47. Unter Brüdern

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Nachdem der erste Begrüßungssturm abgeflaut war, teilte sich die Gruppe schnell auf. Katrina belegte ihre Tochter direkt mit Beschlag und Hope bot an Arya dabei zu helfen die kleine Marlena einzuquartieren. Offenbar hoffte die werdende Mutter sich ein paar Tricks abschauen zu können.
Saphira wies ihre Enkel an ihr zu folgen. Sie wollte den beiden Jungdrachen die Jagdgründe zeigen, in denen sie aufgewachsen war. Fírnen und Hidalgo flogen ebenfalls in Richtung Buckel, um für den Donner eine geeignete Stätte zur Nachtruhe zu finden.
Cale ließ sich von Anna, die noch immer in den Diensten von Rorans Familie stand, sein Zimmer zeigen. Es offensichtlich, dass der junge Mann gar nicht glauben konnte wie respektvoll die Magd mit ihm umging. Der Buchbindersohn war sich offensichtlich sicher, dass die erste Dienerin einer angesehenen Adelsfamilie ihn vor Tailons schlüpfen wohl kaum bemerkt hätte.
Eragon indes nutzte die Zeit, um sich von Roran die Veränderungen zeigen zu lassen, die seit seinem letzten Besuch auf dem Gestüt seines Bruders vor sich gegangen waren.
Wie üblich war der Anführer der Drachenreiter tief beeindruckt was Roran geleistet hatte. Die Anzahl der Stallungen hatte sich fast verdoppelt und nur ein Blinder hätte übersehen können, dass die Pferde die auf den Weiden grasten, zu den edelsten Geschöpfen ihrer Art zählten.
Was Eragon stets besonderen Respekt für seinen Bruder im Herzen abforderte war die Tatsache, dass Roran bewies, dass man keine Magie brauchte um etwas Großes zu schaffen. Während der Drachenreiter und der Graf des Palancartals eine Weide umrundeten tauschten sie sich über die Dinge aus, die sich in ihrem Leben ereignet hatten. Besonders interessierte Roran der Vorfall in Bullridge. Schließlich hatte Eragon ihm angekündigten seinen Besuch zu verlängern um die Entwicklungen dort im Auge behalten zu können.
"Also wenn Elva diesen Burschen Tjurin verdächtigt, warum überprüft ihr nicht einfach seinen Geist. Das Trianna das ablehnen kann, weil sie ein Mitglied der Magiergilde ist verstehe ich ja noch aber warum nehmt ihr nicht diesen Tjurin aufs Korn?"
"Aber, aber Herr Graf, Du solltest Dich etwas mehr für die Gesetze interessieren, die Deine Königin erlässt.", tadelte Eragon spielerisch, wurde dann aber ernst. "Leider ist das auch keine Option. Nasuada hat per Gesetz festgelegt, dass man nur in den Geist eines anderen eindringen darf, wenn der konkrete Verdacht besteht, dass er etwas plant, was dem Reich oder seinen Bürgern Schaden zugefügt."
"Aber Ihr habt doch einen konkreten Verdacht." beharrte Roran. "Elvas Intuition."
Eragon schüttelte den Kopf.
"Nasuada genügt das leider nicht. Im Streitfall ist die Entscheidung der Königin, ob eine Untersuchung dieser Art angeordnet wird. Und Ihrer Meinung nach reichen die Verdachtsmomente noch nicht aus. Tjurin ist immerhin von Adel und sein Vater genießt hohes Ansehen bei der Königin."
Roran brummte etwas unwirsch und kratzte sich am Hinterkopf.
"Ich respektiere Nasuada als gute und fähige Königin aber ich denke, hier ist sie etwas zu zurückhaltend."
"Gut möglich." bestätigte Eragon. "Besonders wenn es um das Vordringen in den Geist von jemand anderem geht, ist Nasuada sehr zurückhaltend geworden. Ich denke, dass das noch auf ihre Gefangenschaft bei Galbatorix zurückzuführen ist. Er hat versucht sie zu täuschen, indem er ihre Sinne verwirrt hat. Im Prinzip ist es ja auch nichts Schlechtes, dass sie Respekt dafür empfindet, dass der Geist eines anderen Menschen nicht einfach ein Buch ist, das man nach Belieben aufschlagen kann, aber hier stellt ihre Zurückhaltung in der Tat ein Problem dar. Doch ich habe schon gelernt, dass das Richtige zu tun manchmal bedeutet es sich eben einfach schwer zu machen."
Roran lachte kurz.
"Und wie wollte jetzt weiter vorgehen?"
"Narie und Marek werden die bekannten Geisterbeschwörer im Reich überprüfen." begann Eragon zu erläutern. "Und auch wenn dieser Auftrag beendet ist habe ich schon entschieden, dass sie gemeinsam mit Murtagh und Ishaha in Ilirea verbleiben. Sie werden Elva bei dem Versuch unterstützen etwas Konkretes gegen Tjurin zu finden. Wir werden diesen Burschen nicht mehr aus den Augen lassen. Wenn er für die Sache in Bullridge verantwortlich ist, hat er bereits über 20 Menschen auf dem Gewissen. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Wir sind schließlich nicht im Krieg. Und wenn wir auch nur den kleinsten Beweis finden werden wir ihn Nasuada zur Kenntnis bringen ganz gleich, wer Tjurins Vater ist."
"Das beruhigt mich etwas." räumte Roran ein. "Ganz gleich wie verschlagen der Bursche sein mag, wenn Vier Drachen und Reiter ihn im Auge behalten dürfte es ihm schwerfallen etwas zu verbergen."
"Du wärst überrascht wie diskret wir sein können Roran."
Die beiden Männer lachten und schließlich war es Roran der das Gespräch wieder aufnahm: "Und? Wie macht sich meine Tochter als Drachenreiterin?"
"Ich bin sehr zufrieden.", lobte der Anführer der Reiter. "Ihr offenes Wesen ist ein Segen für ihre neue Aufgabe und sie hat sich bisher als sehr gelehrig erwiesen. Sie bringt auch kaum charakterliche Makel mit. Das einzige was sie lernen muss es etwas Zurückhaltung und Geduld. Manchmal überlegt sie erst nach dem sie etwas gesagt hat."
"Viel Glück bei dem Versuch Ihr das beizubringen!", erwiderte Roran mit unverhohlener Schadenfreude. "Ihre Mutter und ich haben seit 16 Jahren versucht Ihr etwas Zurückhaltung beizubringen. Es ist beim Versuch geblieben."
Wieder mussten die beiden Männer lachen.
"Nun, jeder Reiter, den ich bisher unterrichtet habe, hatte Ecken und Kanten die abgeschliffen werden mussten. Es wäre eine Überraschung, wenn Ismira eine Ausnahme wäre. Letztlich ist mir bei allen gelungen."
"Inzwischen sogar bei diesem Elfen, von dem Du mir erzählt hast? Du warst doch lange Zeit besorgt wegen ihm und seinem Drachen?"
"Kalain und Drugatie. Ja, bis vor kurzem waren die beiden wirklich meine Sorgenkinder. Allerdings haben sie einen beachtlichen Entwicklungssprung gemacht. Sie sind auch mit uns nach Alagaësia gereist aber sie und ein wildes Drachenmädchen, das unseren Donner begleitet hat, sind in Ellesméra zurückgeblieben. Ein Verwandter von Kalain sieht seinen letzten Tagen entgegen. Er und die anderen Angehörigen wollen das geschätzte Mitglied ihrer Familie nicht allein die letzte Grenze überschreiten lassen. Drugatie ist natürlich bei seinem Reiter geblieben und die Drachendame, Maranie heißt sie, wollte das auch."
Roran nickte nur stumm und enthielt sich mit weiteren Kommentaren zu Kalain. Egal welchem Volk man angehörte, dass was dem jungen Reiter jetzt bevorstand war für jeden ein schweres Los.
Eragon atmete tief durch und nutzte die Gelegenheit, in die sich aus der Stille ergab, um ein Thema zur Sprache zu bringen, welches ihm nicht leicht über die Lippen ging.
"Roran, es gibt da noch etwas im Zusammenhang mit Ismira, dass wir besprechen müssen. Was heißt besprechen? Ich denke einfach das Du darüber, was sich ereignet hat Bescheid wissen solltest."
Mit gerunzelter Stirn blickt Roran nun Eragon an. Dieser fuhr fort: "Als wir in Ellesméra waren, hatte Ismira den Wunsch Sloan zu besuchen."
Wie vom jungen Anführer der Reiter erwartet verfinsterten sich Rorans Gesichtszüge.
"Ich hoffe Du hast Ihr das ausgeredet."
"Das wollte ich erst aber schließlich habe es zugelassen."
"Was?!" Zorn flammte nun auf Rorans Gesicht auf.
Eragon hob beschwichtigend die Hände.
"Keine Sorge! Ich habe sie nicht mit ihm allein gelassen. Wie gesagt erst habe ich es auch für keine besonders gute Idee gehalten."
Roran ging einige Male auf und ab. Die Geste brachte seine Wut zum Ausdruck, gleichzeitig aber auch seine Hilflosigkeit denn er wusste nicht, wohin mit seinem Zorn. Schließlich stützte er die Arme auf den Holzbalken eines Weidezauns ab und starte einfach nur in die Ferne. Eragon trat neben seinem Bruder im Herzen und legte die Arme ebenfalls auf den Holzbalken.
"Du sagst, dass Du es zunächst für keine gute Idee gehalten hast. Was hat seine Meinung geändert?"
"Saphira.", antwortete Eragon wahrheitsgemäß auf Rorans Frage. "Zuerst habe ich gedacht, dass Sloan ein Mann ist, vor dem man Ismira eher schützen muss und dafür sorgen sollte, dass sie sich von ihm fernhält aber sie hatten einen anderen Blickwinkel auf die Dinge gezeigt."
"Welcher Blickwinkel?"
Es war am Rorans Stimme deutlich zu erkennen mag das er sich zwar, um Ruhe bemühte aber noch immer schwer mit seinem Zorn zu kämpfen hatte.
"Sie hat mich davor gewarnt, dass Sloans Schatten für Deine Tochter größer werden könnte als der Mann selbst."
"Eragon, Du verbringst zu viel Zeit mit Elfen. Mir ist im Moment nicht nach Rätselraten." polterte Roran.
"Was ich meine ist, dass Ismira zwar die Geschichte kennt die hinter Sloan steht aber so gut wie nichts über den Mann weiß. Nachdem Saphira mich darauf aufmerksam gemacht hat habe ich mir angehörte, warum sie mit ihm sprechen will. Ich habe sie gefragt was sie sich von diesem Treffen erhofft. Sie hatte nicht den naiven Wunsch ihren lieben Großvater kennenzulernen. Sie wusste, was er getan hat und wollte den Mann verstehen der diese Verbrechen begangen hat. Dadurch, dass niemand mehr über Sloan redet ist so etwas wie ein Vakuum entstanden Roran. Ich wollte auf keinen Fall, dass dieser alte, unfreundliche Geizhals in der Vorstellung meiner Nichte zu einer Art Monster wird und Ismira anfängt, da sie ja mit Sloan verwandt ist, auch in sich nach etwas schlechtem, bösen oder monströsen zu suchen. Sie sollte sehen, dass er einfach nur ein Mensch ist, der den falschen Impulsen in sich nachgegeben hat und nicht etwas übernatürlich Böses."
Roran blickte Eragon eine Weile schweigend an und schien sich das gehörte durch den Kopf gehen zu lassen. Dann nickte er.
"Das macht Sinn." räumte der Graf schließlich ein. "Das Ismira an sich selbst zweifelt will ich selbstverständlich auch nicht. Wie ist denn das Gespräch der beiden abgelaufen?"
Erleichtert stellte Eragon fest, dass Roran offenbar mehr und mehr Herr seiner Gefühle wurde. Bereitwillig gab er dem besorgten Vater Auskunft über das, was bei der Begegnung zwischen Großvater und Enkelin geschehen war. Er berichtete von Sloans anfänglicher Uneinsichtigkeit, den Dingen die er über Roran, die Dorfgemeinschaft und seine Motivationen für seine Taten erzählt hatte und endete schließlich mit dem, was Ismira bei ihm erreicht hatte.
"Fast zwei Jahrzehnte und dieses Schwein glaubt immer noch eigentlich richtig gehandelt zu haben." knurrte Roran ungnädig. "Glaubst Du wirklich, dass dieser Kerl sich je ändern wird."
"Du kennst das Sprichwort von den alten Hunden und den neuen Kunststücken, oder?", bemerkte Eragon sarkastisch. "Einfach wird es sicher nicht werden aber wer weiß."
"Und er wird dann nur einen Brief schreiben können? Das ist alles?"
Es war deutlich zu erkennen, dass Roran dieser Punkt besonders am Herzen lag.
"Ich will nicht, dass dieser Bursche hier plötzlich vor der Tür steht und unser ganzes Leben in Unordnung bringt."
"Nur ein Brief." bestätigte Eragon klar und deutlich. "Ich werde spüren, wenn er sich ändert und die Elfen auch. Sie werden ihn nicht einfach gehen lassen. Außerdem ist Sloan auch nicht so dumm einfach hier aufzutauchen. Er weiß, dass die Dorfbewohner ihn in Stücke reißen würden."
Sichtlich beruhigt nickte Roran.
"Gut. Solange es nur um einen Brief geht, überlasse ich Katrina die Entscheidung. Er ist schließlich Ihr Vater. Wenn das was er schreibt sie soweit überzeugt, dass sie mit ihm Kontakt aufnehmen will werde ich mich dem Ganzen nicht in den Weg stellen. Mal sehen, ob er sich wirklich ändern kann."
"Vorher wird er keine Gelegenheit bekommen sich mit Euch in Verbindung zu setzen." versprach Eragon dem besorgten Ehemann und Vater. "Du liebst Katrina immer noch wie am ersten Tag, oder?"
"Sogar noch mehr. Wie kommst Du darauf?"
"Verständlicherweise bist immer noch sehr wütend auf Sloan aber für Katrina bist Du bereit all diesen Zorn zurückzustellen." erklärte Eragon.
"Katrina bedeuteten eben mehr als alles andere. Geht Dir das mit Arya etwa anders?"
"Nein! Ich könnte nie etwas tun, dass Ihr weh tut oder sie von mir fort treibt. Ohne sie bin ich einfach nicht vollständig."
Die beiden Männer sahen sich an und lächelten zum ersten Mal, seit das Gespräch auf Sloan gekommen war.
"Glaubst Du auch manchmal, dass Katrina mehr ist als Du eigentlich verdienst?"
"Sie ist hundertmal mehr als ich verdiene Eragon und was Arya betrifft: Sie ist tausendmal mehr als Du verdienst."
Das Lachen der beiden Männer, welches nun die Luft erfüllte war, für beide sehr befreiend.
"Dann können wir ja beide dem Schicksal danken, dass es uns solche Frauen an die Seite gegeben hat.", sagte Eragon schließlich.
Roran lächelte einfach nur und nickte. Gemeinsam machten sich die beiden Brüder im Herzen auf den Weg zurück zum Landhaus.


2015 Wörter

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt