6. Ehrlos!

82 14 0
                                    

Stolz beobachtete Cale zusammen mit Ismira und seiner neuen Lehrerin Narie, wie Tailon und Anarie, nach vollzogener Taufe, wieder die Zuneigung Ihrer Eltern genossen. Das violette Drachenmädchen fand große Freude daran auf dem Kopf Ihres Vaters herumzuklettern, den dieser auf den gepflasterten Boden gelegt hatte. Mit wachsamen in alle Richtungen schwenkenden Augen verfolgte Hidalgo die Kletterkünste seiner Tochter.
Tailon hatte sich auf den Rücken gelegt und Kira rollte ihn mit der Schnauze von einer Seite auf die andere. Der junge Drache quietschte vor Vergnügen und schien am Bauch etwas kitzlig zu sein.
"Gestatte Ihr eine Frage, Meisterin?" erkundigte sich Cale.
"Natürlich junger Reiter. Nur so lernst Du."
"Wie geht es nun weiter? Wohin führt uns unser Weg von hier? Direkt zur Ostmark?"
Cales Frage schien auch Ismira zu interessieren denn sie verfolgte die Unterhaltung aufmerksam.
"Nein, für eine Reise direkt zur Ostmark sind Eure Drachen zu jung." erklärte die Reiterin der roten Drachendame. Drachenküken brauchen regelmäßig etwas zu fressen und ein so weiter Flug wäre für sie zu anstrengend. Zunächst werde ich Eure Familien informieren, dass bei Euch Drachen geschlüpft sind. Dann werde ich Nachricht nach Ellesméra geben. Mein Volk wird ein Schiff schicken, mit dem wir den Isenstar überqueren werden. Von seinem nördlichen Ufer her ist es nur ein kurzer Weg nach Emfielion. Diese Siedlung meines Volkes wurde von den Überlebenden des Massakers von Osilon errichtet. Es ist unsere jüngste Stadt und Zentrum unseres Handels mit dem Rest von Alagaësia. Ihr werdet dort auch Vertreter aller Rassen treffen, was Eurem Unterricht nur zugutekommt. In Emfielion werden ich, Kira, der Drachenreiter Marek sowie seine Drachendame Laorie Eure Fähigkeiten prüfen und mit dem Unterricht beginnen. Sobald Eure Drachen alt genug sind Euch zu tragen werden wir zur Ostmark aufbrechen. Dort wird Eure Ausbildung dann von Eragon Schattentöter und Meisterin Arya zu Ende geführt. Eure Drachen werden in etwa zwei Monaten stark genug sein für diese Reise. Wir werden allerdings nicht direkt zur Ostmark fliegen, sondern einen kurzen Umweg über Ellesméra machen. Zum einen wäre es unhöflich von einem Drachenreiter eine Stadt unseres Volkes zu besuchen, ohne unseren König Maranus eine Aufwartung zu machen. Anschließend werdet Ihr auf die Schmiedemeisterin Runön treffen. Aus ihrer Waffenkammern wird sich jeder von Euch ein Schwert wählen dürfen. Sie hat bereits in der alten Zeit alle Waffen für die Drachenreiter hergestellt und Ihr werdet in ganz Alagaësia kein vortrefflicheres Schmiedehandwerk finden."
Cale und Ismira nickten. Bevor allerdings einer der beiden jungen Reiter eine weitere Frage stellen konnte, erklangen aufgeregte Stimmen aus dem Innern der Stadtfestung. Jemand schien die Treppe, über die sie vor Kurzem den Innenhof betreten hatten, hinunterzustürmen.
Eine der Stimmen, die zu hören waren, schien überaus aufgebracht während die andere unterwürfig und beschwichtigend klang.
Die Stimmen kamen näher und schließlich waren die Worte, die sie sprachen, zu verstehen.
"Ich bitte Euch junger Herr! Euer Vater hat gesagt, Ihr sollt Euch zuerst beruhigen." flehte die erste Stimme.
"Es ist mir egal, was mein Vater sagt! Aus dem Weg Du winselnder Wurm!"
Ein dumpfer Schlag war zu hören, dann fiel etwas polternd die Treppe herunter. Inzwischen hatten die Vorgänge die Aufmerksamkeit aller Drachen, Reiter sowie der acht Eiwächter erregt. Die weiß gekleideten Soldaten des Reiterordens hatten sich zum Schutz der beiden Schlüpflinge auf der Begrenzungsmauer des Innenhofes protestiert. Es handelte sich um zwei Mitglieder jedes Volkes. Der Rest, vermutete Cale, war noch mit der Überwachung der Reiterprüfung betraut.
Das Poltern wurde lauter und schließlich stürzte ein älterer Mann durch die noch immer geöffnete Tür. Er trug die Kleider eines Dieners und Blut lief ihm übers Gesicht. Offenbar hatte er sich beim Sturz verletzt. Er blieb regungslos am Fuß der Treppe liegen. Cale hofft inständig, dass der Mann nicht tot war, sondern nur durch den Aufprall das Bewusstsein verloren hatte.
Noch bevor jedoch jemand zu dem Diener treten konnte, um ihm zu helfen, stürmte der junge Herzog Tjurin durch die Tür. In seiner rechten Hand hielt er ein Schwert. Nur kurz schenkte er dem leblosen Körper zu seinen Füßen Beachtung.
"Ich sagte doch aus dem Wege, Tölpel!" Fauchte er den Bewusstlosen zu und ließ dann seinen Blick über den Innenhof schweifen. Geradezu hasserfüllt starrte er zuerst Ismira, dann Cale selbst und anschließend die beiden Jungdrachen an.
Wütend richtete Tjurin die Spitze seines Schwertes auf die Drachenreiterin Narie.
"Du hast mich betrogen, Elfenweib!", brüllte er und stürmte dann auf die Drachenreiterin zu.
Diese blieb scheinbar ruhig. Ihre Augen blitzen kurz zu ihrer Drachendame, die sich daraufhin erhob und schützend neben die Reiter ihrer Kinder trat. Die beiden Jungdrachen hoppelten zu ihren Partnern und ließen sich von Cale und Ismira auf den Arm nehmen.
Unschlüssig was hier vor sich ging, beobachtete Cale die sich entwickelnde Szene. Narie war inzwischen scheinbar völlig gelassen auf Tjurin zu getreten und versperrte ihm den Weg zu Ismira und Cale.
"Wovon redet Ihr bitte Herzog Tjurin."
"Als ob Ihr das nicht wüsstet Spitzohr! Einer dieser Drachen sollte mir gehören. Ich habe das violette Ei vor Ismira angefasst. Vermutlich wollte der Drache bei mir schlüpfen. Ich bin mir sicher, dass Ihr das erkannt habt! Doch, weil ich Euch nicht passe, habt Ihr meinen Drachen diesem Weibsteufel da zugeschanzt. Vermutlich, weil sie die Nichte von Eragon ist. Naja, meinetwegen soll sie ihn behalten. Sie ist ja immerhin von Adel auch, wenn sie kein Benehmen hat. Doch ich will dafür diesen Roten als Ersatz! Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich hinter einem Straßenköter zurückstehe!"
"Nur über meine Leiche.", brüllte Cale, der in diesem Moment jede Zurückhaltung vergessen hatte. Niemand bedrohte seinen Drachen. Tailon schien der Meinung seines Reiters zu sein, denn er fauchte den wütenden Herzog garstig an.
"Das lässt sich einrichten, Du Hund!" lachte Tjurin spöttisch. "Dieser roten Kröte werde ich schon noch Manieren beibringen. Jetzt geht mir aus dem Weg Elfe! Ich will mir nehmen, was mir zusteht."
Tjurin versuchte sich am Narie vorbeizudrängen doch die ergriff sein Wams auf Brusthöhe und schleuderte den jungen Mann zwei Meter in die Richtung, aus der er gekommen war. Cale war überrascht! Eine solche Kraft hatte er der zierlichen Elfenfrau nicht zugetraut. Diese griff nun an ihren Gürtel und zog einen roten Stab mit goldenen Verzierungen hervor. Erneut wurde Cale überrascht. Der Stab verlängerte sich wie von Geisterhand und auch die goldenen Verzierungen wandelten sich zu einer geschwungenen Speerspitze und einem gabelähnlichen Fortsatz am unteren Ende der Waffe.
"Um dir zu geben, was Du verdienst, Mensch, muss ich nicht beiseite treten." eine gefährliche Ruhe lag nun in der Stimme der Elfe. "Glaubt mir, wenn Ihr noch einmal versucht diesen beiden Reitern und ihren Drachen zu nahezukommen wird es Euch schlecht bekommen. Trotz Eures unmöglichen Verhalten will ich Euch gern beweisen, dass Ismira und Cale die rechtmäßigen Reiter dieser beiden Jungdrachen sind."
Mit diesen Worten richtete die Elfe den Blick auf ihre Schüler und forderte sie auf: "Zeigt dem Herzog Eurer Handflächen!"
Die beiden jungen Reiter begriffen und drehten ihre Hände, welche die Gedwey Ignasia trugen, so, dass Tjurin Sie sehen konnte.
"Manchmal geschieht es in der Tat, dass ein Drache schlüpft, wenn sein Reiter nicht mehr vor dem Ei steht. Deshalb hat man in die segnenden Worte, welche über Dracheneiern gesprochen werden, die auf die Suche nach Reitern geschickt werden, einen Schutz eingebaut. Das Mal, welches Ihr auf den Händen meiner Schüler seht, bildet sich nur, wenn der oder die Seele den Jungdrachen berührt, die diesen zum Schlüpfen gebracht hat. Selbst wenn jemand anderes den Schlüpfling berührt entsteht keine Bindung! Nur der auserwählte Reiter wird von den Jungdrachen mit diesem Mal gekennzeichnet."
Kurz schien Tjurin tatsächlich verunsichert zu sein. Schließlich jedoch kehrte sein überheblicher Gesichtsausdruck zurück.
"Als wenn das irgendetwas beweisen würde Elfe! Galbatorix hat ja schließlich auch einen zweiten Drachen an sich gebunden. Vielleicht verwendet ihr ähnliche Schliche, um Reiter in Eure Reihen zu holen, die Euch angenehm sind."
Ein Brüllen so gewaltig wie ein Weltuntergangsgewitter erhob sich über den Innenhof. Mit einer Geschwindigkeit, die für ein Wesen seiner Größe nahezu unmöglich schien, stürmte Hidalgo auf den aufsässigen Sohn des Stadthalters zu. Dieser stolperte rückwärts und verlor dabei sein Schwert. Der Länge nach fiel der junge Herzog auf das Kopfsteinpflaster des Innenhofes und Hidalgo nagelt ihn mit einer seiner Pranken fest.
Cale verfolgte das Schauspiel atemlos. Die Wandlung, die sich mit Hidalgo vollzogen hatte, war eindrucksvoll und bedrohlich zugleich. Eben war der Sohn Saphiras noch ein liebevoller und zärtlicher Vater gewesen, nun hatte sich sein Auftreten völlig verändert. Der wilde Drache strahlte eine Kraft aus, die mächtig genug schien um die ganze Welt aus den Angeln zu heben. Kalter Zorn lag in seinen Augen, schwarzer Rauch stieg aus seinen Nasenlöchern und Flammen züngelten aus seinem Maul. Tödliche Zähne schienen direkt auf sein hilfloses Opfer zu zielen und das Schuppenkleid des Drachen war gesträubt wie das Fell einer Katze.
Als Hidalgo zu sprechen begann, übertrug er seine Worte auf alle Anwesenden. Gemeinsam mit dem, was er sagte, flutete jedoch ein Zorn aus dem Geist des wilden Drachen der so heißt und alles verzehrend zu sein schien wie das Feuer, das seine Art zu entfesseln vermochte.
- "Du Wurm wagst es?! Du wagst es tatsächlich, uns vorzuwerfen dieselbe verfluchte Magie anzuwenden wie der Mörder meines Volkes?! Du unterstellt mir, dass ich meinen Sohn und meine Tochter um ihre wahren Reiter betrügen würde? Nenn mir einen guten Grund Dich nicht sofort in Stücke zu reißen."-
"Bitte nicht!"
Eine verzweifelte Stimme wehte über den Innenhof. Die Aufmerksamkeit aller richtete sich wieder auf die Tür durch die Tjurin getreten war. Cale erkannte Herzog Aurast den Statthalter von Gil'ead. Der Herzog war fortgeschrittenen Alters, wie sein ergrautes kurzgeschnittenes Haar verriet. Als er auf Hidalgo zuging humpelte er und stützte sich auf einen kunstvoll gearbeiteten Gehstock. Trotz seiner offenkundigen Behinderung und seines Alters wirkte der Mann noch immer Respekt einflößend.
"Bitte ehrenwerter Drache. Tötet mein Sohn nicht." bat der Stadthalter schließlich respektvoll. "Aus dem was mein Sohn in meiner Gegenwart schon gesagt hat und aus dem, was ich von Eurem Streit mitbekommen habe kann ich schließen welche Schande er mir bereitet hat. Doch ich bitte Euch ihn zu verschonen. Wenn nicht um seinetwillen, dann um meinetwillen. Ich habe während des großen Krieges im Heer der Varden gekämpft und war unserer Königin Nasuada immer ein treuer Diener. Tjurins Mutter ist bereits vor vielen Sommern von mir gegangen und die Blüte meiner Jahre liegt hinter mir. Es wird mir nicht noch einmal vergönnt Kinder zu haben und Tjurin ist mein einziger Sohn. Wenn er heute stirbt, stirbt mein Geschlecht mit ihm."
Tatsächlich schien sich Hidalgo durch die Worte des alten Herzogs etwas zu beruhigen.
- "Der Sieg der Varden sicherte das Überleben meines Volkes." - knurrte der wilde Drache schließlich. - "Weil Ihr an diesem Sieg beteiligt wart, schenke ich Euch das Leben dieses Welpen aber seid gewarnt: Wenn er meinen Kindern oder ihren Reitern noch einmal zu nahe kommt oder auch nur wagt in ihrer oder meiner Gegenwart sein freches Mundwerk aufzumachen rettet ihn nichts vor mir." -
Mit diesen Worten zog sich Hidalgo zurück und schwang sich in die Luft. Immer noch blass vor Schreck erhob sich Tjurin und öffnete den Mund um etwas zu sagen. Sein Vater jedoch brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen und befahl: "In mein Arbeitszimmer! Sofort! Und schickt einen Heiler, der den Diener versorgt, den Du verletzt hast!"
Offenbar zu geschockt noch weiter zu widersprechen hob Tjurin sein Schwert auf und verließ den Innenhof. Sein Vater Aurast trat zu Narie und warf auch Ismira und Cale bedauernde Blicke zu.
"Ich kann mich nur bei Euch Argetlan, Euch Gräfin Ismira und Dir junger Drachenreitern entschuldigen." brachte der alte Herzog mühsam hervor. Er wirkte mit einem Mal kraftlos und fast verzweifelt. "Ich weiß nicht, was ich bei Tjurins Erziehung falsch gemacht habe doch ich verspreche Euch, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen wird. Kann ich irgendetwas tun, um Euch zu unterstützen?"
Narie winkte ab.
"Ihr gewährt uns bereits Unterkunft und Verpflegung Herzog. Hidalgo hat sich etwas zurückgezogen, um seinen Zorn verbrauchen zu lassen. Ich bitte Euch nur, redet mit Eurem Sohn! Hidalgo ist für einen wilden Drachen noch recht zurückhaltend. Es liegt daran, dass er als Sohn von Reiterdrachen aufgewachsen ist. Hätte sich ein anderer Vertreter der wilden Drachen in meiner Begleitung befunden wäre Euer Sohn nicht mehr zu retten gewesen. Wenn es Euch keine zu großen Umstände macht, wäre ich dankbar, wenn Ihr mir einen Boten zur Verfügung stellen könntet. Ismiras Familie werde ich über einen magischen Spiegel davon in Kenntnis setzen, dass ihre Tochter zur Reiterin berufen worden ist. Aber auch Cales Familie muss informiert werden."
"Natürlich, Drachenreiterin. Ich schicke den Boten sofort zu Euch. Teilt ihm einfach Eure Botschaften mit und an wen er sie überbringen soll und es wird geschehen. Was mein Sohn betrifft, seid versichert ich werde ihn mir jetzt sofort zur Brust nehmen."




Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass der Diener, den sein Sohn verletzt hatte, sich von seinen Wunden erholen würde lenkte Herzog Aurast seine Schritte zu seinem Arbeitszimmer. Als er es betrat erwartete ihn Tjurin bereits. Der Junge begann sofort auf ihn einzureden, kaum dass sein Vater das Zimmer betreten hatte.
"Vater, ich kann nicht glauben, dass Du von mir verlangen willst hinter einem Jungen aus dem Pöbel zurückzutreten. Egal was diese Elfe sag, ich hätte es verdient ein Reiter zu werden! Ich..."
"Wie ich sehe, hast Du Dein Selbstvertrauen wieder gefunden Tjurin." unterbrach der alte Herzog ihn. "Als Du unter der Pranke dieses Drachen gelegen hast, warst Du nicht so frech. Seit ich von Nasuada mit der Aufsicht über diese Stadt beauftragt worden bin habe ich versucht sie von den Geistern der Vergangenheit reinzuwaschen. Ich habe mein Möglichstes getan die schrecklichen Jahre unter Durza vergessen zu machen und einen neuen Geist einzug in diese Gemäuer halten zu lassen. Die heutige Drachenreiterprüfung hätte mein bisher größte Erfolg in diesem Bestreben sein sollen. Nie hätte ich erwartet, dass mein eigener Sohn mir den Tag meines Triumphs durch sein ehrloses und arrogantes Verhalten derartig verderben würde."
Erschöpft ließ sich der Stadthalter hinter seinem Schreibtisch sinken. Er schloss die Augen und massierte sich den Nasenrücken.
"Warum entehrt es Dich, wenn ich meine Rechte einfordern? Wenn dann haben die Drachen Dich beleidigt indem sie..."
"Tjurin, ich bitte Dich, schweigt!" Unterbrach Aurast seinen Sprössling einmal mehr. "Ich habe offensichtlich gänzlich bei Deiner Erziehung versagt. Du begreifst ja nicht mal was Du hier angerichtet hast! Es ist eine noble Geste des Adels auf das Vorrecht die Eier zu berühren zu verzichten. Nein, Du besteht darauf! Und als hätte Dein unmögliches Betragen gegenüber Roran Hammerfaust Tochter beim ersten Mal nicht gereicht legst Du es wieder auf eine Konfrontation mit Ihr an."
"Vater, ich bitte Dich!", entgegnete Tjurin halb lachend. "Bei dieser jungen Gräfin merkt man ganz eindeutig, dass Ihr Vater nicht mehr als ein Bauer war. Ich meine sie..."
"Weißt Du was mein Vater, Dein Großvater, war bevor er sich den Varden anschloss, Tjurin?"
Unsicher, was diese Frage seines Vaters sollte, schüttelte der junge Herzog den Kopf.
"Er war ein Schweinehirt."
Diesmal war Tjurin wahrhaft sprachlos. Er startete seinen Vater nur an als hätte dieser soeben etwas Abstoßendes und Ekelhaftes enthüllt.
"Du hörst ganz richtig mein Sohn. Ein Schweinehirte." fuhr Aurast unbeirrt fort. "Eines Tages kamen einige junge Adelige des Wegs. Einer von ihnen war der spätere Graf Barst. Damals hatte er erst 14 Sommer gesehen. Du hast vielleicht von ihm gehört. Er kommandierte Galbatorix Truppen in der Schlacht um die Stadt, die heute wieder Ilirea heißt. Barst ist dafür verantwortlich, dass ich heute einen Krückstock brauche und damit kann ich mich noch glücklich schätzen. Dein Großvater war ein ehrlicher, hart arbeitender Mann, der sein Glück bei einer jungen Frau gefunden hatte, die ihm schon im ersten Jahr ihrer Ehe einen Sohn schenkte. Als sich das ereignete, was ich Dir jetzt sage, war dieser Sohn, ich also, noch keinen Sommer alt. Graf Barst und seine Freunde langweilten sich ein wenig an diesem Tag. Deshalb beschlossen sie, mit der Herde meines Vaters einige Schießübungen zu machen. Ihn selbst schlugen sie nieder und banden ihn an einen Baum. Die nächsten zwei Stunden hatten sie ihre Freude daran Pfeil für Pfeil die Lebensgrundlage Deines Großvaters zur Strecke zu bringen. Als sie all seine Tiere getötet hatten, trugen sie sie zusammen, schichteten sie auf einen Haufen, übergossen die Kadaver mit Öl und verbrannten sie. An diesem Tag hat Dein Großvater alles verloren, um sich selbst zu ernähren. Er floh mit seiner Frau, meiner Mutter, und mir zu den Varden. Zwei Jahre später fiel er im Kampf. Mir war es vergönnt 30 Jahre später Barst auf dem Schlachtfeld zu begegnen. Leider konnte ich meinen Vater nicht rächen. Es war Roran Hammerfaust, der dieses Monster schließlich zur Strecke brachte. In Deinem Verhalten, mein Sohn, sehe ich dieselbe Arroganz und Verachtung unter der einst Dein Großvater zu leiden hatte. Ich werde das nicht zulassen. Offensichtlich hast auch Du zu viel Zeit und weiß nichts mit Ihr anzufangen. Daher gebe ich Dir jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder Du gehst nach Dras Leona und schließt Dich dort den Wächtern des Lichts, an die das Tor ins Jenseits bewachen..."
"Das kann nicht Dein Ernst sein Vater!" unterbrach Tjurin entsetzt. "Diese Priester schwören in Armut zu leben. Sie pflegen Kranke und Aussätzige!"
"Etwas Nächstenliebe zu lernen könnte Dir sicher nicht schaden!", brummte Aurast. "Aber wenn Dir das nicht zusagt, bleibt ja noch die zweite Möglichkeit. Ich werde Dir ein Empfehlungsschreiben geben und Dich nach Ilirea schicken. Das Schreiben übergibst Du General Jörmundur. Ich habe unter ihm gedient und er hält viel von mir. Er wird Dich als Kadetten bei der Nachtfalken aufnehmen. Der königlichen Garde."
"Als Kadett?! Vater, als Dein Sohn stünde mir ein Rang als Offizier zu!"
"Du wirst als Kadett dienen! Das ist Ehre genug! Bei der Nachtfalken werden nur die besten Krieger aller Völker Alagaësias aufgenommen! Wenn Du Dich gut führst, wirst Du Dir einen Rang und Ehre verdienen. Also? Wie lautet Dein Entschluss?"
Es war deutlich auf dem Gesicht des jungen Herzogs abzulesen, dass ihm keine der Möglichkeiten besonders zusagte. Schließlich brummte er jedoch: "Wenn ich keine andere Wahl habe, dann will ich nach Ilirea. Ein Kadett zu sein ist immer noch besser als Krüppel zu pflegen."
"Gut, dann soll es so sein.", erwiderte sein Vater. "Du wirst morgen abreisen. Bis zu diesem Zeitpunkt will ich das Du Dich von den Drachen und den Drachenreitern fernhältst. Es ist in Deinem eigenen Interesse! Nochmal werde ich Dich nicht vor dem Zorn der Drachen bewahren können. Habe ich Dein Wort in dieser Sache?"
"Ja, Du hast mein Wort."
"Gut, dann gehe jetzt und pack deine Sachen. Ich werde deinen Empfehlungsschreiben aufsetzen."
Sichtlich verbittert verließ Tjurin das Arbeitszimmer seines Vaters und schloss die Tür weit lauter als nötig. Aurast befürchtete, dass seine Worte mal wieder nicht das Herz seines Sohnes erreicht hatten. Er konnte sich nicht erklären, was er bei den Jungen falsch gemacht hatte. Vielleicht würde militärische Disziplin ihm wirklich noch zu etwas besserem Formen. Sonst müsste er sich wirklich überlegen ob er die Königin nicht bitten sollte nach seinem Tod einen anderen, als Tjurin mit der Aufsicht über Gil'ead zu betrauen.



Wenn euch das Kapitel gefallen hat:

Lasst doch einen Like(Vote) da. Das Zeigt mir, dass es euch gefällt.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt