28. Flugstunde (3/3)

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Was Cale empfand, als er auf dem Rücken seines Drachens durch den Himmel schoss, ließ sich wohl in keiner Sprache Alagaësias mit einem Wort ausdrücken. Viel zu allumfassend war das Gefühl von Glück und Freiheit. Die Verbundenheit von Drache und Reiter sorgte noch dafür, dass Cales eigene Freude sich mit der von Tailon vereinte und so zu einem strahlenden Stern verschmolz welcher alle Unheil verkündenden Schatten der Welt mit seinem Licht vertrieb.
- "Freut mich, dass es Dir so gut gefällt. Wollen wir mal etwas Rasanteres wagen?" -
Heiße Wellen aus Vorfreude schwappten durch den Geist des jungen Reiters und machten es Cale unmöglich den Wunsch seines Drachens abzuschlagen. Er schmiegte sich eng an Tailons Hals und festigte seinen Griff um die Halteriemen des Sattels. Dann übermittelte er Tailon seine Zustimmung.
Mit einem freudigen Brüllen zog der junge Drache seine prächtigen Schwingen an den Körper und ging in einen rasanten Sturzflug. Die gewaltigen Bäume des Elfenwaldes kamen immer näher doch Tailon wusste, was er tat. Genau im richtigen Moment öffnete er seine Flügel wieder, fing den Sturz ab und schoss von einem Aufwind getragen fast senkrecht in den Himmel.
Abermals zog er dort die Flügel an und ließ sich noch einige Meter von seinem Schwung in die Höhe tragen. Dabei drehte sich der rote Drache um die eigene Achse.
Cale hatte das Gefühl praktisch schwerelos zu sein als er auf dem Rücken seines Drachens für einige Augenblicke praktisch in der Luft zu stehen schien. Der Moment währte jedoch nur einen Wimpernschlag dann holte die Schwerkraft sie wieder ein. Diesmal fing Tailon seinen Sturzflug jedoch früher ab und beschleunigte, nachdem er sich wieder in eine ruhige Fluglage gebracht hatte sein Tempo mit kräftigen Flügelschlägen.
- "Das war großartig!" - lobte Cale euphorisch. - "Du bist der geborene Flieger." -
Noch während Tailon seine Freude über das Lob seines Reiters übermittelte hörte dieser die wohlbekannte Stimme einer jungen Drachendame im Geist seines roten Begleiters: – "Angeber!! Was Du kannst, kann ich schon lange. Selbst wenn Du wolltest mich kriegst Du nie." -
Cale blickte sich um und erkannte einige Meter entfernt Anarie und auf ihrem Rücken Ismira. In den Augen der violetten Drachendame lag ein schelmisches Funkeln und ihre Reiterin untermauerte das Ganze in dem sie Cale einmal mehr hingebungsvoll die Zunge herausstreckte.
- "Sollen wir diese Herausforderung etwa unbeantwortet lassen?" - schnaubte Tailon angriffslustig.
Cale schüttelte lächelnd den Kopf und klammerte sich einmal mehr an seinen Drachen.
- "Natürlich nicht, Großer." -
Kaum war er sicher, dass sein Reiter einen angemessen festen Sitz hatte, legte sich Tailon in eine scharfe Kurve und schoss auf seine Schwester zu.
- "Ihr kriegt uns nie!" - neckte Anarie noch einmal und beschleunigte dann ebenfalls ihren Flug.
- "Euch Hühnern bringe ich jetzt Respekt bei!" - Schoss Tailon zurück und machte sich an die Verfolgung seiner Schwester.



Vom Boden aus verfolgte Marek gemeinsam mit Narie das wilde Fangspiel der beiden Jungdrachen und ihrer Reiter.
"Unsere Schüler scheinen Ihr ihren Spaß zu haben." Schmunzelte er als er sich hinter Naries stellte und die Arme um die Hüften der Elfe legte. Noch immer bereitete es dem Bergnomaden große Freude, wenn er spürte, wie Narie auf seine Zärtlichkeit einging und sich an ihn schmiegte.
"Deshalb haben wir die vier ja auch nicht begleitet. Eine so ausgelassene Stimmung kommt unter den Schülern nicht auf, wenn Lehrer anwesend sind. Kira, Laorie und Hidalgo sind zwar auch Lehrer aber irgendwie schaffen es Drachen, dass man sie kaum wahrnimmt, wenn sie es nicht wollen." erwiderte die hellblonde Elfe. "Unsere Schüler glauben sicher, dass wir beide nur etwas allein sein wollen."
"Eigentlich gar keine schlechte Idee.", flüsterte Marek verschwörerisch und hauchte seiner Liebsten zärtliche Küsse auf den Nacken.
"Du Kindskopf!" gab Narie zurück, doch Marek spürte den wohligen Schauer, der den Körper der Elfe durchlief.
Ein strenges Räuspern unterbrach die Zärtlichkeit der beiden Liebenden. Ein eiskalter Klumpen bildete sich im Mareks Magengrube als er sah, wer sich ihm und seiner Gefährtin genähert hatte. Neben ihnen stand Fürst Däthedr und musterte die beiden Drachenreiter missbilligend.
Mareks erster Impuls, als der strenge Blick des hochgestellten Elfen ihn traf, war es ein Schritt von Narie zurückzutreten. Seine Gefährtin verhinderte jedoch, dass er seine Umarmung löste, drehte sich zudem um und küsste ihn zärtlich bevor sie auf den Neuankömmling zutrat.
Die beiden Mitglieder des schönen Volkes musterten sich gegenseitig mit intensiven Blicken. Schließlich war es Däthedr der einlenkte und mit einem:"Atra Esterní ono thelduin (möge das Glück Dir hold sein)" den elfischen Gruß einleitete.
Narie erwiderte pflichtgemäß: "Atra du Evarínga ono varda. (Mögen die Sterne über Dich wachen.)"
Marek entging nicht, dass der Elf auf die letzte Zeile der Begrüßungsformel verzichtete. Offenbar hielt es nicht für nötig besonders höflich zu sein.
"Findet Ihr diese öffentliche Zurschaustellung Eurer "Gelüste" nicht etwas unpassend Shur'tugal Narie?" erkundigte sich der Elfenfürstin schließlich mit einer Stimme, in der nicht das geringste Gefühl mitschwang.
"Nein." war Naries schlichte Antwort.
Däthedr bedachte die jüngere Elfe mit einem Blick den Marek nur als mitleidig interpretieren konnte.
"Der Tod Eurer Mutter muss ja wirklich sehr verwirrend für Euch gewesen sein."
"Was wollt Ihr damit sagen Fürst Däthedr?"
"Ich bin nur der Auffassung, dass der Tod eines geliebten Wesens manchmal etwas verwirrend wirken kann. Es weckt gewisse Gelüste nach Nähe und Zuwendung. Nach einer gewissen Zeit sollte man sich allerdings wieder angemessen verhalten."
"Ich denke nicht, dass mich der Tod meiner Mutter in dieser Form beeinflusst hat." gab Narie im selben neutralen Tonfall wie der Elfenfürst zurück.
Däthedr nickte mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das sich nicht im mindesten in seinen Augen wieder fand. Dann richtete er den Blick auf den Himmel.
"Ich vermute die neuesten Mitglieder des Ordens der Drachenreiter genießen ihren ersten Flug?"
"In der Tat.", antwortete Narie neutral.
"Bedauerlich. Ich hatte gehofft einige Worte mit diesem Sohn eines Buchbinders wechseln zu können. Cale, oder?"
Marek konnte erkennen, dass sich Naries Haltung leicht versteifte.
"Es ist angemessen zuerst mit den Lehrern zu sprechen, bevor man sich an die Schüler wendet." stellte die Elfe heraus. "Darf ich fragen, was Ihr von meinem Schüler wollt?"
"Nun, ich wollte mit ihm über diese aberwitzige Theorie diskutieren wonach er unser Blut in sich tragen soll. Ein lächerlicher Gedanke."
"Darf ich fragen, was Ihr an diesem Gedanken so lächerlich findet?" erkundigte sich Narie.
"Ich bin nicht überrascht, dass Ihr das nicht nachvollziehen könnt. Aber allein der Gedanke an ein solches Mischwesen ist für manche von uns anstößig. Wie ich höre, habt Ihr diese wilde Theorie aufgestellt Narie-Finiarel?"
Einmal mehr erkannte Marek, dass die elfischen Höflichkeitsregeln für manche des schönen Volkes wirklich nur noch Floskeln waren. "Finiarel" war eine Anrede für eine besonders hoffnungsvolle junge Elfe. Wenn man bedachte wie wenig Däthedr offensichtlich von Narie hielt, war diese Form der Anrede eine regelrechte Phars.
"Es ist eine nahe liegende Vermutung aufgrund der Fakten. Das außergewöhnlich starke Auftreten von elfischen Charakterzügen bei Cale ebenso das Erbstück seiner Familie. Ein Dolch der ganz klar von unserem Volk hergestellt wurde."
Däthedr schüttelte fast mitleidig den Kopf und fuhr in einem Todesfall fort, als spräche er mit einem verwirrten Kind: "Ihr enttäuscht mich. Es gibt wesentlich plausiblere Erklärungen für das, was Ihr beobachtet habt. Jeder menschliche Reiter bildet nach einer gewissen Zeit Gesichtszüge aus, die elfengleich sind. Dieser Junge ist vermutlich nur eine Anomalie unseres Paktes mit den Drachen. Vielleicht ist das darauf zurückzuführen, dass nun auch Zwerge und Urgals zum Bund der Reiter zählen."
"Es sind bereits einige Menschen zu Reitern erwählt worden, seit der Orden neu gegründet wurde. Keiner hat bisher so schnell eine derartige Wandlung durchlaufen. Außerdem ist da noch der Dolch und das, was mein Schüler mir über seine Herkunft berichtet hat."
Däthedr ging nicht weiter auf Naries Einspruch ein, sondern bezog sich im Folgenden auf den Dolch: "Was diesen Dolch betrifft, haben wir nur das Wort Eures Schülers, dass er wirklich ein Geschenk an seine Vorfahrin gewesen sein soll. Es ist ebenso gut möglich, dass dieses Objekt auf andere Weise in den Besitz des jungen Menschen gekommen ist. Viele Krieger unseres Volkes starben im Kampf gegen Galbatorix und seine Verräter. Allein in der Schlacht, in der König Evander getötet wurde, waren es hunderte. Vielleicht hat der Dolch einem der gefallenen Krieger gehört."
"Ihr beschuldigt die Familie meines Schülers also Diebe und Leichenfledder zu sein? Der Vater meines Schülers hat, wie viele andere seiner Vorfahren, sein Leben riskiert, um der Menschheit Wissen zu sichern, das Galbatorix der Allgemeinheit entreißen wollte. Cales Vater starb als alte Gefolgsleute des Königs ein Massaker unter denen anrichteten, die für die Kultur der Menschen alles riskiert hatten. Ich frage Euch also, ist das wirklich Eure Absicht? Dankt Ihr diesen Menschen so ihren Mut?"
Es verschaffte Marek einiges an Befriedigung, als er sah, dass Däthedr nun zum ersten Mal leicht aus dem Konzept geriet.
"Es war selbstverständlich nicht meine Absicht die Vorfahren eines Drachenreiters zu beleidigen." räumte der Fürst ein. "Meine Formulierung war wohl etwas unglücklich gewählt."
"Nun, da Ihr offenbar nicht in der Lage seit Euch adäquat auszudrücken, wünsche ich, dass Ihr Abstand davon nehmt mit meinem Schüler eine Diskussion zu beginnen. Ich werde meine Nachforschungen, die noch nicht abgeschlossen sind, über seine Herkunft fortsetzen. Ihr könnt Euch an mich wenden, wenn Euch das Thema interessiert." legte Narie entschieden fest.
Abermals erschien ein Lächeln auf den Gesichtszügen des älteren Elfen, welches seine Augen nicht erreicht.
"Wie Ihr wünscht Narie Shur'tugal. Ich bin allerdings noch aus einem weiteren Grund hier. Unbedachtheit, so wie voreiliges Handeln scheint in Eurer Familie recht häufig vorzukommen Drachenreiterin. Eure Cusine Arya verhält sich ja ähnlich wie Ihr. Ihre Bitte an König Maranus ihre Tochter zu segnen ist ein Beweis für ihre Gedankenlosigkeit. Offenbar im Hinblick auf die ruhmreiche Vergangenheit von Shur'tugal Aryas Familie hat unser König diesem Ansinnen bedauerlicherweise bereits seine Zustimmung erteilt. Da uns die stolze Mutter ja bald einen Besuch abstatten wird, möchte ich auch mit Ihr einige Worte wechseln."
"Ich nehme an in aller Freundschaft?" erkundigte sich Narie in einem Tonfall, indem durchaus Geringschätzung für den Elfenfürsten mitschwang.
"Natürlich in aller Freundschaft. "Erwiderte dieser. "Einen Grund für Disput sehe ich nicht. Viele von uns sind der Meinung, dass das Kind von Arya und Eragon Schattentöter durchaus einen Segen verdient. Schließlich ist der Schattentöter ja durch die Drachen verwandelt worden. Sein Körper wurde von gewissen Schwächen gereinigt."
In Marek wuchs mehr und mehr der Wunsch das Gesicht des herablassenden Elfen mit einem gut platzierten Faustschlag zu ehren. Dem Bergnomaden war nicht entgangen, dass der Fürst zwar Narie begrüßt hatte ihn selbst aber gepflegt ignorierte. Auch die offene Schmähung des Volkes der Menschen war eine Provokation für Marek. Laorie hatte aber bereits kurz nach Däthedrs eintreffen eine Warnung an ihren Reiter geschickt. Jede aggressive Geste von Marek wäre nur Wasser auf die Mühlen des Fürsten. Das rief sich der junge Bergnomade immer wieder ins Gedächtnis als der Elf weitersprach: "Mein Anliegen wäre es nur, dass man das Kind von unseren Heilern und Gelehrten zunächst einmal gründlich untersuchen lässt, um seine tatsächliche Reinheit festzustellen. Ich kenne da einige Leute."
Daran zweifelte Marek keinen Augenblick. Den Gedanken, dass Däthedr etwas im Schilde führen könnte und der kleinen Marlena zu schaden verwarf er sofort wieder. Dadurch hatte der Fürst nichts zu gewinnen. Wenn aber die "zuverlässigen Leute" dem Kind der beiden Drachenreiter bescheinigten, dass es "rein" war, würde es in den Augen der anderen Elfen nicht mehr als Mischling gelten. Marek kam nicht umhin diesem Zug des Fürsten, als intelligent zu bezeichnen. Däthedr konnte nur gewinnen. Es wurde verhindert, dass seine Vorstellung von Reinheit zerstört wurde, er selbst konnte sich verständnisvoll präsentieren und so in der breiten Öffentlichkeit Sympathien gewinnen. Außerdem gab es sogar eine gewisse Chance, dass sich Arya von so einer Untersuchung überzeugen ließ. Sicher würde Däthedr argumentieren, dass es doch nur im besten Interesse des Kindes sei. So könnte man Zweifel ausräumen und verhindern, dass die kleinen Marlena zu einer Ausgestoßenen wurde.
"Wie ich sehe, werde ich bald die Möglichkeit zu diesem Gespräch bekommen."
Wieder hatte sich der Blick des Elfenfürsten auf den Himmel gerichtet und Marek erkannte was am südlichen Horizont seiner Aufmerksamkeit erregte. Vier Silhouetten von Drachen zeigte sich am Abendhimmel ab. Sie flogen in einer Formation. Die beiden mittleren waren deutlich größer als die flankierenden Drachen. Ihre Schuppen strahlten Blau und Grün. Am rechten Ende der Formation flog ein silberner Drache am linken einer, der so weiß war wie frisch gefallener Schnee.



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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt