich erkennen, dass die Erfüllung meiner Pflichten darunter gelitten hat. Ich erkannte nur ansatzweise wie negativ die verschiedenen Völker auf meine Doppelrolle als Drachenreiterin und Königin reagierten. Auch entging es mir, dass verschiedene Mitglieder des Hochadels lediglich bemüht waren mich auszunutzen. Eine Freundin, die Du vielleicht noch kennenlernen wirst zeigte mir schließlich auf, dass ein Mitglied meines Kronrates in besonders heimtückischer Weise versuchte sich selbst in eine Machtposition zu manövrieren. Dieser Vorfall war schließlich der ausschlaggebende Faktor, wieso ich zurückgetreten bin. Nachdem ich meine Nachfolge geregelt hatte brach ich zusammen mit meinem Drachen in Richtung Osten auf. Wir brauchten einige Zeit bis wir den neuen Stützpunkt der Reiter erreichten. Mehr als einmal kamen Zweifel in mir auf. Zweifel, ob ich die Reise fortsetzen sollte. Zuerst versuchte ich mich damit zu beruhigen, dass ich es vielleicht nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, nicht mehr in der Lage zu sein den Völkern Alagaësias als Drachenreiterin zu dienen. Doch schließlich erkannte ich, dass meine Befürchtungen auch einiges mit Schuldgefühlen gegenüber Eragon zu tun hatten. Ich hatte ihm große Schmerzen bereitet, in dem ich zurückblieb. Vielleicht hätte ich ihn so sehr verletzt, dass er nicht in der Lage sein würde mir zu verzeihen ganz gleich wie sehr er mich liebte. Ich hatte Glück. Er konnte noch einmal vergeben. Hier ist nun die Weisheit und die Lektion die Du aus meiner Erfahrung ziehen solltest Ismira: Wenn es um so tiefe Gefühle geht wie Du sie offenbar empfindest, dann kommst Du an einen Punkt wo Du Dich nicht mehr absichern kannst. Du erreichst ein Punkt wo Du entscheiden musst, ob Du Dich offenbarst oder es nicht tust. Sich zu offenbaren bedeutet seinen verwundbarsten Punkt zu öffnen auch, wenn das einen selbst dem Risiko aussetzt verletzt zu werden. Ich denke, das ist, was Du tun musst Ismira. Dich offenbaren. Du riskierst damit vielleicht ein gebrochenes Herz aber das Risiko nichts zu tun und einfach zu schweigen ist noch um einiges größer. Denn es lässt sich zurück mit der Frage, was gewesen wäre wenn. Lass Dir von mir gesagt sein Ismira-Finiarel: Diese Frage kann eine Folter sein. Denn Du wirst keine Antwort auf sie finden. Wunden heilen aber Ungewissheit bleibt."
Nachdem Arya geendet hatte, breitete sich zunächst Schweigen aus. Die junge Reiterin war von der Offenbarung ihrer Tante sehr überrascht. Arya war immer freundlich und liebevoll zu ihr gewesen aber auch sie hatte gemerkt, dass eine gewisse Verschlossenheit zum Wesen der Gefährtin ihres Onkels gehörte. Gerade hatte sie sich sehr weit geöffnet und das belegte für Ismira eindeutig, dass Arya sie in der Tat als Mitglied der Familie sah.
Der jungen Frau fiel nichts Besseres ein, als die Hand ihrer Tante zu ergreifen und sie dankbar zu drücken.
Ein kurzes Lächeln huscht über die Züge der Elfe, dann erhob sie sich.
Wir sollten jetzt aufbrechen. Sonst komme noch zu spät zum Fest.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt